Herne. Am Sonntag feierten tausende Syrer den Sturz von Diktator Assad. Radwan Alnabelsi spricht über seine Freude und wie er über eine Rückkehr denkt.
Als am vergangenen Sonntag tausende Syrerinnen und Syrer in einem langen Autokorso durch Herne fuhren, da saß auch Radwan Alnabelsi in einem der Wagen und hat die Flucht von Diktator Assad gefeiert. Die Geschichte des Inhabers des Restaurants Syriana in der Herner Innenstadt und sein Blick nach vorn sind wie ein Brennglas auf die aktuell unklare Situation und die innere Zerrissenheit vieler syrischer Flüchtlinge.
In den letzten Tagen vor dem Sturz von Assad habe er vor Aufregung nicht mehr schlafen können. Als es dann soweit war, habe er gemischte Gefühle gehabt. „Soll ich weinen oder soll ich lachen? Die ganze Welt soll glücklich sein.“ Er glaube und hoffe, dass die Menschen in Syrien in Zukunft gut leben können.
Familie ist durch Flucht in viele verschiedene Länder zerstreut
Alnabelsis große Familie ist im Zuge des Bürgerkriegs durch Flucht in viele Länder zerstreut worden: Sudan, Ägypten, Saudi-Arabien, Kanada, Niederlande. „Und ich wohne mit meiner Familie in Herne.“ Seine Brüder seien nach wie vor in Syrien und hätten ihn während der aufregenden und historischen Tage mit Informationen versorgt. Auch sie seien sehr glücklich, weil jetzt ein neues Leben beginnen könne. Sie würden genauso feiern wie die Syrer in Deutschland und Herne. Aber er macht sich keine Illusion: Bis es eine neue Regierung geben werde, werde ein Jahr vergehen. „Niemand weiß, wer jetzt kommt und was passiert.“ Die Unsicherheit sei groß. Und das ganze Land sei kaputt. Aber eins steht für ihn fest: „Alles ist besser als Assad.“
Doch der Diktator lasse ihn immer noch nicht ganz los. Er habe inzwischen zahlreiche Videos von den Foltergefängnissen gesehen, deshalb plagten ihn manchmal Albträume, dass seine Kinder in den Gefängnissen seien. „Ich war schon so viele Jahre nicht mehr in Syrien, aber nach den Videos habe ich immer noch Angst“, so Alnabelsi.
IT-Fachmann flüchtete 2015 mit seiner Familie über die Balkanroute
Der heute 37-Jährige diplomierte IT-Fachmann kommt aus der syrischen Stadt Daraa und ist 2015 mit seiner Familie - seine Eltern, zwei Schwestern, seine Frau und seine Tochter - geflüchtet. Man könnte von der klassischen Route sprechen: über das Mittelmeer und die Balkanstaaten nach Deutschland. Der Beginn sei nicht einfach gewesen, erzählt er im Gespräch mit der Herner WAZ-Redaktion. Ein Jahr lang habe er nicht arbeiten oder studieren dürfen. Er habe beim Herner Ausländeramt gesagt, dass er arbeiten wolle, das sei aber zunächst abgelehnt worden. „Ich will aber arbeiten, ich kann nicht den ganzen Tag zu Hause sitzen.“
Deshalb blieb er hartnäckig und hatte Erfolg. Als er schließlich eine Arbeitserlaubnis hatte, habe er bei der Stadt Herne ein Gewerbe angemeldet, denn er habe schon ein Auge auf das Ladenlokal geworfen, in dem heute das Syriana ist. Doch bevor er sich selbstständig machen konnte, habe er einen Businessplan machen müssen - der bei der Wirtschaftsförderung durchgefallen sei. „Man hat mir gesagt, dass ich es nicht schaffe.“ Doch er selbst haben den Glauben nie verloren. Wenn er von dieser Phase erzählt, bekommt man eine Ahnung, wie viele Mühen und Ämtergänge es ihn gekostet hat, um das Syriana auf den Weg zu bringen.
Außerdem habe er alles über die Gastronomie in Deutschland lernen müssen: Wo bekommt er die Ware? Welche Vorschriften sind zu beachten, etwa bei der Hygiene? Welche Genehmigungen benötigt man? „In Syrien ist alles viel einfacher. Man mietet einen Laden und eröffnet.“ Und dennoch: Am 26. Juni 2017 hat er sein Restaurant eröffnet. Sein besonderes Ziel formulierte er schon damals im Gespräch mit der WAZ: „Natürlich will ich mit diesem Geschäft Geld für meine Familie verdienen, aber mein größtes Ziel ist das nicht. Ich will Deutsche und Syrer zusammenbringen“, so der damals 30-Jährige.
Heute beschäftigt er 15 Mitarbeiter und hat weitere Pläne
Und es läuft seitdem bestens. Die Tische des Restaurants sind immer gut belegt, an der Imbisstheke stehen die Kunde zu manchen Tageszeiten Schlange. 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt Alnabelsi, man kann ihn also als kleinen Mittelständler bezeichnen. Und er plant bereits weiter: Auch das benachbarte Ladenlokal (dort war früher Nudelland) hat er angemietet und will dort demnächst renovieren.
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Diese Pläne sind schon ein Teil der Antwort auf die Frage, ob Radwan Alnabelsi nach dem Sturz von Assad in seine Heimat zurückkehren will. Nein, er wolle in Deutschland bleiben, zumal er inzwischen eingebürgert ist. Außerdem hat er inzwischen zwei Söhne, die in Herne geboren sind und Syrien gar nicht kennen. Deshalb könne er die Entscheidung über eine Rückkehr doch gar nicht alleine treffen. Und es stelle sich die Frage, ob er sich nach fast zehn Jahren im Ausland überhaupt noch in Syrien zurechtfinden und sich wohlfühlen würde. „Vielleicht gefällt uns dort gar nicht mehr, außerdem haben wir inzwischen hier viele Freunde.“
Er schätzt, dass 80 Prozent der Syrer, die in Deutschland leben, zurückkehren wollen. Am besten sofort - doch in dieser Hinsicht ist er vorsichtig. Zurzeit sei die Lage in seinem Heimatland unklar, es gebe noch nicht genug Sicherheit. Man solle lieber warten, bis sich in vielleicht einem halben Jahr oder in einem Jahr ein klares Bild ergeben hat.
„Wir sollten Deutschland etwas zurückgeben“
Außerdem hätten die Syrer auch eine Verantwortung gegenüber Deutschland. „Deutschland hat uns Sicherheit gegeben, viele haben Arbeit bekommen, dann können wir nicht einfach so weggehen. Wir sollten diesem Land ein wenig zurückgeben.“ Alnabelsi nennt das Beispiel von syrischen Ärzten in deutschen Krankenhäusern. Wenn sie alle sofort heimkehren würden, gebe es in den Krankenhäusern große Probleme. Tatsächlich hat die Deutsche Krankenhausgesellschaft vor wenigen Tagen darauf hingewiesen, dass syrische Ärzte gerade in den Krankenhäusern kleinerer Städte wichtig für die Aufrechterhaltung der Versorgung seien. Und wenn er selbst gehen würde, stünden seine 15 Mitarbeiter auf der Straße. Und es gebe weitere Syrer, die sich selbstständig gemacht hätten.
Deshalb wundert er sich auch über die politische Debatte, ob syrische Flüchtlinge jetzt sofort in ihre Heimat zurückkehren sollen.