Gladbeck. Aus der Produktion im Pilkington-Werk Gladbeck gleiten stündlich zwei Glasbänder von einem Kilometer Länge. Die WAZ lud zur Besichtigung ein.
Glas ohne Ende – 800 Tonnen oder 80.000 Quadratmeter produziert Glashersteller Pilkington täglich für die Bau- und Autoindustrie auf zwei Floatglaslinien in seinem Werk an der Hegestraße in Gladbeck. 365 Tage im Jahr, 15 Jahre lang ohne eine Pause! Hintereinandergelegt würde sich Tag für Tag eine gut drei Meter breite Glas-Strecke von Gladbeck bis ins Centro in Oberhausen ergeben. Wie die Produktion bei Pilkington funktioniert, was im Detail dahinter steckt, und warum es Sorgenfalten bei den Pilkington-Chefs gibt angesichts der aufziehenden Energiekrise – das erfuhren zehn WAZ-Leser bei einer exklusiven Werksbesichtigung anlässlich der Aktion „WAZ öffnet Pforten“.
Am Anfang der Besichtigung steht ein Marsch über das rund 340 Hektar große Firmengelände, das unscheinbar jenseits der Hegestraße verborgen hinter viel Grün liegt, um an den Ausgangspunkt, dem Herzstück der beiden rund einen Kilometer langen Produktionsstraßen zu kommen. Hier, hinten im Wiesenbusch, liegen die zwei Schmelzwannen, in die der Rohstoff – hauptsächlich Quarzsand vom Silbersee in Haltern – fließt, und den der Brenner bei satten 1600 Grad in flüssiges Glas verwandelt, wie Rolf Mätzkow, stellvertretender Werksleiter, erläutert.
Pilkington-Werk: Im Schmelzofen sorgt der Brenner für eine Temperatur von 1600 Grad
Beim Vorbeigehen können die Pilkington-Gäste die Hitze mehr als deutlich spüren – und sehen: Mit einem Augen-Schutzschild dürfen sie einen Blick in einen der beiden Schmelzöfen werden. Tina Knoth, die stellvertretende Produktionschefin, erläutert den Besuchern, dass zur Reduzierung des Energieeinsatzes auch Scherben, altes Glas (aber nicht das aus Glascontainern!) genutzt wird – etwa 25 Prozent der nötigen Rohstoffmenge. „Glas schmilzt bei niedrigerer Temperatur, damit viel schneller und das bedeutet für uns eine deutliche Energieeinsparung“, so Knoth.
Hier an den Brennern der Floatglasanlage sitzt auch die Rauchgasreinigungsanlage, an die die zwei 134 Meter hohen Kamine angeschlossen sind. Mindestens 95 Prozent der Schadstoffe werden aus der Abluft herausgefiltert, erklärt Rolf Mätzkow. Das etwa aus der Entschwefelungsanlage gewonnene Gips wird der Produktion wieder zugeführt, Prozesswärme wird zur Beheizung der Gebäude und zur Warmwasserversorgung genutzt.
Das flüssige Glas breitet sich im zweiten Produktionsschritt in der Zinnwanne aus
Zurück zum Produktionsprozess: Das flüssige Glas fließt aus der Schmelzwanne (1800 Tonnen liegen ständig in jeder der beiden Wannen) ins Zinnbad, wo es sich ausbreitet, erkaltet und erstarrt. Hier wird auch die Stärke, die Dicke des Glases bestimmt: Das Pilkington-Werk kann Glas von nur 1,5 Millimeter Dünne bis zu 12 Millimeter, in Ausnahmefällen auch 15 Millimeter Dicke fertigen.
Am Zinnbadausgang ist das Glas erstmals sichtbar – ein nicht enden wollendes Glasband erscheint und wird vollautomatisch immer weiter über die Produktionsstraße „geschoben“. Hier am Zinnbadausgang ist das Glas immer noch 630 Grad warm. „Auf keinen Fall anfassen“, warnt Sicherheitschef Stefan Kordell. Das Glas schimmert leicht grün. „Dafür sorgt das natürliche Eisen im Quarzsand“, so Knoth. Pilkington produziert in Gladbeck zu etwa 20 Prozent Grünglas und zu 80 Prozent Klarglas, wozu der Quarzsand vorab bearbeitet wird. Am Ende des Kühlkanals hat die Temperatur des Glases 200 Grad erreicht.
Die Produktionsanlage schneidet automatisch schadhaftes Glas hinaus
Das Glasband läuft danach durch eine elektronische Qualitätskontrolle, bei der auf kleinste Fehler im Glas geachtet wird, die am Ende der Produktionsstraße, so Mätzkow, herausgeschnitten werden. Dort wird das inzwischen komplett erkaltete Glas (ein Kilometer Glas wird pro Stunde hergestellt!) für den Vertrieb geschnitten: Glasscheiben meist in der Größe von 3,21 mal 6 Meter, etwa 20 Quadratmeter. Bei einer Dicke von 4 Millimetern wiegt eine solche Glasscheibe 200 Kilo. Zwanzig Tonnen Glas fasst ein Lkw. Täglich verlassen 80 bis 90 Lkw das Werk mit Glas, das zur Weiterverarbeitung transportiert wird. Der Rest wandert aufs Lager – in Gladbeck befindet sich mit 60 Tonnen Glas das größte Lager der japanischen NSG-Group in Europa, zu der Pilkington gehört.
Peter Engel aus Gladbeck, der mit seinem Sohn Maximilian bei der „WAZ-öffnet-Pforten“-Besichtigung dabei ist, zeigt sich begeistert von der Produktion. Bislang sei er immer nur an dem Glaswerk vorbeigefahren, „jetzt einmal alles zu sehen, ist faszinierend.“ Julia Aretz und Holger Hein aus Oberhausen, beide Ingenieure, finden vor allem die Technik interessant. Ursula Zogas aus Bochum ist beeindruckt von der Dimension der Anlage, Friedhelm Schulz-Wojak freut sich, dass „alles so gut erklärt wurde“.
Allein das Gladbecker Pilkington-Werk verbraucht täglich 250.000 Kubikmeter Gas
Das Pilkington-Team gibt das Lob zurück und freut sich über „äußerst interessierte Besucher, die ansprechende Fragen stellen“, so Personalchef Michal Kolpack, der darauf hinweist, das Pilkington allein in Gladbeck 500 Mitarbeiter, davon übrigens nur 23 Frauen, beschäftigt. „Wir suchen, wie viele andere Unternehmen auch, inzwischen in allen Bereichen ständig neue Mitarbeiter.“ In nächster Zeit würden nur aus Altersgründen jährlich 12 bis 15 Mitarbeiter den Werksstandort verlassen.
Sorgen bereitet der Pilkington Holding GmbH die aufziehende Energiekrise. 250.000 Kubikmeter Gas benötigt das Unternehmen allein in Gladbeck täglich für die Produktion. Würde die Gasversorgung ausfallen, wäre das bitter für den Glashersteller: Die Produktion käme zum Erliegen, so Rolf Mätzkow. Man hoffe in einem solchen Notfall auf so viel Gas, um wenigstens die beiden Schmelzwannen für einen gewissen Zeitraum warmhalten zu können. Innerhalb von drei Monaten könne man das Warmhalten auf Öl umstellen, „aber an eine Produktion ohne Gas ist nicht zu denken“.
Ziel aller Bemühungen (Versuchsprojekt zur Nutzung von Wasserstoff, elektrische Zusatzbeheizungen) sei, sich breiter aufzustellen und nicht nur von nur einem Energieträger abhängig zu sein. „Übrigens nicht erst seit dem Ukrainekrieg und der Energiekrise“, so Mätzkow.