Mülheim. Seit neun Jahren betreibt Sinan Bozkurt das Ronja in Mülheim. Genauso lange sucht er Personal. Eine ungewöhnliche Bewerbungsmethode soll helfen.
Vlad (21) ist gelernter Koch und hat sich nach der Lehre für ein IT-Studium eingeschrieben. Anna (20) jobbt in Cafés und studiert Medizin. Sie sind jung, sie sind engagiert, eigentlich müssten ihnen alle Türen offen stehen, wenn nicht der Krieg in ihr Leben getreten wäre. Vlads Heimatstadt in der Ukraine wurde vor zwei Jahren von der russischen Armee besetzt. Im Chaos der Belagerung flüchtete er allein, seine Familie ging nach Polen. Das Studium trat er nie an.
19 Jahre war er damals alt. Nun hat er den ersten Deutschkurs absolviert und möchte endlich wieder anknüpfen, Fuß fassen, Arbeit finden, sein Deutsch weiter verbessern. Vlad, Anna und vier weitere geflüchtete junge Menschen aus der Ukraine haben sich gestern im Restaurant Ronja vorgestellt. Nicht für ein klassisches Bewerbungsgespräch, sondern eher ein Speed-Dating im Rahmen der Aktion „Branchenmarktplatz“.
Echte Begegnungen statt ein Lebenslauf auf dem Papier
Bei dieser gemeinsamen Initiative von Jobcenter und Agentur für Arbeit werden Geflüchtete und Unternehmer auf Personalsuche zusammengebracht. Man trifft sich vor Ort, lernt sich kennen und prüft, ob die Chemie stimmt. „Denn der persönliche Kontakt kann so viel wichtiger sein, als ein Lebenslauf auf dem Papier“, sagt Gabriele Sowa, Geschäftsführerin der Agentur für Arbeit in Mülheim.
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Ronja-Inhaber Sinan Bozkurt steht in seinem Restaurant im Ringlokschuppen und sagt: „Uns gibt es seit neun Jahren und genauso lange suchen wir Personal.“ Die Fluktuation in der Gastro sei hoch, studentische Aushilfskräfte ziehen nach Ende des Studiums weiter. 43 Leute arbeiten im Ronja, zwei weitere werden im Service und an der Theke gesucht. Volodymyr (27) hat fünf Jahre als Barista gearbeitet. Er träumt von einer Ausbildung zum Webdesigner, aber dafür muss das Deutsch noch ein bisschen besser werden. „Jetzt erst einmal wäre ein Job in der Gastro gut“, sagt er.
Mit Mutter, Oma und Stiefvater nach Mülheim geflohen
Ähnlich sieht es Anna, die gerade ihr drittes Studienjahr in der Medizin abgeschlossen hat. Die eloquente und offene junge Frau aus Odessa kommt sofort mit Sinan Bozkurt ins Gespräch. „Für mich ist entscheidend, dass die Stimmung im Team gut ist.“ Wie ihre Lebenspläne langfristig aussehen, fragt Daniela Grobe, Sozialdezernentin der Stadt Mülheim. „Die Ukraine macht es uns schwer, zurückzukehren“, sagt sie. Aktuell könne sie nicht einmal ihre Familie besuchen, da sie fürchten müsse, nicht mehr ausreisen zu können. Denn inzwischen würden auch Frauen zum Militärdienst einbehalten, wenn sie medizinische Kenntnisse haben.
„Ich bleibe mindestens bis zum Ende meines Studiums“, sagt Kateryna (19), die Tiermedizin studiert. Sie floh mit Mutter, Oma und Stiefvater aus Odessa. „Arbeit ist ein wichtiger Teil des Ankommens. Vor allem, wenn man die Sprachkenntnisse, die man im Deutschkurs erwirbt, auch gleich anwenden kann“, sagt Irina Braun, Casemanagerin im Jobcenter, wo aktuell die Vermittlungsoffensive NRW umgesetzt wird. Menschen, die von den Jobcentern betreut werden, insbesondere Geflüchtete, sollen noch besser als bisher in Beschäftigung vermittelt werden.
Mülheimer Unternehmer mit Fachkräftemangel gesucht
Bei Sinan Bozkurt stößt das auf offene Ohren. Schließlich ist die Gastronomie einer der Bereiche, in denen der Fachkräftemangel besonders hart zuschlägt. Aber auch bei einem Security-Unternehmen, bei einem Haarprodukte-Hersteller und einer Reinigungsfirma wurden bereits solche Treffen organisiert. Die Bilanz: „Das Projekt ist erfolgreich, Vermittlungen finden statt, aber es bleibt schwer, an Arbeitgeber heranzukommen“, beschreibt Denise Dorn-Wiescher, Koordinatorin der Vermittlungsoffensive NRW beim Jobcenter, die Situation.
„Das hier ist ein super Konzept. Es geht nicht darum, ob man alle Papiere beisammen hat, sondern was jemand kann“, fasst es die Mülheimer Bundestagsabgeordnete Franziska Krumwiede-Steiner (Grüne) zusammen. Unternehmer, die sich vorstellen können, Geflüchteten einen Job zu geben, können sich bei der kostenfreien Job-Turbo-Hotline melden unter 0800 45 55 52 9.
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