Mülheim. Früher war er Chef im Restaurant. Jetzt steht er von früh bis spät hinterm Schiebefenster an der Mülheimer Heinrichstraße. So läuft das Geschäft.
Ein flaches Häuschen mit Vordach. Kästchen mit Lakritz, Kaugummi, Weingummi hinter zwei quadratischen Scheiben, dazwischen ein schmales Schiebefenster. Draußen die Eiskarte, seitlich am Gebäude ein Leuchtschild, auf dem „Open“ blinkt, wenn Davood Eskandari seinen Kiosk geöffnet hat.
Dieser liegt an der Heinrichstraße, Ecke Bonnstraße in Mülheim-Heißen und wirkt mit seiner Ritter-Pils-Reklame wie eine klassische Kohlenpottbude aus den Sechziger-, Siebzigerjahren. Wie die Eigentümer - die Mülheimer Immobilienfirma Emil Hütter - zu berichten wissen, wurde das Haus im Jahr 1964 gebaut. Der vorherige Pächter war fast vier Jahrzehnte lang vor Ort, von Anfang 1984 bis Ende 2023. „Diese Trinkhalle war über all die Jahre immer ein Treffpunkt der Nachbarschaft und hat in dem Umfeld einen angesehenen Stellenwert“, sagen die Eigentümer, die nun hoffen, dass Davood Eskandari den Kiosk erfolgreich weiterführen kann.
Mülheimer Kiosk-Betreiber führte lange ein persisches Schnellrestaurant
Aus seiner eigenen Kindheit kennt der 53-Jährige so eine Ruhrgebietsbude nicht. Eskandari stammt aus Teheran und kam um die Jahrtausendwende nach Deutschland. Den Heißener Eck-Kiosk hat er im vergangenen Dezember übernommen.
Etliche Jahre habe er mit seiner Ehefrau ein Schnellrestaurant mit persischen Spezialitäten in Essen-Steele geführt, berichtet Eskandari. Dann musste die 64-Jährige diese Arbeit aus gesundheitlichen Gründen aufgeben. Sie suchten einen Kiosk zur Übernahme, „ohne Arbeit kann man nicht leben“. Die Bude war auf Ebay-Kleinanzeigen inseriert. Davood Eskandari meldete sich, renovierte etwa zwei Wochen lang gründlich und wagt nun einen Neustart: „Wir sind seit 2006 beruflich selbstständig. Wir sind es gewohnt, in kaltes Wasser zu springen.“
Grundschulkinder kaufen gemischte Tüten oder Kratzeis
Kaltes Wasser – Stichwort auch für den Kunden, der jetzt an den Kiosk tritt, augenscheinlich ein Handwerker, der in einem der Nachbarhäuser zu tun hat, erhitzt, verschwitzt an diesem warmen Tag. „Was Kaltes“ bestellt der Mann, nimmt eine Dose Red Bull und eine Flasche Mineralwasser entgegen. „Dreiachtzig bitte“, sagt Davood Eskandari. Am meisten gekauft würden Zigaretten, berichtet der Budeninhaber, „und Bier“.
Ganz in der Nähe liegt die Grundschule Heinrichstraße. Nach Schulschluss kommen Kinder für Süßigkeiten, gerne gemischte Tütchen, oder Eis. Neonfarbenes Kratz- oder Wassereis werden am häufigsten durch das Kioskfenster gereicht, „das ist der Renner“. Es gibt aber auch viele ruhige Minuten und Stunden an dieser Heißener Ecke, die im vergangenen Herbst noch einmal an Kundenfrequenz verloren hat.
Im Oktober schloss gleich gegenüber die Traditionsbäckerei Bertram, weil sich kein Nachfolger für den Familienbetrieb fand. Mittlerweile sind die ehemaligen Geschäftsräume im Erdgeschoss zur Wohnung umgebaut. Über seine ersten Monate in diesem Viertel sagt Davood Eskandari: „Es geht langsam. Es funktioniert noch nicht so, wie wir es wünschen, aber wir sind eine sparsame Familie.“
Kiosk an der Heinrichstraße fast leer übernommen
Vom vorherigen Pächter habe er den Kiosk fast leer übernommen, sämtliche Waren neu beschaffen müssen. Nun gibt es dort ein klassisches Budensortiment, von Chips über Schnaps, einige Schnellgerichte, ausgewählte Hygieneartikel, Kaugummi, Sammelbildchen. „Nichts Iranisches“, sagt Eskandari. „Man muss sich der Umgebung anpassen.“
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Die Menschen, denen sie hier im Viertel begegnen, erleben Davood Eskandari und seine Frau als „sehr nette, ruhige Leute, die offenbar eine gute Nachbarschaft pflegen“. Leider, so ihr Eindruck, habe ihr Vorgänger am Ende nur noch wenig Lust gehabt, sich mit den Kundinnen und Kunden zu unterhalten. Diese Kontakte müssten sie nun neu aufbauen. Im Mietvertrag sei eine dreimonatige Kündigungsfrist festgeschrieben, berichtet das Paar. „Man weiß nicht, was kommt.“
Mülheimer „Programmbude“ am Tag der Trinkhallen
Das sind offene Worte, verständliche Sorgen, doch fotografieren lassen möchte sich der Kioskbetreiber auf gar keinen Fall. Alle Überredungsversuche scheitern. Nur die Bude darf aufs Bild. Wer Davood Eskandari, einem schlanken, zurückhaltenden Mann mit kurzgeschnittenem grauen Bart, ins Gesicht schauen möchte, muss den Kiosk an der Heinrichstraße aufsuchen. Dort trifft man ihn momentan fast immer an. Er öffne täglich von etwa 9.30 bis 22.30 Uhr, sagt Eskandari, sei eigentlich nur zum Schlafen zu Hause. „Was soll ich machen?“
Am 17. August aber, dem diesjährigen Tag der Trinkhallen, wird sein kleines Geschäft im Mittelpunkt stehen. Eine Jury hat den Kiosk als „Programmbude“ ausgewählt, als einzige in Mülheim. Zwei weitere Buden im Stadtgebiet beteiligen sich in Eigenregie. Der Kiosk von Davood Eskandari bekommt an jenem Tag ein Kulturprogramm geschenkt, das die Ruhr Tourismus GmbH organisiert. Ein DJ soll dort auflegen, es soll Spiele und kleine Geschenke für Kinder geben. An der Bude weht schon ein Fähnchen, es zeigt Schaumzucker-Mäuse in Rosé und Weiß, pinkfarbene Schrift. „Kommt feiern, ihr Mäuse“, steht dort – ein Satz, der sicher nicht vom zurückhaltenden Budenbesitzer an der Heinrichstraße stammt. Aber er freut sich schon sehr.
Programminfos zum Tag der Trinkhallen gibt es online auf tagdertrinkhallen.ruhr.
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