Mülheim. Aggressive Fahrgäste sind für Kontrolleure der Ruhrbahn mittlerweile Alltag. Leider, sagen sie. Wir haben sie in Mülheim „auf Streife“ begleitet.

Gut 144.000 Mal sind in Deutschland 2023 Beförderungserschleichungen, im Volksmund „Schwarzfahrten“, bei der Polizei zur Anzeige gebracht worden. Die tatsächliche Zahl der Fälle, in denen Menschen sich ohne Bezahlung mit Bussen und Bahnen fahren lassen, ist erheblich höher – da sind sich die Experten einig. Wie ist die Situation in Mülheim? Um das herauszufinden, haben wir ein Ticketprüferteam der Ruhrbahn begleitet.

Die Reise beginnt am Mülheimer Hauptbahnhof in der Linie 901. Eine junge Frau peilt im letzten Moment noch die Lage und flüchtet vor den Kontrolleuren Martha M., Marcel W. und Markus T. aus der Bahn. In der Tram wird eine ältere Frau ohne gültige Wertmarke angetroffen. Während sie vorbringt, dass sie die neue Marke, die sie vom Versorgungsamt bekommen hat, versehentlich weggeworfen und dafür wieder die alte eingesteckt hat, werden ihre Personalien aufgenommen. Die Kontrolleure beruhigen die ältere Dame und erklären ihr freundlich, wie sie die Sache beim Kundencenter im Hauptbahnhof wieder in Ordnung bringen kann. Hatte sie tatsächlich eine gültige Marke, hat sie keine weiteren Konsequenzen zu fürchten. Für den Rest ihres Weges stellt ihr Martha eine Karte aus, die für diesen Tag gilt. So kann die alte Dame mit der Bahn weiterfahren.

Mülheimer Ticketkontrolleure werden regelmäßig beleidigt

Weniger freundlich geht es an der Haltestelle Stadtmitte am Fuß der Schloßstraße zu. „Vollidiot“ beleidigt ein junger Mann, dem die Kontrollen nicht gefallen, Prüfer Markus. Der hört gelassen weg. „Der meint nicht mich, der ärgert sich einfach, dass er in eine Kontrolle geraten ist“, so seine Einschätzung.

Die Kontrolleure Martha M. und Marcel W. sind in der Regel nie allein unterwegs.
Die Kontrolleure Martha M. und Marcel W. sind in der Regel nie allein unterwegs. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Die Fahrt geht weiter mit der Linie 112 Richtung Oberhausen. Gleich drei Jugendliche zwischen 13 und 17 Jahren, die offenbar zusammengehören, habe ihre Fahrscheine vergessen – oder vielleicht auch einfach nur Geld sparen wollen. Nachdem ihre Personalien mithilfe einer Meldeanfrage bei der Polizei geklärt worden sind, dürfen sie gehen. In derselben Linie wird es durch einen anderen Fahrgast, einen jungen Mann von Mitte 20, der sich nur auf Englisch verständigen kann, leicht handgreiflich. Er versucht Markus, der seinen ungültigen Fahrausweis und seinen Ausweis entgegengenommen hat, die Papiere wieder aus der Hand zu reißen und rauszurennen. Er schafft keinen zweiten Schritt, weil Kontrolleur Marcel ihm unglücklich im Weg steht. Dumm gelaufen. So muss der junge Nichtzahler doch den Rest der Kontrolle über sich ergehen lassen.

Mülheimer Schülerin will Kontrolleure austricksen

In Linie 102 von Broich nach Dümpten wird eine Schülerin von etwa 15 Jahren ohne Fahrschein angetroffen. Sie schreibt ihre Personalien auf Aufforderung hin auf, nimmt dabei einige Durchstreichungen vor und trägt unterschiedliche Namen und Adressdaten ein. Ihr vermeintlich schlauer Plan, einem erhöhten Beförderungsentgelt unerkannt zu entgehen, scheitert schließlich an einem dummen Zufall. Eine Lehrerin ihrer Schule, zufällig auf derselben Strecke unterwegs, bekommt die Kontrolle mit und kann den drei Prüfern die richtigen Personalien der Schülerin mitteilen.

Marcel W. und Kollege Markus T (r.) gehen gezielt auf die Fahrgäste zu.
Marcel W. und Kollege Markus T (r.) gehen gezielt auf die Fahrgäste zu. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

So setzt sich das Geschehen quer durch die Stadt fort. Hier ein Senior, der seine Frau erbost auffordert, die Polizei zu verständigen, weil die Prüfer sein ungültiges Ticket eingezogen haben, da ein Lehrer, der nach Beginn der Kontrollen für einen seiner schwarzfahrenden Schüler unerlaubt noch schnell seine eigene Viererkarte abgestempelt hat, dort eine Frau, die bei Kontrollbeginn auf der Kaiserstraße eilig durch die noch offene Straßenbahntür schlüpft, aber dann draußen doch vom Prüferteam eingeholt wird. Nach drei Stunden Fahrt sind bereits 15 Fahrgäste ohne gültige oder sogar ganz ohne Fahrausweise angetroffen worden.

Schlimme Beleidigungen? Noch das Geringste

„Das ist ein super Job, macht einfach Spaß“, beantwortet Markus die Frage, wie er seine Arbeit sieht. Die anderen pflichten ihm bei. Dabei müssen Martha, die eine Ausbildung als Sicherheitsfachfrau absolviert hat, und die beiden Männer, die vor dieser Ausbildung Kfz-Mechaniker beziehungsweise Schlosser waren, viel Unschönes über sich ergehen lassen. Die schlimmen Beleidigungen, die sie jede Woche zu hören bekommen und die sie oft gar nicht anzeigen, sondern einfach überhören, sind noch das Geringste.

Immer wieder werden ertappte Schwarzfahrer oder aggressive Fahrgäste auch gewalttätig. Erst kürzlich wurde ein Fahrgast vor Gericht verurteilt, weil er Martha durch Tritte gegen die Beine und Reißen an den Fingern mehrere Tage arbeitsunfähig gemacht hatte. In einem anderen Fall versuchte ein Fahrgast sie zu erniedrigen, indem er seinen Fahrschein mit gestrecktem Arm unerreichbar hochhielt und sie damit lächerlich machen wollte. Als sie ihn erneut aufforderte, den Fahrschein vorzulegen, verpasste er ihr einen heftigen Stoß gegen die Brust. Gegenüber der Polizei, die zur Unterstützung gerufen wurde, behauptete er schließlich noch, seit der Kontrolle fehlten ihm mehrere hundert Euro, die er in seinem Ausweis gehabt habe.

Die Kontrolleurin Martha M. ist bei der Arbeit bereits verletzt worden.
Die Kontrolleurin Martha M. ist bei der Arbeit bereits verletzt worden. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Mülheim ist kein Hotspot der „Schwarzfahrer“

Markus musste sich vor nicht allzu langer Zeit von einem wildgewordenen Fahrgast in den Finger und in den Rumpf beißen lassen. Nicht selten werden Schwarzfahrer auch noch von anderen Fahrgästen verbal unterstützt und die Kontrolleure kollektiv beschimpft. Die Mehrzahl der Kontrollen geht allerdings friedlich zu, berichten die drei. Dennoch bedauert das Trio, dass in den besonders krassen Fällen von Beleidigungen und Bedrohungen, in denen doch einmal Anzeige erstattet wird, die Verfahren von der Staatsanwaltschaft häufig eingestellt werden. „Das ermutigt respektlose Menschen zur Wiederholung“, so die Einschätzung des Teams.

Die Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik weisen Mülheim übrigens nicht als Hotspot der Ticketverweigerung aus. Nur 236 Mal wurden vergangenes Jahr Strafanzeigen geschrieben. Auf Einwohner umgerechnet landen in Duisburg doppelt so viele und in Dortmund sogar viermal so viele Schwarzfahrer vor Gericht. Erhöhte Beförderungsentgelte wurden laut Ruhrbahn allerdings 2023 immerhin 14.400 Mal fällig. Die meisten Ertappten bezahlten es offensichtlich dann.

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