Gelsenkirchen. Experten zeichnen ein dramatisches Bild – auch für die Verwaltung: Sechs Gelsenkirchener Förderschulen erfüllen diese Standards überhaupt nicht.

Es brennt an den Gelsenkirchener Förderschulen: Über die Jahre sind Investitionen versäumt worden, die Klassen- und Schulräume platzen aus allen Nähten, Eltern schreiben Brandbriefe, prangern „Zustände wie in der Massentierhaltung“ an, die Schülerinnen und Schüler, sie würden nicht mehr gefördert, sondern allenfalls nur noch verwahrt. Und auch ein von der Verwaltung beauftragtes Gutachten lässt nun wenig Platz für Hoffnung.

Gelsenkirchens Förderschulen vor dem Kollaps? „Brauchen an ganz vielen Stellen eine Sofortlösung“

Besagtes Gutachten stand zuletzt auf der Tagesordnung des Ausschusses für Bildung, ausgearbeitet hat es die Gesellschaft für Beratung sozialer Innovation und Informationstechnologie, kurz Gebit, mit Sitz in Münster. Grundlage waren dabei auch Schulbesuche, die Gebit eigenen Angaben nach Ende August 2022 an allen sechs Förderschulen in Trägerschaft der Stadt durchgeführt hatte.

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Das Gutachten kommt unter anderem zu dem Schluss, dass „bei Fortschreibung des Status Quo an allen Förderschulen in städtischer Trägerschaft in Zukunft mehr Klassen als bisher zu erwarten“ seien.

Veränderungen gebe es allerdings mit Blick auf die Inklusion: Diese Quote sei nämlich gestiegen, die Förderschulquote gesunken, da immer mehr Schüler mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf an Regelschulen beschult würden. Aber: Aufgrund steigender Schülerzahlen habe dieser Umstand in Gelsenkirchen eben nicht zu einer Entlastung der Förderschulen geführt.

Raumstandard wird an keiner Förderschule in Gelsenkirchen erfüllt

Die Förderquote ist in den Jahren von 2017 (8,1 Prozent) bis 2020 (9,1 Prozent) gestiegen und 2021 wieder leicht gesunken, auf 8,9 Prozent. Wird allein die Gruppe der Schüler mit Zuwanderungsgeschichte betrachtet, zeigen sich im Primarbereich deutlich niedrigere „Förderquoten, die bis 2018 auch unter dem Durchschnitt von Land und Regierungsbezirk liegen“. Im Jahr 2017 lag der Wert bei 5,9 Prozent und stieg bis 2021 auf 8,1 Prozent. Gebit arbeitet gleichermaßen heraus, dass Schüler mit Zuwanderungsgeschichte häufiger in der Inklusion an Regelschulen zu finden sind.

Stichwort Räumlichkeiten: Laut Gutachten werde der vereinbarte Raumstandard gegenwärtig an keiner Förderschule in städtischer Trägerschaft erfüllt – damit sind vor allem die generellen Raumgrößen und die Anzahl an Förderräumen gemeint. Bei allen Schulgebäuden handele es sich um Bestandsgebäude, so Gebit weiter, „selbst wenn die Gebäude bereits als Förderschulen erbaut wurden – was nicht bei allen der Fall ist – sind die modernen Anforderungen an Förderschulen hier räumlich nicht abgebildet.“

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Nun ist es auch so, dass nicht nur der Raum für die steigende Anzahl an Schülern knapp ist, im Verwaltungsbereich fehle es außerdem an Fläche für die wachsenden Teams (zum Beispiel in den Lehrerzimmern, den Büros für das pädagogische Personal, Lagerflächen etc.).

Gebit analysiert, dass sich die „deutlichsten Raumbedarfe an den beiden Förderschulen für geistige Entwicklung, der Hansaschule und der Albert-Schweitzer-Schule ergeben.“ Bereits bei der gegenwärtigen Zahl der Klassen zeige sich hier ein erhebliches Raumdefizit. Es klingt dramatisch: „Das Mehr an Klassen, das zukünftig erwartet wird, kann im gegenwärtigen Bestand nicht untergebracht werden. Hier müssen daher zeitnah Lösungen entwickelt werden, die eine räumliche Entlastung schaffen“, so die Experten von Gebit in ihrem Gutachten.

Zusammenlegung aus pädagogischen und sozialen Gründen ist ein Fehler

Für die Schule Gecksheide und die Malteserschule fehlt es ebenfalls an Unterrichtsräumen, bauliche Erweiterungen seien nötig, so Gebit. An der Schule an der Bergmannsglückstraße bestehe „gegebenenfalls“ Erweiterungsbedarf mit Blick auf den ab 2026 geltenden Rechtsanspruch auf einen Platz im Offenen Ganztag. An der Antoniusschule bräuchten Förderung und Verwaltung mehr Räume, sowohl an der Bergmannsglückstraße als auch an der Antoniusschule schlägt Gebit demnach auch vor, dass die Hausmeisterwohnung beziehungsweise das Hausmeisterhaus umgenutzt werden.

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Ein Vorschlag, den auch die Verwaltung in einer entsprechenden Vorlage „bejaht“, stößt hingegen schon jetzt auf massive Kritik in der Elternschaft: die sogenannte Berufspraxisstufe (BPS, hier werden die Schüler auf den Übergang in die Arbeitswelt vorbereitet, Anm. d. Red.) der Hansa- und der Albert-Schweitzer-Schule auszulagern und an einem gemeinsamen Standort unterzubringen. Die Schulpflegschaft der Albert-Schweitzer-Schule in einer Stellungnahme äußert sich dazu klar: „Eine Zusammenlegung der BPS an einem Standort sehen wir aus pädagogischen und sozialen Gründen als Fehler.“

Neubau am bestehenden Standort? Raumbedarf anderweitig nicht zu decken

Was sie stattdessen vorschlagen: die Neugründung einer dritten Förderschule mit dem Schwerpunkt Geistige Entwicklung. Dies würde zu einer besseren Verteilung der Schüler, zu einer kleineren Schulgröße, zu weniger Klassen führen. Denn, so das Argument aus der Elternschaft: Oft gehe ein „Förderbedarf Geistige Entwicklung mit erheblichen Schwierigkeiten des Zurechtfindens in großen Systemen einher, daher sind kleinere Schulen für den Bildungserfolg zu bevorzugen.“ Der Bau einer dritten Förderschule, er würde die Stadt angesichts der anderen Neubau- und Sanierungsobjekte sicher vor weitere Herausforderungen stellen. Sollte die Gründung einer neuen Förderschule nicht umzusetzen sein, „sehen wir einen Neubau des bestehenden Standortes Albert-Schweitzer-Straße als zwingend an, da der Raumbedarf anderweitig nicht zu decken ist.“

Dr. Jan N. Klug, Vorsitzender der Schulpflegschaft an der ASS, appelliert: „Wir brauchen nicht nur eine Lösung innerhalb der nächsten fünf Jahre, sondern an ganz vielen Stellen eigentlich eine Sofortlösung. So viel Zeit haben wir nicht mehr.“

Die sogenannte Schulentwicklungsplanung für die Förderschulen wird erneut in den politischen Gremien beraten: in der nächsten Ratssitzung am Donnerstag, 13. Februar, 15 Uhr, im Ratssaal des Hans-Sachs-Hauses.