Gelsenkirchen. Spielerischer Wahlkampf hat in Gelsenkirchen Tradition. Welche Spieltypen sind die Kandidaten von SPD, CDU und Grünen? Die Analyse.
Die mittlerweile traditionsreichste Wahlkampf-Veranstaltung in Gelsenkirchen ist viel mehr als eine dröge Podiumsdiskussion: Bei „Mensch, wähl mich“ laden der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Kirchen seit Jahren zum spielerischen Austausch. Anders als der Name vermuten lässt, soll nicht die Spielfigur mit der Parteienfarbe als Erstes ins Ziel gebracht werden; vielmehr erinnert das Spielfeld an „Monopoly“ – auch wenn Fragen beantwortet, statt Immobilien gekauft werden müssen. Der Spiele-Klassiker lehrt bekanntlich viel über Marktmechanismen, Kapital, Macht. Liegt es da allzu fern, zu behaupten: So wie die Kandidaten zocken, agieren sie im Bundestag? Wagen wir ein Analyse-Experiment: Diese Spielertypen sind Gelsenkirchens Direktkandidaten.
Sascha Kurth (CDU): Sparfuchs in der Außenseiter-Rolle
Profil: 41 Jahre alt, Partei- und Fraktionschef der CDU in Gelsenkirchen, IT-Abteilungsleiter bei einem Stahlkonzern, hat noch keine Erfahrung im Bundestag, aber „Würfel-Erfahrung“, da sein dreijähriger Sohn „Mensch Ärgere Dich Nicht“ entdeckt hat.
Monopoly-Spielertyp: Der Sparfuchs
Strategie: Bevor er ein Grundstück kauft oder Häuser baut, checkt er penibel seine Finanzen. Er vermeidet riskante Hypotheken und bleibt liquide. Investiert dennoch lieber in Wohneigentum statt in Bahnhöfe oder Versorgungswerke. In dieser Partie in der Außenseiter-Rolle.
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Politische Position: Kurth will zwar in die öffentliche Infrastruktur investieren, aber setzt auf „verantwortungsvolle Haushaltsführung“. Statt umfassende Neuverschuldung in Kauf zu nehmen, will er mit dem vorhandenen Steuergeld „die richtigen Prioritäten“ bei den Investitionen setzen. In eine „starke Schiene“ hätte Kurth lieber investiert, als das Deutschlandticket einzuführen. Mehr in die Gleisinfrastruktur zu investieren bedeutet für ihn nicht, den Individualverkehr zu vernachlässigen: „Die CDU hat in ihrem Programm ein Bekenntnis zum Auto“, betont er.
Kurth will nicht, dass sich die Politik bei der Findung eines gesetzlichen Mindestlohns „einzumischen hat“ und will Gelsenkirchen bei der deutschlandweit geführten Diskussion um explodierende Mietkosten ausgeklammert betrachten. Aus Gelsenkirchener Sicht sei es viel wichtiger, Neubauprojekte in Gang zu setzen. „Da hat Gelsenkirchen extrem hohen Nachholbedarf.“ Der Christdemokrat peilt eine größere Rentenreform an, bei der die Rente, ähnlich wie in Norwegen, durch Kapitaldeckung mitfinanziert wird.
Markus Töns (SPD): Entwickler-Typ will Land „nicht mehr kaputtsparen“
Profil: 60 Jahre alt, dreifacher Vater, seit 2017 direkt gewählter Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Gelsenkirchen. Kam zu spät zum Spieleabend, weil er noch ein Wahlkampf-Date mit Bundeskanzler Olaf Scholz hatte (die WAZ berichtete).
Monopoly-Spielertyp: Der Entwickler
Strategie: Investieren, wo man kann. Setzt auf schnelles Komplettieren von Farbgruppen und Infrastruktur (z. B. Bahnhöfe und Versorgungswerke). Liquiditätsprobleme werden in Kauf genommen. Hypotheken? Gehören dazu!
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Politische Position: Töns sieht eine grundlegende Unterfinanzierung des öffentlichen Sektors. Seine zentrale Antwort auf viele Fragen ist: „Wir müssen mehr Geld in die Hand nehmen“. Er ist überzeugt: „Wir haben das Land 30 Jahre lang kaputtgespart.“ Ob es darum geht, Angestellte im öffentlichen Dienst besser zu bezahlen oder ob die Klimaanpassung durch mehr Aufforstung das Thema ist: „Wir sind jetzt in einer Situation, in der wir Geld auszugeben haben.“ Die Schuldenbremse darf hier aus Sicht des Sozialdemokraten kein Hindernis sein. Um mehr Geld muss es auch bei der Bezahlung gehen: Töns will einen Mindestlohn von 15 Euro politisch festlegen. Das Rentenniveau will er stabilisieren.
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Gestellt wurde Töns auch eine Frage zum Reviertourismus. Wie kann man in Gelsenkirchen & Co. mithalten mit großen, kreativen Metropolen? „Was fehlt, ist da ein vernünftiges Verkehrsangebot, das Menschen von weit außerhalb hier herzieht“, sagte er. Deshalb habe er als Bundestagsabgeordneter auch schon bei der Bahn dafür geworben, dass ICEs häufiger in Gelsenkirchen halten.
Irene Mihalic (Grüne): Wir bekommen das geregelt
Profil: 48 Jahre alt, zweifache Mutter, Ex-Polizistin und Innenpolitik-Expertin, seit 2021 Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion. Gesteht sich selbst ein geringes Talent bei Schätzfragen ein.
Monopoly-Spielertyp: Die Regulatorin
Strategie: Führt Hausregeln ein, die das Spiel für alle gerechter machen sollen. Wenn jemand Hotels baut, sorgt sie für eine „Mietpreisdeckelung“, wenn jemand mehr als zwei Bahnhöfe kaufen will, fordert sie ein Limit. Liegt bei der Risikobereitschaft zwischen Sparfuchs und Entwickler.
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Politische Position: „Ich bin die Letzte, die sagt, man müsse die Schuldenbremse abschaffen“, betont Mihalic. Dennoch ist sie überzeugt, dass der Investitionsbedarf in Deutschland nicht im laufenden Haushalt zu decken ist. „Wir müssen investieren und alles auf Stand bringen“, eine Reform der Schuldenbremse sei da unumgänglich.
Um Fachkräfte zu gewinnen, brauche es aber nicht nur eine bessere Bezahlung. Mihalic hält es etwa für wichtig, die Beamtenbesoldung bundesweit zu vereinheitlichen, um die Konkurrenz unter den Ländern in Zeiten des Fachkräftemangels zu entschärfen. Und im Wohnungsmarkt will sie mit einer Mietpreisbremse regulatorisch eingreifen, schließlich zeige sich der steigende Mietendruck durchaus auch in Gelsenkirchen. Sie wirbt weiter für Maßnahmen wie die von der Ampel schlussendlich nicht durchgebrachten Kindergrundsicherung und setzt sich für ein Verbot einer „rechtsextremistischen, faschistischen Partei“ wie der AfD, ein, die sich in ihren Augen „von allem entfernt hat, was Demokratie ausmacht“.
Nicht zu „Mensch, wähl‘ mich“ eingeladen wurden die Direktkandidatin von AfD (Friedhelm Rikowski), MLPD (Lisa Gärtner) und Frank Perlik (Freie Wähler). Marco Buschmann (FDP) war terminlich verhindert, Martin Gatzemeier (Die Linke) erkrankt.