Gelsenkirchen. Politische Machtverschiebung in Gelsenkirchen: Von der einstigen SPD-Hochburg ist nicht mehr viel übrig. Wie vor allem die AfD davon profitiert.

Jetzt manifestiert sich, was sich nach der Europawahl im vergangenen Jahr bereits deutlich abzeichnete: Die politischen Verhältnisse in Gelsenkirchen haben sich nachhaltig und gewaltig verändert. Von der einstigen Hochburg der Sozialdemokratie ist kaum noch etwas übrig - auch wenn Markus Töns (SPD) das Direktmandat gewonnen hat. Und das hat allen voran einen Grund: die Migrationsfrage!

Natürlich kommt in Gelsenkirchen, einer Stadt, in der fast die Hälfte des 1,4 Milliarden Euro großen Etats in Transferleistungen fließen, auch die katastrophale wirtschaftliche Gesamtlage hinzu. Dass Gelsenkirchen aber eine der ärmsten Städte Deutschlands ist, ist nicht neu. Die vielfach beschriebenen Probleme, die sich insbesondere mit dem vergleichsweisen sehr großen Zuzug von Armutszuwanderern aus Südosteuropa ergeben, sind in den vergangenen Jahren indes immer deutlicher geworden. „Der soziale Frieden ist in Gefahr“, mahnen daher auch schon längst Sozialdemokraten wie Oberbürgermeisterin Karin Welge oder Ratsfraktionschef, Axel Barton.

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Es kommt schließlich auch nicht von ungefähr, dass die Große Koalition im Stadtrat das Ordnungspersonal von 50 auf 100 Kräfte verdoppelt hat, dass die in Fachkreisen bundesweit mit großem Interesse verfolgten Razzien des „Interventionsteams EU Ost“ von einer auf zwei im Monat erhöht wurden. Tatenlosigkeit kann man der SPD-geführten Verwaltung in Gelsenkirchen also nicht vorwerfen. Doch die lokalen Möglichkeiten vor Ort sind zum einen begrenzt und zum anderen für viele noch nicht scharf genug – da kann die Stadt mit Bundes- und Landeshilfe noch so viele Schrottimmobilien aufkaufen, abreißen oder sanieren.

SPD in Gelsenkirchen muss sich schonungslos hinterfragen

Zu dieser ohnehin schwierigen Gemengelage kommen die vielen geflüchteten Menschen aus Syrien, der Ukraine und anderen Krisenregionen dieser Welt hinzu. Die Integrationskapazität der Stadt ist überstrapaziert. In manchen Klassen spricht kaum ein Kind vernünftig Deutsch bei der Einschulung. Das Stadtbild hat sich verändert. Es gibt Gelsenkirchener, die zählen „blonde“ Menschen und Personen, die sich auf Deutsch unterhalten, wenn sie durch die City gehen, weil sie gefühlt oder tatsächlich in der Minderheit sind. Gepaart mit den oft beklagten Problemen, die viele in ihren Vierteln erleben (Vermüllung, Lärm, rücksichtsloses Verhalten) entsteht bei vielen Gelsenkirchenern ein Gefühl der Entwurzelung, des Fremdsein in der eigenen Heimat.

Stoßen an: Gelsenkirchens Direktkandidat Friedhelm Rikowski (ganz links), NRW-Spitzenkandidat Kay Gottschalk (2. v. li.), NRW-Landeschef Martin Vincentz (Mitte), Recklinghäuser Direktkandidatin Anna Rathert (2. v. re.), Gelsenkirchens Kreissprecherin Enxhi Seli-Zacharias.
Stoßen an (v.li.) : Gelsenkirchens Direktkandidat Friedhelm Rikowski, Tobias Ebenberger, Kandidat im Rhein-Sieg-Kreis, NRW-Spitzenkandidat Kay Gottschalk, NRW-Landeschef Martin Vincentz, Recklinghäuser Direktkandidatin Anna Rathert, Gelsenkirchens Kreissprecherin Enxhi Seli-Zacharias. © WAZ | Gordon Wüllner-Adomako

Und für viele ist ein Maß erreicht, dass sie nicht mehr weiter hinnehmen wollen. Der SPD im Bund trauen sie eine Lösung ihrer Probleme nicht zu und auch die CDU in Gelsenkirchen mit ihrem Bundestagskandidaten Sascha Kurth kann hier offensichtlich nicht überzeugen. Der eigentliche Gewinner dieser Wahl in Gelsenkirchen ist die AfD, die mit ihrem migrationsfeindlichen Kurs punktet. In der Folge geht die AfD, wenn auch nur hauchdünn, als stärkste Partei in Gelsenkirchen aus dieser Bundestagswahl heraus.

Das lässt erahnen, dass die Machtverhältnisse im Gelsenkirchener Stadtrat auch nach der Kommunalwahl im September auf den Kopf gestellt werden könnten. Insbesondere die SPD in Gelsenkirchen muss sich selbst schonungslos hinterfragen, mit welchen Themen und Maßnahmen sie das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler zurückgewinnen kann.

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