Oberhausen/Ruhrgebiet. In den nächsten Jahren drohen der Kliniklandschaft tiefe Einschnitte. In Oberhausen schließt sogar ein ganzes Hospital. Eine Bestandsaufnahme.

Krankenhäuser müssen heutzutage für die Gesundheit ihrer Patienten so effizient arbeiten wie Autofabriken bei der Serienfertigung ihrer Modelle, um wirtschaftlich zu sein: Schnell mit wenigen Liegetagen der Kranken, häufig die gleiche Operationsart für hohe Qualität und spezialisiert auf lukrative Behandlungsarten. Die Wald-und-Wiesen-Kliniken mit einem Rund-um-Versorgungs-Programm mit drei Blinddarmoperationen im Jahr gehören der Vergangenheit an, weil sie zu teuer sind und meist zu unzulänglich arbeiten.

Gleich mehrere Studien der vergangenen Jahre belegen diese These – ob von der Bertelsmann-Stiftung im Juli 2019 („Jedes zweite Krankenhaus überflüssig“), dem wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Anfang 2018 (Über- und Fehlversorgung in deutschen Krankenhäusern) oder die Begründung der bundesweiten Krankenhausreform. Sie alle gehen davon aus, dass Kliniken unter 200 Betten in ihrer Existenz bedroht sind, weil sie sich nicht kosteneffizient betreiben lassen – das wäre in NRW jede dritte der 344 Kliniken. Ihre Auslastung ist mit unter 80 Prozent schwach, einige kommen mit Belegungen von 65 Prozent kaum noch über die Runden. Gerade im Ruhrgebiet ist das Nebeneinander gleichartiger Therapien und Fachgebiete – nur wenige Kilometer voneinander entfernt – auffällig. Und viele stecken auch noch im Sanierungsstau, weil das zuständige Land seit Jahrzehnten zu wenige Investitionsmittel bereitstellt.

Gesundheitstrend läuft gegen die Krankenhäuser

Der Aufschwung ambulanter Operationen in Praxen, die zunehmende detailreiche Rechnungskontrolle der Krankenkassen, die schnellere Heilung von Patienten durch sanfte Operationen – durch all diese Entwicklungen wackeln Krankenhäuser mit ihren kostenintensiven alten Gebäudestrukturen.

„Früher lagen Kinder mit einer Gehirnerschütterung eine Woche im Krankenhaus, Patienten mit Magengeschwüren drei Wochen, ein an der Gallenblase operierter Mensch sieben Tage – heute wird das fast alles weitgehend ambulant behandelt oder auf einen einzigen Tag reduziert“, bringt es Klinik-Manager Holger Ernst auf den Punkt. Es gibt schlicht zu viele Kapazitäten an Operationssälen und Räumen. Dadurch besteht die Gefahr, dass Operationen und Behandlungen gesundheitlich unnötig erfolgen – weil der Druck auf Ärzte groß ist, die Zahl der Patienten zu steigern und die Belegungsquoten ihrer Fachabteilung zu erhöhen.

In Oberhausen geht nun das Katholische Klinikum (KKO), größter Gesundheitsversorger in der 210.000-Einwohner-Stadt voran: Es schließt mit dem St.-Josef-Hospital an der stark befahrenen Mülheimer Straße nahe der Oberhausener Innenstadt ein über hundert Jahre altes Traditionskrankenhaus. Die Spezialleistungen, wie Neurologie und die besonders einnahmestarke Psychiatrie, werden an die beiden anderen Oberhausener Krankenhäuser der Gruppe verlagert. Gleichwohl gehen von gut 2300 Stellen nun 240 Arbeitsplätze verloren. Schon Anfang des nächsten Jahres sollen diese Schritte vollzogen sein.

Katholisches Klinikum Oberhausen im Insolvenzverfahren

Die Einschnitte geschehen nicht freiwillig, sondern im Rahmen eines Insolvenzverfahrens: Das Klinikum Oberhausen, im Besitz dreier katholischer Kirchengemeinden und dem Bistum Essen, hat zu wenig Eigenkapital für notwendige Investitionen und erwirtschaft schon seit einiger Zeit operativ Verluste – in diesem Jahr wären sie auf acht Millionen Euro aufgelaufen.


So erledigen nun frische Gesundheitsökonomen und Juristen von außen die Arbeit, die sich christlich bewegte heimische Anteilseigner und frühere Geschäftsführung nicht zutraute: Man gibt mit dem St.-Josef-Hospital ein teures Haus auf, das mit 60 Millionen Euro hätte aufgemöbelt werden müssen, und streicht Personalstellen aus der Bilanz. Anschub erhält die Sanierungsaktion dadurch, dass die Allgemeinheit über die Bundesarbeitsagentur drei Monate lang die Gehälter aller Beschäftigten mit dem Insolvenzgeld übernimmt – ein Vorteil in zweistelliger Millionenhöhe.

Krankenhaus mehr als nur ein Haus aus einem Haufen Steine

Doch ein Krankenhaus ist in allen Städten mehr als nur ein Haus aus einem Haufen Steine. In den Zimmern und OP-Sälen entscheiden sich Lebensschicksale, man wird hier geboren, gerettet oder liegt im Sterben. Die kleine Oberhausener Kirchengemeinde St. Marien hat am 19. August 1883 unter dem Gesang weiß gekleideter Schulkinder den Grundstein gelegt als Krankenhaus für Alt-Oberhausen. Die Geschichte dieses Hospitals ist eng mit der Stadtgeschichte verknüpft – bis heute.

So ist Oberbürgermeister Daniel Schranz vor knapp 45 Jahren dort geboren, hat sich als Messdiener und Krankenbesucher für St. Marien engagiert. „Mir tut es besonders leid, dass es ausgerechnet St. Josef trifft“, meint er – doch verhindern kann er die Schließung nicht, eingreifen wird er nicht, denn die Zahlen sprechen eine zu deutliche Sprache. Die Trauer bei vielen Alt-Oberhausenern über den Verlust ihres Heimat-Krankenhauses ist in diesen Zeiten groß, erst recht bei den Beschäftigten, die mit einem besonderen Team-Geist den baulichen Widrigkeiten von St. Josef trotzten. Die Linke Liste argwöhnt gar, nun sei die gute Gesundheitsversorgung der Oberhausener in Gefahr.

Marktbereinigung im Ruhrgebiet in den nächsten drei bis fünf Jahren

Was Oberhausen in diesen Monaten durchmacht, steht den anderen Ruhrgebiets-Städten noch bevor – das Katholische Klinikum geht hier nur voran. Eine deutliche Marktbereinigung der Krankenhauslandschaft in Ballungsräumen wie dem Ruhrgebiet erwarten wichtige Revier-Klinikmanager bereits in den nächsten drei bis fünf Jahren. So ist Nils Krog, Chef der Ategris GmbH mit den beiden Evangelischen Krankenhäusern in Mülheim und Oberhausen, überzeugt davon, dass Strukturreformen, also weniger Krankenhäuser, in NRW notwendig sind, weil „wir hier eine Überversorgung an stationären Einrichtungen haben“. In vielen Revier-Großstädten sucht man Partner für die Krankenhäuser – oder greift rigoros ein.

So will die katholische gemeinnützige Contilia-Gruppe zwei ihrer drei Krankenhäuser im Essener Norden zu ambulanten Facharzt-Zentren ohne stationäre Betten umbauen (St. Vincenz Krankenhaus Stoppenberg, Philippusstift Borbeck), ihr Marienhospital in Altenessen und eine Kirche abreißen, um dort für 300 Millionen Euro bis 2025 ein modernes Vollversorger-Krankenhaus mit über 700 Betten zu errichten.

Die Duisburger Krankenhäuser, zumindest das Evangelische Klinikum mit Häusern in Dinslaken und Oberhausen, wollen einen protestantischen Regionalverbund im Ruhrgebiet bilden.


In Bochum suchen Katholiken und Protestanten sogar den Zusammenschluss: Das Katholische Klinikum soll mit der Evangelischen Stiftung Augusta zu einem „Christlichen Krankenhaus Bochum“ fusionieren – ein Megaverbund mit 7000 Mitarbeitern und 82.000 stationären Patienten. Und natürlich geht es auch hier darum: Strukturen müssen verschlankt, also aufgegeben werden.


Auch die Mülheimer Ategris will Verbünde schaffen, um die allgemeinen Grundkosten zu senken. Doch bisher scheitern die Kontakte oft daran, dass die ethischen und wirtschaftlichen Vorstellungen, wie man ein Krankenhaus führt, zu weit auseinanderliegen. Der wirtschaftliche Druck war offenbar bisher nicht groß genug – aber das ändert sich gerade.