Mülheim. Die Polizei wurde in Mülheim nach dem Krieg von der britischen Militärregierung kontrolliert. Junge und unerfahrene Beamte waren oft überfordert.

Freund und Helfer, das musste die Polizei auch in Mülheim erst wieder werden, als am 11. April 1945 mit dem Einmarsch amerikanischer Truppen in unserer Stadt NS-Diktatur und Krieg endeten. In der Vortragsreihe zur Mülheimer Geschichte beleuchtete der Mülheimer Polizei- und Rechtswissenschaftler Dr. Frank Kawelovski im Haus der Stadtgeschichte die frühe Nachkriegsgeschichte der Mülheimer Polizei.

Kawelovski, der auf Einladung des Stadtarchivs sprach, erinnerte daran, dass die Polizei zwischen 1933 und 1945 eine riesige und zentral geführte Sicherheitsbehörde war. Diese wurde unter der Führung des nationalsozialistischen Reichsinnenministers Wilhelm Frick und des von Adolf Hitler 1936 zum Chef der Deutschen Polizei beförderten Reichsführers SS, Heinrich Himmler, zum Gewalt- und Terrorinstrument. Geheime Staatspolizei und Ordnungspolizei waren tief in die Verbrechen des NS-Regimes verstrickt. Viele Polizeibeamte traten ab 1933 der NSDAP und der SS bei.

Eine Mülheimer Streifenwagenbesatzung mit einem Opel Kapitän als Streifenwagen etwa Mitte der 1950er Jahre.  
Eine Mülheimer Streifenwagenbesatzung mit einem Opel Kapitän als Streifenwagen etwa Mitte der 1950er Jahre.   © Stadtarchiv Mülheim

Die zunächst staatliche Polizei wurde der Mülheimer Stadtverwaltung unterstellt

„Die britische Militärregierung, die im Juni 1945 die Macht in Mülheim übernahm, unterstellte die bis dahin staatliche Polizei der Stadtverwaltung. Die Militärregierung behielt sich aber in allen Angelegenheiten das letzte Wort vor und regierte bis ins kleinste Detail hinein. Das reichte bis zur Anweisung, wann und wie die Beamten der kommunalen Polizei ihre Trillerpfeifen zu verwenden hatten“, erklärte der an der (auch in Styrum) ansässigen NRW-Hochschule für Polizei und Verwaltung lehrende Kawelovski die Ausgangslage.

Viele Polizeibeamte, so Kawelovski, hätten sich vor dem Einmarsch der Amerikaner aus Mülheim abgesetzt. Andere wurden von den US-Soldaten verhaftet und in Recklinghausen interniert. Doch es gab auch Polizeioffiziere, wie Major Büttner, der als Leiter der Mülheimer Polizei das Kriegsende und den Systemwechsel überstanden, weil sie die britische Militärregierung von ihrer Unverzichtbarkeit und Loyalität überzeugen konnten. Die Polizei-Neulinge wurden in den ersten Nachkriegsmonaten im Hotel Handelshof geschult und darüber hinaus mit erfahrenen Kollegen und britischen Militärpolizisten auf Doppelstreifen geschickt.

Die ersten Stadtpolizisten hatten keine Uniformen und keine Schusswaffen

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Die Nachkriegsanfänge der bis 1953 kommunalen Mülheimer Polizei waren, wie die in Trümmern liegende Stadt und ihre damals 88.000 Einwohner, von der Not gezeichnet. Die zunächst 170 Stadtpolizisten, die von der britischen Militärregierung übernommen oder als berufsfremde Seiteneinsteiger neu eingestellt wurden, hatten keine Uniformen und keine Schusswaffen. Stattdessen waren sie mit Holzknüppeln, Trillerpfeifen und einer Armbinde ausgestattet, die sie als Mitglieder der vom britischen Polizeioffizier Mitchel befehligten „Military-Government-Police“ auswiesen. Außerdem trugen alle Polizisten eine Schulterklappe mit ihrer Identifikationsnummer.

Polizeistreife an der Monning in Speldorf samt Streifenwagen im Jahr 1957. Das damalige Feinkostgeschäft im Hintergrund an der Ecke Prinzenhöhe/Duisburger Straße ist heute ein italienisches Restaurant.
Polizeistreife an der Monning in Speldorf samt Streifenwagen im Jahr 1957. Das damalige Feinkostgeschäft im Hintergrund an der Ecke Prinzenhöhe/Duisburger Straße ist heute ein italienisches Restaurant. © Stadtarchiv Mülheim

Der allgegenwärtige Kohlenklau, marodierende, plündernde und mordende ehemalige Zwangsarbeiter, die nach den Kriegsjahren der Qual und der Ausbeutung von leidenden Opfern zu hungernden und hassenden Tätern geworden waren, Schwarzmarkthändler und Menschen, die ihr Überleben mit Kleidungs- und Lebensmitteldiebstählen auf Kosten ihrer ebenso mittellosen Mitmenschen sicherten, dazu viele schwere Verkehrsunfälle mit Toten und Verletzten forderten und überforderten die oft jungen und unerfahrenen Polizeibeamten.

Ein Polizeibeamter steht um 1950 am Kassenbüdchen im Eingangsbereich der Ruhr-Ausstellung in Mülheim. 
Ein Polizeibeamter steht um 1950 am Kassenbüdchen im Eingangsbereich der Ruhr-Ausstellung in Mülheim.  © Stadtarchiv Mülheim

Polizisten wurden erst spät mit Sonderrationen versorgt

Vor allem ihren Einsatz gegen die Ex-Zwangsarbeiter, die oft mit erbeuteten Wehrmachts-MGs bewaffnet waren, bezahlten die erst später mit Schusswaffen ausgestatteten Polizisten oft mit ihrem eigenen Leben. Ums Leben kamen viele Mülheimer Bürger, die in der frühen Nachkriegszeit mit schrottreifen Autos unterwegs waren oder als „Springer“ unter die Räder der Straßenbahnen kamen, weil sie auf- und abgesprungen waren und sich dabei an den Türgriffen der Tram festgehalten hatten, um eine kostenlose Fahrt zu ergattern.

Viel später als Berg- und Stahlarbeiter wurden Polizisten als „Schwerstarbeiter“ eingestuft und mit Sonderrationen der nur auf Marken erhältlichen Lebensmittel versorgt. Außerdem konnte es immer wieder passieren, dass gestohlene Kartoffeln, die die Polizei in ihrem Asservatenraum im Polizeipräsidium an der Von-Bock-Straße aufbewahrten, „verdunsteten“ und deshalb nicht vollständig an ihre legitimen Besitzer zurückgegeben werden konnten. Auch Polizeibeamte waren damals hungrige Menschen und konnten sich auf den bis 1958 auch für Mülheim zuständigen Kölner Erzbischof Joseph Kardinal Frings berufen. Der hatte den aus der Not geborenen Diebstahl lebensnotwendiger Dinge in seiner Silvesterpredigt 1946 gerechtfertigt und ihn damit im Volksmund zum Verb „fringsen“ gemacht.

Frauen im Dienst waren bei der Polizei lange eine Ausnahme

Was heute selbstverständlich ist, war übrigens lange die Ausnahme: Bis in die 1970er Jahre hinein gab es nur wenige Frauen bei der Polizei. Sie waren ihren männlichen Kollegen als weibliche Kriminalpolizistinnen nicht gleichgestellt. Ihre Einsätze blieben auf Sittlichkeits- und Jugenddelikte beschränkt.

Kawelovski plant ein Buch über die Geschichte der Mülheimer Polizei und sucht Fotos

Nachdem der Mülheimer Polizeiwissenschaftler Frank Kawelovski 2009 ein Buch über die Geschichte der Essener Polizei veröffentlicht hat, arbeitet er zurzeit mit Unterstützung des hiesigen Stadtarchivs an einem Buch über die Geschichte der Mülheimer Polizei, das Ende des Jahres erscheinen soll.

In diesem Zusammenhang bittet er alle Mülheimer, die über Foto- und Textdokumente aus der Mülheimer Polizeigeschichte verfügen, weil sie früher selbst bei der Polizei gearbeitet haben oder Angehörige haben oder hatten, die bei der Polizei gearbeitet haben, sich mit ihm in Verbindung zu setzen.

Wer Frank Kawelovski bei seiner historischen Recherche helfen kann und will, erreicht ihn per E-Mail: kawelovski@online.de Weitere Informationen zur nordrhein-westfälischen Polizeigeschichte bietet Frank Kawelovski auf seiner Internetseite: www.polizeigeschichte-infopool.de