Herne. Neben einem Hüpfburgenpark in Herne steht ein Streichelzoo mit Kamelen, Kängurus und einer Tigerpython. Tierschützer sehen Tierwohl gefährdet.
„Darf ich die anfassen?“, wird ein Mitarbeiter von Circus Florida gefragt, der die 6-jährige Tigerpython Tonga um den Hals trägt. Sie ist Teil des Streichelzoos, das angekündigte „Highlight von Skippy‘s Kinderwelt“, der seit einer Woche auf dem Real-Parkplatz am Großmarkt 4 in Herne gastiert. Rund 40 Tiere von fünf Kontinenten stehen neben dem dazugehörigen Hüpfburgenpark auf dem asphaltierten Platz.
Bei Facebook hat genau das für Kritik gesorgt. Der Vorwurf: Tierquälerei, Ausbeutung und nicht-artgerechte Haltung. Ein User fragt sich: „Muss das im Jahr 2024 noch sein?“ Die Antwort vom Deutschen Tierschutzbund und der Tierrechtsorganisation Peta auf WAZ-Nachfrage ist eindeutig: „Nein.“
Hüpfburgenpark und Streichelzoo auf Real-Parkplatz in Herne
Für drei Wochen, vom 7. bis zum 30. Juni, steht der Hüpfburgenpark „Skippy‘s Kinderwelt“ in Herne. Seit 2011 gibt es den Circus Florida, der in ganz Deutschland unterwegs ist. Im Zuge finanzieller Engpässe hat dieser während Corona vor vier Jahren zusätzlich einen Hüpfburgenpark angeschafft. Seither gibt es Hüpfburgen im Sommer und einen Familienzirkus in den restlichen Jahreszeiten.
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Laut Julia Belles (18), Artistin und Pressebeauftragte des Betriebs, seien die rund 40 Tiere abhängig von der Jahreszeit eine Attraktion der Zirkus-Shows oder des Streichelzoos. Darunter sind neben domestizierten Tieren wie Hunde, Ponys, Alpakas und Kamele auch Känguru Skippy, Namensgeber der Kinderwelt, und Würgeschlange Tonga, eine Tigerpython. Wer auf einem Pony reiten, ein Foto mit der Tigerpython haben oder die Tiere füttern möchte, zahlt bis zu 5 Euro extra. Streicheln ist immer erlaubt.
Tierschutzorganisationen: Die gesetzliche Grundlage sei lückenhaft
„Hoffentlich ist das artgerecht“, schreibt eine Facebook-Userin. „Sonst dürfte das Kinderland ja auch nicht aufmachen“, weist Julia Belles auf das Gesetz hin und entgegnet im WAZ-Gespräch zusätzlich: „Wenn wir den Standort wechseln, überprüft uns das zuständige Veterinäramt.“ Geprüft werden unter anderem die Unterbringung und der Gesundheitszustand der Tiere. Auf Nachfrage bei der zuständigen Stelle teilt Svenja Küchmeister, Sprecherin des Kreises Recklinghausen, mit, dass bislang keine Prüfung des Betriebs an dem derzeitigen Standort durch das Veterinäramt stattgefunden habe, diese aber für Freitagnachmittag, 14. Juni, angesetzt sei.
„Das Veterinäramt kontrolliert auf Grundlage dessen, was gesetzlich zulässig ist und nicht, was wünschenswert ist“, ordnet Küchmeister ein. Hier liege nach Peta und dem Deutschen Tierschutzbund bereits ein grundlegendes Problem: Der gesetzliche Rahmen sei unklar, in weiten Teilen nicht gegeben und trage folglich nicht ausreichend zum Schutz der Tiere bei. Häufig gebe es für Tierarten nur Leitlinien für die Haltung, aber keine konkreten rechtlichen Vorgaben – wie zum Beispiel bei Ziegen, sagt Peter Höffken, Fachreferent für Tiere in der Unterhaltungsbranche bei Peta. Die Folge: „Häufig werden von Veterinärämtern auch schlechte Haltungsbedingungen abgenommen.“
Tierschutzorganisationen sehen Zirkusse mit Tieren kritisch
„Grundsätzlich sehen wir die Zurschaustellung von Tieren kritisch. Sie wird letztendlich zur Unterhaltung der Menschen angeboten, das Wohl der Tiere steht hinten an“, sagt eine Pressesprecherin des Deutschen Tierschutzbundes. Dem stimmt auch der Fachreferent von Peta zu und ergänzt: „Das hat nichts mit artgerechter Haltung zu tun. Die Tiere werden benutzt, um damit Geld zu verdienen.“
Noch kritischer als fest installierte Anlagen sehen die Tierschutzorganisationen Reisebetriebe wie Zirkusse. Fachreferent Höffken führt auf: Der begrenzte Platz auf den Festplätzen, die kleinen Gehege auf Asphalt, ohne Möglichkeit sich zu beschäftigen oder zu verstecken, der Lärm durch die Anlagen und Kinder, aber auch der wiederholte Umzug mit Auf- und Abbau und der Transport in einem engen Lkw, wenn ein Zirkus weiterzieht – das bedeute sowohl für Wildtiere als auch für domestizierte Tiere Stress.
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Schlechte Haltungsbedingungen bedeuten Stress für die Tiere
Julia Belles kann die Kritik nicht nachvollziehen: „Die Tiere stresst es nicht, weil sie es gewohnt sind und es nicht anders kennen.“ Stattdessen versuche der Zirkus, eine artgerechte Haltung zu gewährleisten, stelle beispielsweise sicher, dass genügend Wasser und Heu da ist, die Gehege sauber sind und Besucherinnen und Besucher die Gehege nicht betreten. Anfassen ist trotzdem erlaubt, mit Streicheleinheiten wirbt der Zirkus sogar. Und wem das nicht reicht, kann für ein paar Euro Pellets kaufen und die Tiere füttern. „Wir sagen den Kindern, sie sollen langsam auf die Tiere zugehen, die Hand flach hinhalten, damit sie schnuppern können. Die meisten Kinder sind vorsichtig und fragen, ob es okay ist, die Tiere zu streicheln.“
Peta-Fachreferent Höffken ist sich jedoch sicher: „Tiere können sich nicht daran gewöhnen, sie werden höchstens gebrochen und ertragen, was mit ihnen innerhalb der schlechten Haltungsbedingungen und Lärmkulisse gemacht wird.“ Und ordnet weiter ein: „Es ist Teil des Konzeptes, dass eine Tigerpython in Kontakt mit Menschen kommt.“ Das bedeute nicht nur Stress für die Schlange, sondern könne auch für Menschen, insbesondere Kinder, gesundheitliche Folgen haben. „Nach einer Studie des Robert-Koch-Instituts können sich Kinder in Kontakt mit Reptilien mit Salmonellen infizieren. Sie tragen die Keime an sich, übertragen sie, die Kinder fassen sich ins Gesicht und werden krank. Das ist eine unsichtbare Gefahr.“
Zur Kritik an der Haltung von exotischen Tieren führt Julia Belles an: „Viele Tierarten sind bedroht. Wir geben ihnen ein Zuhause. Ist es wirklich besser, wenn es gejagt wird? Hier bekommt es regelmäßig Futter und wird tierärztlich behandelt.“
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Zirkus ohne Tiere: Ist das möglich?
Einen Zirkus ohne Tiere könne sich Julia Belles trotz der Kritik nicht vorstellen: „Das wäre kein klassischer Zirkus, sondern ein Varieté. Tiere gehören für uns mit dazu. Es ist wie eine Schwester oder ein Bruder. Ohne sie würde etwas fehlen.“ Für die Zukunft hoffe sie, irgendwann einen eigenen Betrieb zu haben, der so groß ist, wie der ihres Schwiegeropas war. Dieser hatte unter anderem Dutzende Pferde und Tiger.
Einen Austausch scheue Circus Florida mit Kritikern nicht. Julia Belles betont: „Menschen, die wegen der Tiere nicht kommen, sollen sich ein eigenes Bild machen und sich nicht dafür schämen, mit ihren Kindern einen schönen Tag zu verbringen.“