Mülheim. Rund 2000 Anfragen pro Jahr, Millionen Papierseiten zur Digitalisierung: Das hilfsbereite Team im Stadtarchiv Mülheim hat immer mehr zu tun.
Als der ehemalige Feuerwehrchef Burkhard Klein vor wenigen Monaten sein Buch „Von Spritzenmeistern, Gehülfen und Pümpern - Zu 100 Jahren Berufsfeuerwehr Mülheim an der Ruhr“ herausbrachte, gab es darin etliche Informationen, die aus seinen mehrjährigen Recherchen im Stadtarchiv stammten. Klein gehörte dort im Lesesaal, in dem man alte Dokumente, Fotos und Zeitungen anfordern kann, schon zu den Stammgästen.
Wer das städtische Archiv bis dahin auf die Rolle einer toten Lagerstätte für alte Dokumente reduziert hatte, wurde vielleicht durch die Schriftstellerei des ehemaligen Leitenden Branddirektors eines Besseren belehrt.
Mülheimer Stadtarchiv besteht seit 1972
Das Mülheimer Archiv hatte 1972 in den Räumen der Stadtbücherei seinen Betrieb aufgenommen. Ein einziger Archivar und zwei bibliothekarische Kräfte waren zunächst der gesamte Personalbestand dieser Dienststelle. Da das Archiv schnell aus allen Nähten platzte, zog man 1980 in ein eigenes Domizil an der Aktienstraße um. Doch auch dort wurde es nach und nach zu eng.
Nach langer Vorplanung wurde schließlich die leerstehende ehemalige Augenklinik an der Von-Graefe-Straße umgebaut. 2013 war schließlich Einzug. Neben dem Stadtarchiv, das in „Haus der Stadtgeschichte“ umbenannt wurde, hatte zuvor schon die städtische Musikschule in dem repräsentativen Bau Obdach gefunden.
Seit dem Umzug in die frühere Augenklinik heißt es „Haus der Stadtgeschichte“
Die Umbenennung des Archivs hatte - darauf legt sein heutiger Leiter, Dr. Stefan Pätzold, Wert - nicht nur kosmetischen Charakter. Die städtische Einrichtung wurde nämlich nun gleichermaßen Archiv wie auch Kommunikations-, Vortrags- und Begegnungsstätte. Was den Archivauftrag angeht, so ist Pätzolds Institut dafür zuständig, dass alle Akten der Stadtverwaltung, die nicht mehr für den Dienstbetrieb gebraucht werden, darauf geprüft werden, ob sie für die Historie der Stadt dauerhaft aufbewahrungswürdig sind.
Diese Aufgabe resultiert aus dem Archivgesetz des Landes NRW. Sechs Regalkilometer Akten und Schriften, die zum Teil bis ins Mittelalter zurückreichen, sind an der Von-Graefe-Straße und in einem großen Außenmagazin im Hafengebiet eingelagert. Sämtliche Akten müssen von den Archivaren gesichtet werden. Letztlich sind nur zwei bis drei Prozent des städtischen Bestandes, der täglich wächst, archivwürdig. Der Rest wird datenschutzkonform entsorgt, da die Aufbewahrung sonst jeden Rahmen sprengen würde.
Auch Privatleute liefern ganze Sammlungen
Die Lagerung der übrigen Akten ist technisch anspruchsvoll. Das Papier muss, je nach Material, bei 16 bis 18 Grad Celsius und einer Luftfeuchtigkeit von etwa 50 Prozent gelagert werden, da es sonst langfristig Schaden nehmen würde und nach Jahren nur noch Brösel übrig wären.
Übrigens speist sich der Archivbestand nicht nur aus städtischen Akten. Pätzold: „Auch Privatleute liefern dankenswerter Weise ab, was sie für erhaltenswert halten und der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen möchten.“ Das sind teilweise ganze Kollektionen, wie die umfangreiche Materialsammlung zum jüdischen Leben in Mülheim, die der ehemalige Pastor Gerhard Bennertz zusammengetragen hat, oder die Sammlungen des Heimatforschers Heinz Hohensee. Aber auch Ansichtskartensammlungen von älteren Menschen, die zuhause einfach nur Platz schaffen möchten, finden ihren Weg in das kleine Reich von Stefan Pätzold und seinem Team.
Ahnenforschung im Müheimer Stadtarchiv: Woher stammt der Ururopa?
Wer nimmt nun das Archiv zu welchen Zwecken in Anspruch? Der promovierte Archivar Pätzold und sein Stellvertreter Jens Roepstorff erklären, dass die Bestände sowohl von Privatleuten als auch von wissenschaftlich Forschenden genutzt werden. Privat geht es in allererster Linie um Ahnenforschung. Die Leute möchten wissen, wann der Ururopa geboren ist, wie weit sich Familienlinien zurückverfolgen lassen und aus welchen Orten die Urahnen stammen.
Erst kürzlich fanden sich im Lesesaal ein sehr alter amerikanischer Herr und sein Sohn – Nachfahren von Auswanderern - ein, um Näheres über ihre Mülheimer Urväter zu erfahren. Sie waren eigens aus den Vereinigten Staaten angereist.
Pensionierter Lehrer erforschte die Mülheimer Kneipenlandschaft
Wissenschaftlich Forschende, von denen die Archivmitarbeiter gerne noch deutlich mehr in ihren Räumen begrüßen würden, haben sich in der Vergangenheit unter anderem mit der Architekturgeschichte Mülheimer Bauten, mit der Rolle Mülheims während der kaiserlichen Kolonialzeit, mit der örtlichen Polizeigeschichte oder – wie im Fall von Burkhard Klein – mit der Geschichte der Feuerwehr befasst. Wahrscheinlich eher für einen kleinen Interessiertenkreis, dafür aber nicht minder akribisch, erforschte ein Broicher Bäcker die Geschichte Mülheimer Bäckereien und ein pensionierter Lehrer die örtliche Kneipenlandschaft.
Das Stadtarchiv bekommt auch Ersuchen aus dem Ausland, in denen Menschen um Nachweise bitten, dass ihre Familie deutsche Wurzeln hatte. Können verwandtschaftliche Linien nachgewiesen werden, sind das wertvolle Informationen für mögliche Einbürgerungen. Auch in Rentenversicherungs- und Erbschaftsfällen ist die Recherche des Archivs gefragt. Neben den städtischen Akten, die bis in die 1920er Jahre oft noch handschriftlich verfasst sind, stehen den Besuchern, die sich bisweilen über ganze Tage im Lesesaal eingraben, auch umfangreiche alte Zeitungsbestände, Kirchenbücher, Adressbücher, Fotografien und vieles mehr für ihre Recherchen zur Verfügung.
Personal wurde schon lange nicht mehr aufgestockt
Der Personalbestand von zehn Mitarbeitenden inklusive Leitung hat sich seit vielen Jahren nicht verstärkt, obwohl das Aufgabenportfolio über die Jahre hinweg beachtlich angewachsen ist. Dem „Haus der Stadtgeschichte“ sind neben der Aktenarchivierung auch zahlreiche kulturelle Aufgaben wie Vorträge, Ausstellungen, die geschichtspädagogische Betreuung von Schulklassen und die Beratung der Mülheimer Geschichtsmuseen wie des Tersteegenhauses oder des Museums im Schloß Broich zugewiesen worden. Das alles stellt für das Team abwechslungsreiche, aber auch große Herausforderungen dar.
Zwar kommt in Kürze als weitere Kollegin noch eine Archivpädagogin ins Haus. Jedoch sind auch Digitalisierungsanforderungen zu erfüllen, die über lange Zeit in großem Umfang Personal binden werden. Neben dem Elektronischen Langzeitarchiv, in dem digital entstandene Unterlagen dauerhaft verfügbar gemacht werden sollen, ist auch eine Digitalisierung der in die Millionen gehenden Seiten der Papierarchivalien vorgesehen.
Im Vorjahr rund 1000 Besucher im Lesesaal des Stadtarchivs Mülheim
Rund 2000 Anfragen von Forschenden hat das Stadtarchiv alleine im vergangenen Jahr beantwortet, zudem wurden rund 1000 Besucher im Lesesaal betreut. Auch aus der Stadtverwaltung kommen immer wieder Anfragen. Während von Privatforschern nach der städtischen Satzung Gebühren für Kopien von Archivalien oder für Recherchen erhoben werden müssen, kommen wissenschaftlich Forschende kostenlos an ihre Informationen.
Aber egal, wer was im Archiv erfahren will: Wer mit der Klischeevorstellung kommt, zwischen diesen vielen Tonnen an altem Papier auf schrullige Nerds mit Bürokraten-DNA zu treffen, denen man Informationen aus der Nase ziehen muss, wird angenehm überrascht. Den Ratsuchenden erwarten im Archiv ein freundliches Team, Fachkompetenz und aktive Hilfe.
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