Mülheim. Mitglieder der Trinkerszene in Mülheims City nutzen Treppen und Parkhaus als Klo. Der Ärger wächst. Auch „Tante Alma‘s“ Hoteleingang betroffen.
Montagnachmittag, 15, 16 Uhr, Unruhe auf der Schloßstraße. Ein Mannschaftswagen der Polizei und ein Rettungswagen parken in der Fußgängerzone, Polizisten halten einen schwankenden Mann fest, Sanitäter stehen bereit, zwischen Baumkübeln wird diskutiert. Nicole Naujokat, Mitarbeiterin der O-Zahnärzte in der Mülheimer City, hat die Szene mit ihrem Handy aus einem Praxisfenster gefilmt. „Wieder ein schöner Tag in der Innenstadt“, kommentiert sie ironisch.
An ihrem Arbeitsplatz in der dritten Etage des ehemaligen Woolworth-Hauses bekommt die Dentalhygienikerin einiges vom Geschehen auf der unteren Schloßstraße mit. Nahe der Haltestelle Stadtmitte treffen sich alkoholkranke, teils wohnungslose Menschen. An warmen, trockenen Tagen sind es mehr. Der Szenetreff löst seit Jahren immer wieder Beschwerden aus. Was viele besonders stört: Der Abgang zur Tiefgarage Schloßstraße, die von der Stadt betrieben wird, dient als Toilette.
Praxisteam beschwert sich über Zustände in der Mülheimer Innenstadt
Auch Zahnarzt Dr. Edgar Wienfort zeigt sich sehr unzufrieden mit der Situation. Er sagt: „Die Menschen an sich tun mir leid.“ Aber es müsse etwas geschehen. Der Zugang zur Garage könnte mit Glas verkleidet werden. „Oder man stellt einfach ein Toilettenhäuschen hin.“
„Die Treppen sind jeden Tag durch menschliche Verunreinigung (Pisse) nicht begehbar.“ So explizit hat es Nicole Naujokat schon Ende 2022 in einer Mail an Mülheims Oberbürgermeister formuliert. Unterschrieben haben auch ihre Chefs, die Zahnärzte Wienfort und Vogelpoth. Das gesamte Parkhaus rieche nach Urin. Sogar Dealer hätten sie dort schon erwischt. Ihr Vorschlag: Die Stadt könnte eine Glastür anbringen, wie vor den anderen Ausgängen der Tiefgarage.
Betriebe der Stadt: „Bekanntes Malheur“ - Reinigung und Kontrolle helfen nur bedingt
Das Praxisteam bekam seinerzeit eine Antwort von Joachim Exner, Leiter der Betriebe der Stadt Mülheim, die für die Tiefgaragen zuständig sind. Exner nannte die Zustände „ein bekanntes Malheur“, das man durch Reinigung und Kontrolle durch die Firma Vollmer in den Griff zu bekommen versuche, was aber angesichts des dortigen „Brennpunktes“ nur begrenzt helfe. Die Betriebe der Stadt seien nicht Verursacher, sondern gleichermaßen Geschädigte. „Die Zerstörungen an Glasteilen kommen noch hinzu!“, so Exner. Sie müssten reichlich Geld ausgeben, „allein, um das Erscheinungsbild einigermaßen aufrechtzuerhalten“.
Diese Antwort der Stadt Mülheim sei nicht zufriedenstellend, fand das Praxisteam schon damals. Jetzt, im Frühjahr 2024, sei die Situation unverändert. „Sobald es warm ist, können wir keine Fenster mehr öffnen“, sagt Nicole Naujokat, „wegen des Geschreis auf der Straße, der Geräuschkulisse.“
In der Tiefgarage Schloßstraße riecht es nach Fäkalien
Täglich nach Feierabend geht sie die Treppe zur Tiefgarage hinab, wo sie Dauerparkerin ist. Über schmutzige Stufen, entlang fleckiger grauer Wände. Die Gittertür zur Garage lässt sich nur mit Karte öffnen. Auch im Inneren hat der Betonboden bräunliche Ränder. Es riecht nach Fäkalien. „Oft trifft man Leute, die pinkeln - richtig eklig.“ Ab und zu sei die Tür geöffnet, berichtet Nicole Naujokat. Dann hielten sich Personen hier auf. Manchmal fühle sie sich beobachtet, sagt die Mülheimerin. „Dann habe ich echt Angst. Wenn ich in mein Auto gestiegen bin, verriegele ich die Türen.“
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Direkt neben dem Abgang zur Tiefgarage hat das „Moi Moi“ eine kleine Außenterrasse. Das Restaurant mit vietnamesischer und japanischer Küche eröffnete vor anderthalb Jahren an der Schloßstraße. Der Dauer-Treffpunkt vor der Tür sei für sie und ihr Team durchaus ein Problem, sagt Mitinhaberin Mai Do Thi. „Leute kommen rein und gehen einfach durch zur Toilette, obwohl sie keine Gäste sind. Und wenn man sie darauf hinweist, werden sie manchmal böse.“
Ungebetene Gäste vor dem Eingang zum Hotel „Tante Alma‘s“
Auch die Betreiber des Hotels „Tante Alma‘s“, eröffnet vor gut einem Jahr im früheren Gebäude von Hotel Noy, leiden unter teils schwierigen hygienischen Verhältnissen im unmittelbaren Umfeld. Mülheim tue sehr viel für die Innenstadt, meint Geschäftsführer Marc J. Schlieper. Doch die Trinkerszene sei „eine Herausforderung“. Nicht nur der Abgang zur Tiefgarage werde als Toilette benutzt, sondern immer wieder gelangten auch Fremde ins Parkhaus, das einen direkten Hoteleingang hat, erleichterten sich oder übernachteten dort.
„Unsere Gäste sind nicht weltfremd“, meint Schlieper. „Es ist eine Innenstadt, es gibt überall Obdachlose. Doch die Stadt sollte darüber nachdenken, den Herrschaften eine öffentliche Toilette zur Verfügung zu stellen, wo sie die Möglichkeit haben, ihr Bier loszuwerden.“ Der jetzige Zustand mache die City unattraktiv. „Das ist definitiv ein Punkt, den wir am Standort merken“, so der Hotelmanager.
Streetworker: Trinkerszene besteht aus drei bis zwölf Personen
Kontakt zu den Menschen, die hier ihre Tage verbringen, haben Streetworker der Ambulanten Gefährdetenhilfe unter dem Dach der Mülheimer Diakonie. Sie seien in der Stadt täglich aufsuchend unterwegs, berichtet Streetworker Lukas Brockmann auf Anfrage dieser Redaktion. Die Trinkerszene in der City sei „eine heterogene Gruppe“, drei bis etwa zwölf Personen. Es seien größtenteils schwer alkoholkranke Menschen mit eigenen Wohnungen, die dort Kontakte suchen und oder sich zum Zeitvertreib treffen. „Erfahrungsgemäß zieht es die Leute in der wärmeren Jahreszeit vermehrt vor die Tür. Das heißt, es wird in den kommenden Monaten wieder mit mehr Zulauf zu rechnen sein.“
Gelegentlich schauten auch andere Personen vorbei: Menschen aus Wohnheimen oder Notschlafstellen, Arbeiter auf ein Feierabendbier. Besondere Vorfälle habe es in jüngster Zeit nicht gegeben, berichtet der Streetworker - „neben den bekannten Problemen wie Ruhestörung, öffentliches Urinieren und Gepöbel“. Die Sozialarbeiter kooperierten mit dem Kommunalen Ordnungsdienst (KOD), der Stadtwache, dem Streetwork des Drogenhilfezentrums und der Mobilen Jugendhilfe, ergänzt Brockmann, unter anderem in einer regelmäßigen Arbeitsgruppe. „Auch hier ergab sich zuletzt keine erhöhte Bedarfslage.“
Ordnungsamt spricht Platzverweise aus bei sehr aggressivem Verhalten
Etwas anders bewertet das Mülheimer Ordnungsamt die Lage. Leiterin Kerstin Kunadt erklärt auf Anfrage: „Es ist durch Streetworker und KOD festzustellen, dass sich das aggressive Verhalten der Trinkerszene verstärkt hat (es kommt zu einer Vermischung der Szenen).“ Bei Lärmbelästigungen und sehr aggressivem Verhalten würden Platzverweise ausgesprochen.
Zweimal täglich, morgens und abends, werde der Bereich durch den KOD kontrolliert. „Die Trinkerszene wird beobachtet und regelmäßig angesprochen“, so die Amtsleiterin.
Toilette vor Ort „würde laut Aussage der Szeneangehörigen angenommen“
Auch die Streetworker wissen, dass die Abgänge zur U-Bahnhaltestelle Stadtmitte und zur Tiefgarage anstelle einer Toilette aufgesucht werden. Das nächste öffentliche WC gebe es im Rathaus, etwa 200 Meter entfernt - es werde von der Szene aufgrund der Entfernung und des Zugangs jedoch nicht genutzt, so Lukas Brockmann. „Eine Option vor Ort würde laut Aussage der Szeneangehörigen angenommen und könnte einen Teil zur Entspannung der Situation beitragen.“
Eine Lösung ist derzeit jedoch nicht in Sicht. Joachim Exner, Leiter der Betriebe der Stadt, sagt zu möglichen baulichen Veränderungen am Garagenzugang: Maximal könnte am oberen Ende der Treppe, beim Hotel „Tante Alma‘s“, eine kleines Tor angebracht werden, kombiniert mit Card-Schließung. „Barrieren helfen jedoch nur bedingt“ - missbräuchlicher Zugang über die Rampen oder den Tunnel in Eppinghofen sei kaum auszuschließen.
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