Gelsenkirchen. Neue Qualitäten in positiver und negativer Hinsicht: AfD, Linke und Grüne in Gelsenkirchen erleben Verrohung genauso wie Mitgliederrekorde.
„Wenn ihr nicht gleich weg seid, seid ihr tot!“: Ob es solche Zurufe an SPD-Wahlkämpfer wie jüngst in Gelsenkirchens Nachbarstadt Essen sind, oder ob es um die vielerorts zerstörten Wahlplakate geht: Die Verrohung im Bundestagswahlkampf hat augenscheinlich ein neues Level erreicht. Gleichzeitig jedoch steigt das parteipolitische Engagement und verschiedene Parteien – von Grünen über BSW bis AfD und Linke – melden bundesweit ein deutliches Mitgliederwachstum. Wir wollten von den Parteien in Gelsenkirchen wissen: Wie erleben sie derzeit die Stimmung im Wahlkampf? Und wie entwickeln sich die Mitgliederzahlen?
Grüne Gelsenkirchen: Neue Qualität an Feindseligkeit - und neuer Mitgliederrekord
Zur aktuellen Stimmung: „Die Hemmschwelle ist bei manchen ja schon seit Jahren sehr niedrig“, sagt Co-Parteichef Dennis Nawrot. „Wir begegnen dem schon länger mit erhöhter Personenanzahl an den Wahlkampfständen und das zeigt auch Wirkung. Allgemein gilt: Es ist im Vergleich zur Europawahl nicht in der Quantität schlimmer geworden, aber in der Qualität. Wer vorher nur feindselig geguckt hat, begeht jetzt öfter mal Beleidigungsstraftaten.“
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Zu den Wahlplakaten: Dennis Nawrot bestätigt den Eindruck, dass die Beschädigung der Wahlplakate dieses Mal besonders heftig ist. „Der Fokus liegt dabei auf Großflächenplakaten.“ Davon seien bislang ungefähr zehn Stück beschädigt worden. Man reagiere mit Schadensmeldungen und Anzeigen.
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Zum Mitgliederwachstum: „Wir stellen unseren Mitgliederrekord im Moment wöchentlich ein“, freut sich Nawrot. Frauen über 30 Jahren bilden nach Angaben des Co-Vorsitzenden die Mehrheit der Neumitglieder, darunter seien Unternehmerinnen und Angestellte, aus sozialen oder technischen Berufen. „Wir stehen derzeit bei etwa 190 Mitgliedern und planen schon die kleine Feier für die 200 Mitgliedermarke.“
Besondere Wahlkampf-Termine
Ihren „Wahlkampf-Höhepunkt“ in Gelsenkirchen hat die Linke am 8. Februar von 14 bis 18 Uhr auf dem Heinrich-König-Platz mit Direktkandidat Martin Gatzemeier und Cansin Koktürk aus Bochum (Listenplatz 2 in NRW). Mit einem großen, aufblasbaren Schriftzug soll dort auf sich aufmerksam gemacht werden und zu Gesprächen eingeladen werden.
Die AfD setzt derzeit nicht auf große öffentliche Termine mit Parteiprominenz und will auf „Hochglanz-Wahlkampf“ verzichten. „Wir konzentrieren uns voll und ganz auf den Haustür-Wahlkampf. Alle unsere Kräfte werden gebündelt und gezielt in einen taktischen Wahlkampf gesteckt“, sagt Kreissprecherin Enxhi Seli-Zacharias.
Die Direktkandidatin der Grünen, Irene Mihalic, lädt am 20. Februar um 18.30 Uhr auf ein Bier in der Rosi an der Weberstraße 18. „Frau Mihalic zahlt!“, sagt Co-Parteichef Dennis Nawrot.
AfD Gelsenkirchen: „Bombastische Stimmung“ - und etwas mehr Vandalismus
Zur aktuellen Stimmung: „Selbstverständlich gibt es vereinzelt immer aggressive Zeitgenossen, die schlichtweg keine Kinderstube genossen haben“, sagt Parteichefin Enxhi Seli-Zacharias, „zum Glück ist die Stimmung bei uns an den Ständen aber bombastisch.“ Die positive Resonanz sei mit keinem vorherigen Wahlkampf vergleichbar, „sogar TikToker machen Werbung“.
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Zu den Wahlplakaten: Seli-Zacharias nennt genaue Zahlen: Zwischen dem 17. Januar und dem 4. Februar seien sechs Fälle von Sachbeschädigung sowie 47 Plakatdiebstähle festgestellt worden. Das sei im Verhältnis zur Europawahl „eine leichte Steigerung“, man plakatiere aber unverzüglich nach. „So gut waren wir noch nie aufgestellt“, sagt die Kreissprecherin.
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Zum Mitgliederwachstum: „Die Mitgliederaufnahme läuft auf Hochtouren“, sagt Seli-Zacharias. „Alle entsprechenden Stellen, die mit der Aufnahme betraut sind, sind im Kern überlastet.“ Die Aufnahmedauer belaufe sich gegenwärtig auf vier bis sechs Monate. „In Gelsenkirchen gewinnen wir gegenwärtig sehr viele Selbstständige dazu. Besonders überraschend ist, dass viele der Neumitglieder besonders jung sind“, so die Parteichefin. „Würde die Aufnahme durch die übergeordneten Instanzen schneller laufen, hätten wir längst weit über 300 Mitglieder.“
Linke: Viele Neu-Mitglieder seit Merz-Abstimmung - und „dumme Sprüche zuhauf“
Zur aktuellen Stimmung: „Dumme Sprüche“ gebe es zuhauf. „Aber die kann ich kontern“, sagt Martin Gatzemeier, Chef der Gelsenkirchener Linken und Kandidat für den Bundestag.
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Zu den Wahlplakaten: „Einige wenige, mir ist das aber nicht wichtig“, sagt Gatzemeier. „Es ist nur Plastik und kein lebendiges Wesen.“
Zum Mitgliederwachstum: „Austritte? Keine! Wir haben die Zahl der Mitglieder mehr als verdoppelt“, freut sich Gatzemeier. Besonders seit dem 29. Februar, also seit der Abstimmung über den Fünf-Punkte-Plan, den die CDU nur mit Stimmen der AfD durchbringen konnte, seien bereits über 25 Personen neu eingetreten. „Vom Bauhelfer bis zum Journalisten. Ein paar Frauen mehr als Männer.“ Besonders viele junge Menschen seien darunter, aber auch ältere. Mittlerweile sei die Linke bei 120 Mitgliedern angekommen.
Wie die Situation bei SPD, CDU und FDP in Gelsenkirchen aussieht, lesen sie bald auf WAZ.de/gelsenkirchen.
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