Mülheim. Weil die Toilette im Regionalzug defekt war, hockte sich eine Mülheimerin ins 1.-Klasse-Abteil. Sie bekam Ärger mit der Deutschen Bahn.

„Tarifverstoß 4024026295264“ lautet die Betreffzeile des Schreibens, das Cecilia van Veen kurz nach dem Vorfall in der Post hatte. Absender: die Deutsche Bahn. Eine Zahlungsaufforderung. Sie habe am 16. Juli 2024 in der Linie 10621 gegen den Tarif verstoßen, steht dort, vor Troisdorf. Uhrzeit: 13.21. Sie soll 60 Euro überweisen.

Sie denke nicht daran, sagt Cecilia van Veen. Den „Tarifverstoß“, den die Deutsche Bahn nicht näher beschreibt, schildert die Mülheimerin gerne, detailreich und immer noch aufgebracht. Sie habe sich in einem Zugabteil hingehockt, ihre Hose heruntergezogen und auf den Fußboden uriniert. Es sei alternativlos gewesen.

Mülheimerin urinierte auf den Boden eines Zugabteils

Cecilia van Veen ist 78 Jahre alt, sie wirkt aktiv, hellwach. Das „Wildpinkeln“ im Regionalzug ist ihr nicht versehentlich passiert. Sie habe es angekündigt, schildert sie, minutenlang, und dann bewusst getan. Viel lieber hätte sie eine Toilette benutzt. Doch im Zug habe keine zur Verfügung gestanden.

Die Mülheimerin war an jenem Dienstag nicht alleine unterwegs, wie sie berichtet, sondern als Begleiterin eines 86-jährigen Bekannten. Er sei leicht demenzkrank und auch gehbehindert. Sie hätten einen Tagesausflug nach Königswinter unternehmen wollen, zum Drachenfels. Die Beiden starteten am Mülheimer Hauptbahnhof und stiegen in Köln um.

Regionalbahn sehr voll, Fahrgäste standen auf den Gängen

Die Regionalbahn nach Königswinter sei sehr voll gewesen, sagt Cecilia van Veen. „Leute standen auf den Gängen.“ Mit ihrer Körpergröße von nur 1,43 Metern habe sie unter deren Armen hindurchschlüpfen können, auf der Suche nach einer Toilette. Erfolglos. „Es gab sechs Toiletten, die alle nicht benutzbar und verschlossen waren“, behauptet die Mülheimerin. „So ein Zug darf gar nicht fahren.“

Die Deutsche Bahn bestätigt auf Anfrage, dass keine Toilette verfügbar war, schildert die Situation jedoch anders. Der Zug sei schon bei der Abfahrt in Köln nur mit einem einzigen Triebwagen unterwegs gewesen, erklärt ein Bahn-Sprecher auf Anfrage. Dies widerspricht der Aussage der Mülheimerin, wonach es sechs unbrauchbare Toiletten gab. Die einzige Toilette im Zug sei tatsächlich leider defekt gewesen, erklärt die Deutsche Bahn.

„Toilette war verstopft und lief schon über“

Ob dennoch gefahren wird, sei in einem solchen Fall die Entscheidung des Lokführers. „Eine Abwägung.“ In Köln waren schon viele Leute in die Regionalbahn eingestiegen, „sie hätten alle wieder aussteigen und auf den nächsten Zug warten müssen“, so der Bahn-Sprecher. Tatsächlich hätten sich mehrere Fahrgäste beim Zugbegleiter beschwert, weil die Toilette verschlossen war. Der Mitarbeiter habe sich die Toilette noch einmal angesehen „und feststellen müssen, dass sie verstopft war und schon überlief“.

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Cecilia van Veen beschwerte sich offenbar besonders heftig. Sie selber sagt, sie habe einem Zugbegleiter ihr dringendes Anliegen geschildert. Er habe ihr geraten, auszusteigen, im Bahnhof zur Toilette zu gehen und den nächsten Zug zu nehmen. Sie habe den demenzkranken Herrn, mit dem sie unterwegs war, aber nicht für längere Zeit alleine lassen wollen, um nach einem Bahnhofsklo zu suchen.

Zugbegleiter nach einer Lösung gefragt, notfalls ein Plastikeimer

Sie habe nach einer anderen Lösung gefragt: nach einer Personaltoilette oder auch nur einem Plastikeimer. Beides sei nicht möglich gewesen. Cecilia van Veen sagt, sie habe minutenlang angekündigt, notfalls auf den Boden zu pinkeln. Der Bahnmitarbeiter habe gedroht, die Polizei zu rufen. Letztlich ging die 78-Jährige in ein Abteil der 1. Klasse und urinierte unter einem Tisch.

Laut Deutscher Bahn gibt es keine Diensttoilette im Zug und keine sonstige Alternative. Daher habe der Zugbegleiter der 78-Jährigen empfohlen, dass sie in Troisdorf aussteigen möge. „Mehrere Reisende boten sich auch an, ihr beim Ausstieg zu helfen“, so der Sprecher. „Dies wurde strikt abgelehnt. Leider mussten unsere Mitarbeitenden dann miterleben, wie sie in der 1. Klasse urinierte.“ Sie seien schockiert gewesen und hätten bei jüngeren Reisenden sicher auch „vom Hausrecht Gebrauch gemacht“, sprich: die betreffenden Personen aus dem Zug verwiesen.

Zahlungsaufforderung für Verunreinigung kam umgehend: 60 Euro

Cecilia van Veen und ihr Begleiter fuhren nach dem Vorfall weiter bis Königswinter. Die Pfütze, die sie hinterließ, habe der Zugbegleiter entfernt, berichtet die Mülheimerin. „Er hat die Toilette aufgeschlossen und mit viel Papier den Boden abgetrocknet.“ Die 78-Jährige ist wütend auf die Deutsche Bahn, auf deren Personal: „Die bringen einen in wirklich menschenverachtende Situationen.“ Laut Mitreisenden, mit denen sie gesprochen habe und die die Regionalbahn oft benutzen, seien die Toiletten häufig außer Betrieb.

Das Schreiben mit der Zahlungsaufforderung muss bei der Deutschen Bahn umgehend verfasst worden sein. Es datiert vom 18. Juli. Für Cecilia van Veen erst recht „eine Unverschämtheit“. Sie schimpft: „Die Notdurft der Leute wird nicht beachtet, aber bei Bußgeldern sind sie schnell!“ Die Bahn erklärt auf Anfrage, die erhobenen 60 Euro ergäben sich aus den Tarifbestimmungen - als Entgelt für „Verunreinigung“. Aufgrund der Gesamtsituation habe man sich aber nun entschieden, auf die Forderung zu verzichten. Die Mülheimerin hätte wohl auch nicht gezahlt. Sie bereut nichts. „Ich würde es wieder tun.“

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