Hattingen. Ein kleines Mädchen aus Hattingen wird vom neuen Freund der Mutter missbraucht. Beim Urteil spielt auch das Jugendamt eine Rolle.
Es war das wohl außergewöhnlichste Urteil des Jahres: Nach dem Missbrauch seiner Stieftochter muss ein Sexualstraftäter aus Hattingen die Stadt nun zügig verlassen. Das hat das Essener Landgericht entschieden. Sollte sich der Angeklagte weigern, muss er ins Gefängnis.
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Die Richter haben dem 44-Jährigen eine Frist von vier Monaten gesetzt – beginnend ab Rechtskraft des Urteils. Die Strafe selbst fiel dagegen eher milde aus. Die Richter der 5. Strafkammer beließen es bei zwei Jahren Haft auf Bewährung.
Mutter und Tochter zogen weg
Hintergrund der ungewöhnlichen Entscheidung sind Abläufe beim Hattinger Jugendamt, für die die Richter keinerlei Verständnis zeigten, die aber im Prozess nicht aufgeklärt werden konnten. Fakt ist: Nach Bekanntwerden des Missbrauchsskandals hatte sich die Mutter des anfangs erst achtjährigen Mädchens offenbar gezwungen gesehen, aus Hattingen wegzuziehen – zum Schutz ihrer Tochter.
„Sie haben sexuelles Interesse an dem Mädchen entwickelt und es zur eigenen Lustbefriedigung missbraucht und zum Objekt degradiert.““
Die beiden leben heute in einer anderen Stadt, in der die Schülerin aber laut Urteil überhaupt nicht klarkommt. Ihre Freundinnen sind nicht mehr da, in der Schule gibt es ebenfalls Probleme. „Da läuft es überhaupt nicht“, sagte Richter Volker Uhlenbrock beim Urteil. Warum das Opfer die Stadt verlassen müsse – und nicht der Täter – erschließe sich der Kammer nicht. „Das darf so nicht sein. Die Opferfamilie muss selbst entscheiden können, wo sie leben möchte.“
Missbrauch am Wochenende
Mit dem Urteil soll das nun geändert werden. Der Angeklagte hat sich auch schon bereiterklärt, der Anordnung Folge zu leisten. „Ich werde alles tun, damit es dem Mädchen wieder besser geht“, sagte er den Richtern.
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Der 44-Jährige hat gestanden, sich an mindestens vier Wochenenden an der Schülerin vergangen zu haben. Sie sollte zu ihm ins Bett kommen. Auch Sexspielzeug wurde eingesetzt.
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„Sie haben sexuelles Interesse an dem Mädchen entwickelt und es zur eigenen Lustbefriedigung missbraucht“, so Uhlenbrock. Die Schülerin sei zum „Objekt degradiert“ worden. Das sei umso schlimmer, weil sie ihn schon als Vater anerkannt habe. Dieses Urvertrauen eines Kindes habe der 44-Jährige ausgenutzt.
Opfer macht sich schwere Selbst-Vorwürfe
Was besonders traurig ist: Das Mädchen hatte sich später selbst schwere Vorwürfe gemacht und bei einer ihrer Vernehmungen sogar zugunsten des Angeklagten gelogen. Bei der Polizei soll sie unter anderem diese Worte gesagt haben: „Ich habe die Familie kaputtgemacht.“ Und: „Ich möchte nicht, dass er ins Gefängnis kommt.“
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Der Angeklagte selbst hatte im Prozess so viele Tränen vergossen, dass im Urteil von einer „übertriebenen Weinerlichkeit“ und zu viel „Selbstmitleid“ die Rede war. „Ich hasse mich“, hatte der Angeklagte mehrfach erklärt. „Ich habe Angst davor, morgens aufzuwachen.“ Seine anfängliche Erklärung, dass das kleine Mädchen die Initiative übernommen habe, hat er im Laufe des Prozesses zurückgenommen.
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Mit dem Urteil blieben die Richter deutlich unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft, die dreieinhalb Jahre Gefängnis gefordert hatte. Sie werteten eine Sprachnachricht an die Schülerin als ernsthaftes Bemühen um einen sogenannten Täter-Opfer-Ausgleich, der die zweijährige Bewährungsstrafe möglich gemacht habe.
Noch ist das Urteil allerdings nicht rechtskräftig. Ob die Staatsanwaltschaft Revision einlegen wird, bleibt abzuwarten.