Herne/Bochum. Nach eigenen Verlusten unterstützt Pfleger Benjamin Vogel (41) Schwerkranke und Sterbende in Herne und Bochum. Und wurde dafür ausgezeichnet.
„Der Tod gehört zum Leben wie die Geburt“, sagt Benjamin Vogel. Der 41-jährige gelernte Gesundheits- und Krankenpfleger arbeitet zurzeit als Palliativfachkraft und Heimleiter in der Seniorenresidenz Ludwig-Steil-Haus in Bochum. Seit Jahren engagiert er sich ehrenamtlich für die Palliativarbeit – und wurde nun dafür ausgezeichnet: mit dem dritten Platz als „Pfleger des Jahres“. Sein Ziel: das Thema Sterben und Tod enttabuisieren und Betroffene unterstützen. Dafür hat er unter anderem Deutschlands ersten Palliativgarten gegründet. Der WAZ-Redaktion erzählt er, warum er sich für das Thema einsetzt.
Umgang mit Verlusten durch Projekte
Der Hintergrund für sein Engagement in der Palliativarbeit ist tragisch, habe er selbst einige schmerzhafte Verluste erlitten. Vor 18 Jahren ist sein Sohn kurz nach der Geburt verstorben, wenige Jahre später die Mutter seines zweiten Sohnes, dann sein Vater an Corona. „Ich habe mir jemanden gewünscht, der die Situation versteht.“
Durch seine eigenen Schicksalsschläge habe sich sein Blick auf Sterben und Tod verändert. „Selbst fremde Kollegen sprechen ihr Beileid aus, aber niemand sucht wirklich das Gespräch.“ Es habe lange gedauert, bis er über den Tod seines Sohnes sprechen konnte.
„Den Tod an sich kann niemand verhindern. Er gehört zum Leben dazu“, sagt er. Wenn eine geliebte Person geht, sei das ein schreckliches Gefühl. „Trauern ist wichtig. Es ist aber auch möglich, etwas Positives daraus zu ziehen.“ Und das tut der 41-Jährige: Aus seinen Erfahrungen versucht er mit verschiedenen Projekten etwas Nachhaltiges für die Gesellschaft zu schaffen. Das gebe ihm Kraft im Umgang mit seinen Verlusten.
Schauspieler Jürgen Vogel unterstützt den Verein „Palliativberatung basis“
Im Jahr 2021 gründet er den Verein „Palliativberatung basis“. Ziel des Vereins ist es, Schwerkranke in ihrer letzten Lebensphase zu begleiten. Neben praktischer Hilfe für Betroffene ist der Verein auch aktiv in der Aufklärungsarbeit. „Sterben und Tod sind immer noch Tabuthemen in unserer Gesellschaft“, erklärt der 41-Jährige. Daran möchte er etwas ändern. Von Anfang an unterstützen auch prominente Gesichter den Verein, darunter sein Großcousin, der bekannte Schauspieler Jürgen Vogel, sowie Schauspielerin Janine Kunze.
„Palliativ heißt nicht, du stirbst in den nächsten Tagen. Ein ehemaliger Patient hat noch sechs Jahre gelebt“, erzählt Benjamin Vogel. Es sei zwar wichtig, Abschied zu nehmen, sich aber auch mit Wünschen und Vorstellungen auseinanderzusetzen. Aus diesem Gedanken ist vor zwei Jahren die Aktion „Lemontree“ entstanden.
Angelehnt an den weltbekannten Song „Lemon Tree“ der Band Fools Garden (1996) wurden mit Unterstützung von Sänger Peter Freudenthaler über 70 Zitronenbäume in Einrichtungen und Praxen aufgestellt. Bedürftige können dort ihre Wünsche aufhängen. „Wenn ich als Patient zu einem Arzt gehe, kann ich mir einen Wunsch nehmen, diesen erfüllen und zurückbringen.“
Ein Palliativgarten abseits der stationären Einrichtung
„Mein Vater ist an Corona verstorben. Vorher lag er isoliert auf einer Station“, erzählt er. Es sei schwer auszuhalten gewesen, ihn in seiner letzten Lebensphase nicht begleiten zu können. Für ihn war klar: „Ich lasse meinen Vater nicht alleine sterben – entweder komme ich rein oder er raus“, erinnert sich Vogel. Schließlich durfte er zu seinem Vater. „Zehn Minuten danach ist er verstorben.“
Diese Erfahrung wünsche er niemandem – und so ist im Jahr 2021 eine weitere Idee entstanden: Deutschlands erster Palliativgarten, in dem Menschen, die nur noch palliativ behandelt werden, mit Angehörigen und Freunden jenseits einer klinischen oder pflegerischen Einrichtung Zeit verbringen können. Dazu hat er eine Schrebergartenparzelle an der Holper Heide gekauft und barrierefrei umgebaut. „Es ist einer Spinnerei entsprungen, dass es auch anders gehen muss.“
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Der Palliativgarten soll schwerkranken Menschen und Angehörigen eine Abwechslung bieten und könne vielfältig genutzt werden: zum Entspannen, Lesen, Gärtnern, Kuchen essen, Gitarrenspielen oder für nette Gespräche. „Häufig reicht es aus, dort auf der Bank zu sitzen und etwas anderes zu sehen als das Pflegeheim oder das Krankenzimmer.“
Auszeichnung als „Pfleger des Jahres“
Vor acht Monaten habe er selbst eine schwere Diagnose bekommen: Parkinson. Als aktiver Pfleger darf er daher nicht mehr arbeiten. Obwohl er den Kontakt zu den Bewohnerinnen und Bewohnern vermisse, macht er weiter. „Ich würde am liebsten den ganzen Tag am Bett sitzen, aber das geht nicht, deswegen mache ich das anders.“
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Für sein Engagement zeichnete die Jury von „Herz & Mut“ Benjamin Vogel nun aus. Nominiert wurde er von einem ehemaligen Patienten. Mirjam Rienth, Inhaberin des Preisinitiators Jobtour medical, erklärt die Entscheidung wie folgt: „Benjamin Vogel lässt sich von biografischen Schicksalsschlägen nicht entmutigen. Im Gegenteil: Er zieht daraus die Kraft für großartige Ideen und nachhaltig wirkende Initiativen.“ Das Preisgeld in Höhe von 2000 Euro werde komplett in den Palliativgarten des Vereins fließen, sagt Vogel. Dieser ist komplett spendenfinanziert.
Die Auszeichnung zeige die gute Arbeit des Vereins, sagt Vogel, betont aber: „Es geht darum, das Thema in den Mittelpunkt zu rücken.“ Denn: „Sterben hat kein Alter. Jeder wird die Erfahrung irgendwann machen und die meisten nicht erst mit 100 Jahren, auch wenn sie das denken.“ Zum Ende des WAZ-Gesprächs fragt er daher: „Haben Sie denn eine Patientenverfügung?“
Der Preis „Pfleger/Pflegerin des Jahres“
Die Initiative „Herz & Mut“ hat am 11. Mai zum achten Mal Pflegekräfte aus ganz Deutschland für ihr besonderes Engagement ausgezeichnet. Der Pflege-Award „Pfleger/Pflegerin des Jahres“ wird von dem Personaldienstleister „Jobtour medical“ verliehen. Alljährlich anlässlich des Internationalen Tages der Pflege wählt eine achtköpfige Jury aus rund 1000 vorgeschlagenen Pflegerinnen und Pflegern jene aus, die ihre Arbeit auf besonders vorbildliche Weise ausüben. Als Pflegerin des Jahres wählte die Jury die 52-jährige Krankenschwester Stefanie Gierth aus Berlin. Seit Jahren hilft sie jungen Pflegekräften aus dem Ausland, in Deutschland in der Pflege arbeiten zu können und anzukommen.
Mirjam Rienth, Inhaberin des Preisinitiators Jobtour medical, hebt hervor: „Im Grunde verdient die gesamte Pflege eine Auszeichnung. Die Preisträgerinnen und Preisträger stehen stellvertretend für die vielen hervorragend qualifizierten, hoch motivierten und empathischen Pflegekräfte, die tagtäglich einen gesellschaftlich unverzichtbaren Beitrag leisten.“