Herne. Carsten Sußmann ist neuer Vorstand von Entsorgung Herne. Im WAZ-Interview spricht er über Gebühren, Sauberkeit und neue Wege für das Unternehmen.
Seit Jahresbeginn ist Carsten Sußmann (53) Vorstand von Entsorgung Herne. Im Gespräch mit WAZ-Redakteur Tobias Bolsmann spricht er über Gebühren, Sauberkeit in der Stadt und neue Wege für das Unternehmen.
Herr Sußmann, die Dieselpreise sind in den vergangenen Tagen, aber auch schon Monaten in die Höhe geschossen. Müssen sich die Herner angesichts des hohen Anteils der Dieselfahrzeuge in der Flotte von Entsorgung Herne auf eine außerordentliche Gebührenerhöhung einstellen?
Sußmann: Steigende Kosten haben generell immer Auswirkungen auf die Gebühren. Es ist nur die Frage, wie extrem diese Auswirkungen sind. Wir haben bei Entsorgung Herne einen Dieselverbrauch von 375.000 Litern im Jahr. Vor drei Jahren lag der Dieselpreis noch bei einem Euro. Es ist klar, dass es Auswirkungen hat, wenn der Preis auf mehr als das Doppelte steigt. Aber es gibt ja mehrere Stellschrauben. Wir haben auch bei den Erlösen eine extreme Achterbahnfahrt erlebt. Zum Beispiel beim Papier. Da lag der Preis vor zwei Jahren fast im Zuzahlungsbereich je Tonne. Mittlerweile bekommt man für die Tonne rund 200 Euro. Man muss am Ende eines Jahres einen Strich unter die Rechnung setzen und sehen, was rauskommt.
Bleiben wir bei den Gebühren: Ende des Jahres wurde mitgeteilt, das verschiedene Gebühren steigen. Dazu gab es teilweise Kritik, weil den Gebühren keine oder schlechte Leistungen gegenüberstehen. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?
Grundsätzlich kann ich jede Kritik nachvollziehen, besonders dann, wenn sie sich um die Frage dreht, welche Leistung man für die Gebühr erhält. Aber beim Thema Gebühren spielen ja viele Faktoren eine Rolle, zum Beispiel, wie sich die Personalkosten entwickelt haben. Auch die neue Wertstofftonne spielt da eine Rolle. Und in der Omikronwelle hatten wir krankheitsbedingte Ausfälle, sodass Reviere nachgefahren werden mussten.
Große Kritik gab es im vergangenen Winter am Winterdienst von Entsorgung Herne...
...2010 gab es einen außergewöhnlich strengen Winter, dann war zehn Jahre gefühlt für den Bürger in unserer Stadt Ruhe, was nicht ganz stimmt. Auch im laufenden Winter hatten wir acht Tage mit Volleinsatz und 38 Touren, bei denen wir Brücken gestreut haben. Nach den extremen Schneefällen im vergangenen Winter haben wir uns intensiv mit Optimierungsmaßnahmen für den Winterdienst auseinandergesetzt. Wir müssen den Personaleinsatz überarbeiten und wir müssen sehen, was wir bei der Technik tun können. Es bleibt die Frage, in welchem Umfang man angesichts der doch eher milden Winter aufrüsten will. Man kann ja nicht allein für einige extreme Wintertage mehr Personal einstellen. Und neue Fahrzeuge müssen mit Fahrern besetzt werden. Allerdings bleibt festzuhalten: Hätten wir wieder so einen Winter gehabt wie im vergangenen Jahr, dann wären einige Dinge besser gelaufen. Das große Störgefühl bei den Menschen angesichts von Schneemassen wäre aber das gleiche geblieben.
Die Frage stellt sich, was die Bürger beitragen können, damit die Gebühren im Rahmen bleiben. Es gibt die Kampagne „Herne blitzblank“, aber angesichts von weggeworfenen Dingen und wilden Müllkippen ist die Stadt alles andere als blitzblank...
...Wir haben ja seit einigen Jahren zwei Mülldetektive im Einsatz. Die leisten sehr gute Arbeit. Eins der Hauptprobleme im Stadtgebiet sind die Container-Standorte. Es gibt eine Rangliste, nicht nur für Herne, welche Containertypen den meisten Abfall anziehen. Ganz oben ist Papier, dann Altkleider, danach Glas. Beim Papier sind in der Coronazeit noch vermehrt große, sperrige Verpackungen dazu gekommen. Das führt manchmal dazu, dass der Container gar nicht voll ist, aber die Pappe hat sich so verkantet, dass für andere Leute der Container voll erscheint. Das führt dazu, dass Sachen daneben gestellt werden. Da überlegen wir, ob wir die größten Schandflecke bei den Standorten anders gestalten, etwa mit Unterflur-Systemen. Es gibt für das Müllproblem nicht die eine Lösung. Obwohl die Zahl der wilden Müllkippen steigt, bleibt Entsorgung Herne mit einem Bündel von Maßnahmen zur Verbesserung der Stadtsauberkeit immer am Ball.
Gibt es noch andere Ansätze?
Mein Steckenpferd lässt sich mit dem Satz „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ auf einen Nenner bringen. Bereits seit vielen Jahren bietet Entsorgung Herne Bildungsarbeit für Kinder, Jugendliche aber auch für Erwachsene an. Vorschulkinder und Schulklassen können sich in umweltpädagogischen Lernspielen und Unterrichtseinheiten mit abfallrelevanten Themen auseinandersetzen. Für Jugendliche und Erwachsene bieten wir Workshops zu Themen wie Upcycling und Plastik vermeiden an. Besonders gut angenommen werden unsere Tausch- und Verschenkmärkte. Wir wollen unsere Bildungsarbeit noch ausbauen. Dabei setzen wir auf pfiffige Ideen und interessante Themen. Vielleicht bekommen wir so wieder mehr Bewusstsein dafür, dass man Abfall nicht einfach in die Gegend schmeißt.
Würde zum Beispiel beim Thema Altpapier ein Appell helfen, dass man Pappe am Wertstoffhof ja kostenlos abgeben kann?
Es gibt verschiedene Kanäle, um Informationen zu transportieren. Und da setze ich auch eine Hoffnung auf Social-Media-Kanäle. Wir denken darüber nach, als Entsorgung Herne in diesem Bereich aktiv zu werden. Wir sind kurz vor meinem Abschied in Bottrop mit Facebook gestartet. Dort sind die Erfahrungen positiv.
Schauen wir weiter nach vorne. Digitalisierung ist eins der Megathemen. Wird in Zukunft jede Müll- und Wertstofftonne einen Funkchip haben, damit sie sich meldet, wenn sie voll ist?
(Lacht) Ich sage immer scherzhaft: Am idealsten ist es, wenn der Bürger eine Erinnerung bekommt: „Achtung, in 50 Leerungen sind wir bei Ihnen“. Wie beim Paketdienst. Aber wir setzen woanders an. Wir wollen unsere Fahrzeuge mit Tablets ausstatten, auf denen die Besatzung die Routenführung erkennen kann. Nicht jeder Mitarbeiter fährt immer die gleiche Route. Auch Hinweise auf Baustellen können angezeigt werden. Oder man kann mit einer Kamera eine wilde Müllkippe fotografieren, um sie später zu beseitigen. Außerdem wäre es gut, wenn wir alle Container- und Mülleimerstandorte in digitaler Form vorliegen haben. Das hilft bei der Einsatzplanung. Im Zuge der Digitalisierung in der Stadt insgesamt könnten wir auch als Dienstleister auftreten. Entsorgung Herne ist ja im ganzen Stadtgebiet unterwegs. Und da stellt sich die Frage, ob wir nicht Daten generieren können, die für die Stadt wichtig sind. Das fängt bei banalen Dingen an wie Schilder- und Straßenerkennung, um Erkenntnisse über deren Zustand zu gewinnen.
Mehr Sauberkeit in der Stadt zu erreichen - das ist ein dickes Brett, was Sie bohren müssen...
...es ist aber eins der wichtigsten Ziele. Denn Sauberkeit ist mit dem Thema Sicherheit verbunden. Wenn man durch eine Straße läuft, wo links und rechts der Abfall liegt, fühlt man sich deutlich unwohler als auf einer sauberen Straße.
Und wenn man höhere Bußgelder festsetzt?
Es gibt keine generelle Lösung. Wir sind seit 2017 mit den beiden Mülldetektiven unterwegs. In der Zeit haben wir rund 4800 Bußgeldverfahren eingeleitet, von denen 2000 leider eingestellt worden sind. Aber in Summe haben wir durch die Mülldetektive 156.000 Euro Bußgelder vollstreckt.
Als weiteres Ziel hat Entsorgung Herne klimaneutrale Ausrichtung formuliert. Entsorgung Herne testet ja einen Prototypen, der mit Wasserstoff angetrieben wird...
...mit welcher Art von Fahrzeug wir unterwegs sind, ist dem Bürger zunächst egal. Wenn montags die Tonne geleert werden soll, dann möchte er, dass das auch montags geschieht. Entsorgung Herne ist einen mutigen Weg gegangen, indem man gesagt hat, dass man 13 Wasserstofffahrzeuge anschafft. Die ersten sechs sollen Mitte des Jahres geliefert werden. Wir haben aufgrund der unterschiedlichen Erfahrungen in anderen Städten entschieden, die sechs Fahrzeuge zunächst zu testen, um dann zu sehen, ob wir die restlichen auch bestellen oder auf andere alternative Antriebsarten setzen.
>>> LANGJÄHRIGE ERFAHRUNG IN DER BRANCHE
■ Carsten Sußmann war vor seinem Wechsel nach Herne Vorstand der Bottroper Entsorgung und Stadtreinigung. Und hat weit mehr als 20 Jahre Erfahrung in der regionalen Entsorgungswirtschaft.
■ Der Chemietechnik-Ingenieur und Betriebswirt lebt in Herten.