Herne. Eine der beliebtesten Geschichten aus 2021: Zwei Herner Wertstoffhof-Mitarbeiter erzählen von betrügenden Rentnern und ausgedienten Sexpuppen.
Zum Jahreswechsel veröffentlichen wir einige unserer meistegelesenen Texte aus 2021 neu. Viel Spaß beim Lesen und ein frohes neues Jahr wünscht Ihre WAZ Herne!
„Hallo, wat ham wa?“, ruft Martin Sieland in das Auto hinein, das gerade vor der Schranke hält.„Restmüll“, antwortet der Fahrer. Sieland wirft einen Blick in den Kofferraum: „Ja, Das sehe ich genauso! Einmal fünf Euro, wenn’s keine Umstände macht.“ Bereits seit sieben Jahren arbeiten Martin Sieland (51) und Sven Köster (44) im Kassenhäuschen des Wertstoffhofs Herne. Im Pausenraum erzählen sie von ihrem kuriosen – und oft konfliktreichen Alltag.
Warum arbeiten Sie an der Kasse des Wertstoffhofs?
Sven Köster: Die Arbeit an der Kasse macht am meisten Spaß, weil man immer was zu lachen hat. Es ist sehr abwechslungsreich, gerade wenn verschiedene Charaktere aufeinanderprallen. Aber man muss auch ein dickes Fell haben und darf den Humor nicht verlieren. Was mich nervt: Wenn Leute versuchen, sich eine Dienstleistung zu erschleichen, also uns zu betrügen.
Martin Sieland: Ich war früher Müllwerker, bin aber aufgrund der körperlichen Belastung bei der Müllabfuhr zum Wertstoffhof gewechselt. Ich habe schon viele Stationen durchlaufen und fühle mich hier am wohlsten. Wir müssen immer einen lustigen Spruch auf den Lippen haben, dat ist halt so. Wir haben den Laden ganz gut im Griff, gehen auf die Bürgerinnen und Bürger ein – das ist sehr angenehm, da wir hier ganz viele nette Menschen haben.
Mit welchen Anliegen kommen die Leute?
Sieland: Meist Sperrmüll oder Grünabfall. Ältere Menschen kommen, weil sie sich gern mal unterhalten. Wie an der Fleischtheke haben wir auch hier unsere Stammkunden. Viele Rentner sind lieb, ein paar auch echt griesgrämig. Wir haben so eine Oma, die ist immer sehr erbost. Wenn zwei Kunden vor ihr in der Schlange sind, fängt sie an zu hupen. Da kannste die Uhr nach stellen: Immer donnerstags, 14 Uhr, kommt sie und bringt ihre zwei gelben Säcke, anstatt sie einfach vor die Tür zu stellen. Nee, da kommt sie lieber hier hin, vielleicht genießt sie die Aussicht über den Platz.
Hätten Sie noch ein Beispiel?
Sieland: Einmal kam einer mit einem dicken Mercedes an. Ich fragte: ,Wat haste?‘ – ,Holz.‘ Ich guckte ins Auto: ,Da ist nichts drin!‘ Der Rentner hat mir richtig Zunder gegeben: ,Guck richtig rein!‘ Dann drehte er sich um und bemerkte: ,Dat habe ich wohl vor der Garage vergessen.‘ Ein anderer Mann sagte mir mal: ,Ich habe hinten Sperrmüll.‘ Ich suchte im Kofferraum. Der Mann sagte: ,Guck auf dem Anhänger!‘ – ,Was für ein Anhänger?‘ Er hatte den Anhänger nicht richtig befestigt und so zu Hause vergessen.
Welche Konflikte entstehen an der Kasse?
Köster: Wir entsorgen nur für Privathaushalte, trotzdem kommen Gewerbetreibende und versuchen, ihre Sachen abzuladen – die erzählen uns die tollsten Geschichten: Dass die drei Gärten und fünf Häuser haben. Im Zweifel fragen wir bei der Straßenverkehrsüberwachung nach, ob der Wagen gewerblich oder privat gemeldet ist. Wenn eine Person auffällig oft große Mengen ablädt, sagen wir: ,Suchen Sie sich einen anderen Entsorger‘.
Sieland: Das ist dann auch Steuerhinterziehung, weil wir ja keine Mehrwertsteuer drauf rechnen. Hier in Herne haben wir beispielsweise viele Entrümpler, die machen für viel Geld die Wohnung einer Oma leer und wollen das dann für wenig Geld hier abladen. Aber wir erkennen die schon an der Art, wie die Möbel zusammengeklappt sind.
Wo entstehen noch Konflikte?
Köster: Viele Leute sind im Bereich Mülltrennung unwissend.
Sieland: Beispielsweise kam mal ein Mann mit einer Matratze und bestand darauf, dass das Textilie sei. Ich diskutierte mit ihm fünf Minuten, gab dann nach und sagte, er könne die Matratze im entsprechenden Container entsorgen. Er hat dann tatsächlich eine Viertelstunde lang versucht, die Matratze in die kleine Öffnung des Altkleidercontainers zu drücken – und mich gefragt, ob ich ihn verarschen will. Ich sagte ihm, er habe mit dem Mist schließlich angefangen.
Was reizt die Leute so?
Sieland: Die Abweisung, wenn wir etwas nicht annehmen. Müll ist eben teuer. Wo wir für den Kubik fünf Euro nehmen, nehmen andere Entsorger vielleicht 25 Euro.
Köster: Wir haben mal einen 3,5-Tonner mit Kofferaufbau weggeschickt, der voll bis obenhin mit Sperrmüll war. Beim anderen Anbieter musste der 300 Euro für die Entsorgung zahlen.
Was machen die Leute denn, um Geld zu sparen?
Sieland: Der Bürger ist ja nicht dumm. Es gibt Rentner, die uns betrügen. Was wir sehen dürfen, wird im Anhänger schön nach vorn gepackt, der Problemabfall, wie Autoreifen, versteckt. Vor kurzem kam einer und gab an, Grünabfall geladen zu haben. Ich schaute auf die Ladefläche, dann schaute ich nochmal: ,Das sind doch Plastikpflanzen!‘ Er guckt mich an. ,Ja. Aber ist doch grün.‘ Dann sah ich in die mitgebrachten Säcke: Um 2,50 Euro zu sparen, hat er wirklich Zweige so in die Säcke gesteckt, dass es nach Grünabfall aussah.
Köster: Als wir ihm erklärten, dass der Sperrmüll fünf Euro kostet, fragte der Rentner allen Ernstes: ,Glaubst du, ich will dich um 2,50 Euro bescheißen?‘ Der Kollege sagte: ,Ja‘.
Was unternehmen Sie in solchen Fällen?
Köster: Wenn wir beim Kontrollieren feststellen, dass uns von vornherein nicht die Wahrheit gesagt wurde, gucken wir den Rest gar nicht nach. Anhänger zu und auf Wiedersehen! Manchen wird auch Hausverbot erteilt.
Sieland: Wir versuchen die Konflikte vernünftig zu lösen, mit Fingerspitzengefühl und Ruhe – das bringen Alter, Erfahrung, Weisheit mit sich (lacht). Aber wenn es zu sehr eskaliert, holen wir die Polizei dazu. Wir haben hier regelmäßig Besuch von den Herren Uniformierten.
Was kommt auf den Wertstoffhof?
Der Wertstoffhof an der Meesmannstraße nimmt nur Abfälle von Privatleuten an, die in Herne leben.
Zu den kostenlosen Fraktionen zählen: Altpapier, Schadstoffe, Elektro, Gelber Sack. Auf Holz, Sperrmüll und Grünabfälle werden Gebühren erhoben.
Kommunen, die keine Gebühr beim Wertstoffhof nehmen, erheben entsprechend eine höhere Müllabfuhr-Gebühr.
Inwieweit eskalieren diese Konflikte?
Köster: Es gibt Beleidigungen, Drohungen: ,Ich mach‘ dich platt‘. Wir haben schon mit Kunden Nase an Nase gestanden.
Sieland: Mir sagte einer: ,Wenn ich dich mal privat sehe, schlitze ich dir die Kehle auf!‘ Ich habe dann Anzeige erstattet, aber die ist im Sand verlaufen. Bisher ist hier Gott sei dank nichts Schlimmeres passiert – das verdanken wir unserem Auftreten und der Menschenkenntnis. Wenn wir zurückschrecken, haben wir ein Problem. Dann denken die, die könnten alles mit uns machen.
Arbeiten hier auch Frauen?
Sieland: Ab und an, aber ich würde die Kollegin da nicht allein lassen. Wir sind immer zu zweit an der Kasse.
Köster: Es gibt immer noch Leute, die weniger Respekt vor Frauen als vor ausgewachsenen Männern haben. Die meinen, sie können bei einer Frau den Larry raushängen lassen, das machen sie bei uns gedämpfter.
Wie verarbeiten Sie solche Konfrontationen?
Köster: Wir beide unterhalten uns viel an der Kasse über die Begegnungen, die wir gerade hatten. Dann geh’ ich mir eine qualmen. Dann ist das Thema gegessen. Ich nehme so einen Mist nicht mit nach Hause.
Sieland: Das kann man auch gar nicht – dann bekommt man den Kopf nicht mehr frei.
Was war die kurioseste Geschichte, die Sie an der Kasse mitbekommen haben?
Sieland: Einmal kam jemand und hat seine Freundin hier entsorgt.
Eine Gummipuppe?
Sieland: Aber eine richtig Feine. Die Sexpuppe hatte wohl ausgedient. Der Kunde erklärte: ,Die ist von meinem Chef!‘ – Alles klar.
Köster: Noch viel interessanter ist, wenn die Leute hier ihr Sexspielzeug abgeben, weil die Batterien alle sind.
Sieland: Ein Rentner hat mal den Sperrmüll- mit dem Holz-Container verwechselt. Als ich versucht habe, den Beutel wieder rauszuziehen, riss dieser auf. Da purzelten Pornos aus den Achzigern raus. So einen roten Kopf habe ich noch nie gesehen. Zu den anwesenden Frauen sagte er: ,Das sind nicht meine, die bringe ich nur für einen Kollegen weg‘.