Herne. Nach dem Anschlag in Magdeburg prüfen Städte ihre Konzepte gegen Lkw-Anschläge. Ein in Herne entwickeltes System wird bundesweit nachgefragt.

Fast genau auf den Tag acht Jahre ist es her, dass beim Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz 13 Menschen starben und 54 verletzt wurden. Der Anschlag mit einem geklauten Sattelzug hat nicht nur Entsetzen und Trauer ausgelöst, sondern die Verantwortlichen in den Städten mit der Frage konfrontiert, wie sie ihre Veranstaltungen gegen Lkw-Terror schützen können. Für Holger Wennrich, Geschäftsführer von Herne Stadtmarketing, lautete die Antwort: eine eigene Lösung entwickeln. Inzwischen ist sie unter der Bezeichnung „Herner Truck Sperren“ bundesweit im Einsatz, selbst international gibt es Interesse.

„Auch wir haben nach dem Anschlag von Berlin auf die Schnelle Maßnahmen getroffen, quergestellte Müllwagen oder wassergefüllte Container“, so Wennrich im Gespräch mit der Herner WAZ-Redaktion. Als er sich später auf dem Markt nach Lkw-Sperren umgeschaut habe, seien die Produkte immer auf irgendeine Weise ungeeignet gewesen. Er hatte genaue Vorstellungen, welche Anforderungen solche Sperren erfüllen müssen. Sie müssen Schutz vor einem Lkw-Angriff bieten, aber gleichzeitig so leicht sein, dass sie von einer Person bewegt werden können, damit eine schnelle Entfluchtung eines Geländes gewährleistet werden kann. Auch ein schneller Auf- und Abbau war wichtig.

Die Lkw-Sperren wurden in Herne entwickelt.
Die Lkw-Sperren wurden in Herne entwickelt. © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Trucksperren sollen die Geschwindigkeit eines Fahrzeug abbremsen

Mit diesen Spezifikationen holte er Christian Barz als Partner an Bord. Der Inhaber des Metallbaubetriebs Kostuj sollte die Sperren konstruieren. Das Ergebnis wurde zunächst in einer Simulationssoftware überprüft, danach führte ein Unternehmen in Münster einen realen Crashtest durch - der bestätigte das Resultat der Simulation. Das Video des realen Crashtetsts zeigt recht eindrucksvoll, wie ein Lkw mit 50 Stundenkilometern in die Sperre fährt, quasi aufgespießt wird und nicht mehr fahrbereit ist. Doch Wennrich und Barz waren sich im darüber im Klaren, „dass man sich nicht auf diese Laborbedingungen verlassen kann“. Deshalb entwickelten sie um die Sperren herum ein ganzes Einsatzkonzept. Kern ist eine „geschwindigkeitsverzögerende Maßnahme“: Mit einem Hindernisparcours werden Fahrzeuge auf wenige Stundenkilometer heruntergebremst.

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2018 hatten die „Herner Truck Sperren“ bei der Cranger Kirmes ihre Premiere, seitdem hat Christian Barz mit seinem eigens gegründeten Unternehmen „Herne Protect“ eine stetige Nachfrage. Zurzeit schützen die Sperren die Weihnachtsmärkte in Essen und Bremen, aber auch die VW-Autostadt in Wolfsburg hat welche geordert, ebenso wie die Bundeswehr oder Flughäfen. Erst im Sommer orderte Gelsenkirchen eine dreistellige Zahl für die Zeit der Fußball-Europameisterschaft, vor wenigen Tagen hatte Barz eine Kommune aus Hessen mit einer Anfrage in der Leitung.

Anfragen von der Fußball-WM, Landeskriminalamt und National Terror Council in England

Holger Wennrich hat mittlerweile rund 60 Städte beim Einsatzkonzept kollegial im Rahmen eines interkommunalen Austausches beraten, die Anfragen kämen aus ganz Deutschland. Mehr noch: Er habe Anfragen vom Technikdienstleister der Fußball-WM in Katar gehabt, ebenso vom englischen „National Terror Council“ oder von einem Landeskriminalamt zur Durchführung eines G7-Gipfels. Einige Anfrager seien erstaunt, wenn sie bei Stadtmarketing Herne landen.

Polizeibehörden empfehlen die Geräte

Auch verschiedene Polizeibehörden und Landeskriminalämter würden die Geräte kennen und empföhlen einen Kontakt nach Herne.  „Bei der Abwehr von Lkw-Angriffen hat sich das Herner Modell der geschwindigkeitsverzögernden Maßnahmen durchgesetzt. Die Menge an Sperren und das taktische Einsatzkonzept von Herne hat sich in der Region als eine Art Benchmark positioniert“, so Wennrich.

Das System aus Herne sei - gepaart mit einem durchdachten taktischen Konzept - bestens geeignet, um Anschläge mit Fahrzeugen abzuwehren, doch Wennrich und Barz sind sich - gerade vor dem Hintergrund des Messerattentats von Solingen - über eins im Klaren: „Kein Veranstalter kann eine komplette Sicherheit garantieren, und Straßensperren bieten leider nur Schutz gegen eine Anschlagsqualität von vielen.“