Gelsenkirchen. Vom Auslaufmodell zur gefragten Schulform: Die Leiterin der Albert-Schweitzer-Schule in Gelsenkirchen blickt zurück auf die vergangenen 10 Jahre.
13 Schülerinnen und Schüler, zwei Lehrkräfte plus drei Integrationshelfer drängen sich in dem offensichtlich zu kleinen Multifunktionsraum, in dem diese Klasse der Albert-Schweitzer-Förderschule für geistige Entwicklung lernt, isst und Freizeit verbringt. Die Möbel sind entsprechend multifunktional, ein sehr kleiner Nebenraum ist für die individuelle Förderung vorgesehen. Beim Besuch der WAZ werden gerade Toast-Brötchen zubereitet für das zweite Frühstück.
Pensionierung wegen der Pandemie um zwei Jahre verschoben
Praktisches Lernen, Mobilitätstraining, Therapie, Vorbereitung auf das Arbeitsleben – all das ist wichtiger Bestandteil der Arbeit an dieser Förderschule für Kinder und Jugendliche mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung. Christiane Fernkorn leitet die Schule seit zehn Jahren; im Sommer will sie in den Ruhestand wechseln. Für sie und für die WAZ ein Anlass, zu schauen, wie Förderschulen (und speziell diese Schule) sich seither entwickelt haben.
Das Konzept, in der Klasse gemeinsam zu lernen und zu leben, ist Christian Fernkorn wichtig. Die Schulleiterin, die vor zehn Jahren aus Mülheim hierhin wechselte, hat ihre Pensionierung wegen der Pandemie um zwei Jahre auf diesen Sommer verschoben – um weiter auf den Weg bringen zu können, was sie sich für die Schule vorgenommen hatte.
Als die heute 65-Jährige nach Gelsenkirchen kam, sollte eigentlich die Ära der Förderschulen in Deutschland zu Ende gehen. 2013 trat die entsprechende Schulgesetzänderung in Kraft, inklusives Lernen an Regelschulen sollte die Integration verbessern. Tatsächlich sind seither Kapazitäten für Kinder mit Förderbedarf abgebaut worden.
Was dafür allerdings fehlte und bis heute fehlt, sind die Sonderpädagogen, die die Lehrkräfte in den Regelschulen unterstützen, sowie angesichts explodierender Schülerzahlen die Räumlichkeiten für individuelles Fördern. „Aber es war von Anfang an klar, dass die Förderschule für den Förderbedarf geistige Entwicklung trotz Inklusion weiter bestehen bleiben wird“, erinnert sich Fernkorn.
Förderschule in Gelsenkirchen: Mobilitätstraining ist hier Hauptfach
220 Kinder lernen aktuell an ihrer Schule. Es sind Kinder mit sehr unterschiedlich ausgeprägten Beeinträchtigungen. Motorisch haben die allermeisten Schwächen, deshalb waren der Schulleiterin der Mobilitätsparcours auf dem Schulhof und die gute Ausstattung des Gymnastikraums besonders wichtig. Mobilitätstraining gehört hier zu den Hauptfächern. Auf dem Schulhof-Parcours kann mit Fahrrädern trainiert werden, nebenan wartet ein nagelneues Klettergerüst darauf, erobert zu werden.
Kinder mit autistischen Zügen, Kinder die selbst nicht kommunizieren und dafür Hilfsmittel wie „Talker“ zur Verfügung haben, Kinder mit Wahrnehmungs- oder kognitiven Störungen – die Palette ist breit. Ebenso wie das Altersspektrum, das vom Grundschulalter bis zur Berufsreife mit 18 reicht. In schuleigenen Werkstätten werden Jugendliche in der Oberstufe der Schule auf das Arbeitsleben vorbereitet. „Viele arbeiten später in Behindertenwerkstätten, aber es gibt auch andere Möglichkeiten in Anlernberufen. Schulabbrecher haben wir so gut wie keine, alle schaffen hier einen Abschluss“, versichert Fernkorn.
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„Ich habe in den letzten Jahren an die 30 Kollegen in die Pension verabschiedet, es gab ständig einen ständigen, starken Wechsel im Team. Aber heute haben wir ein junges, sehr hoch qualifiziertes Team hier“, versichert Fernkorn. Allerdings sind von den 46,6 pädagogischen Stellen 5,58 aktuell nicht besetzt. Eine Schulsozialarbeiterin unterstützt Schüler und Eltern, eine weitere Kraft ist zur Unterstützung der Schwerbehinderten mit an Bord. Die Ergo- und Physiotherapeuten kommen von externen Praxen. „Die Zahl der Integrationshelferinnen und -helfer hat sich seit meinem Start hier verdreifacht, auf 60; das hilft sehr“, freut sich Fernkorn.
Förderschulen von drei verschiedenen Trägern
In Gelsenkirchen gibt es neun Förderschulen mit unterschiedlichen Förderschwerpunkten wie Sprache, Hören, Sehen, geistige Entwicklung sowie Lernen und emotionale und soziale Entwicklung.
Vier davon sind in städtischer Trägerschaft, vier betreibt der Landschaftsverband Westfalen-Lippe. Geschlossen wurden seit der Neuregelung im Schulgesetz in Gelsenkirchen lediglich zwei Teilstandorte von Förderschulen. Eine weitere Förderschule ist die Raphael Schule, die als private Waldorfschule betrieben wird.
Einen Wermutstropfen aber bringt diese starke Begleitung der Kinder mit sich: In den (zu) kleinen Klassenräumen wird es extrem eng. Auch die – vorhandenen – Therapieräume sind sehr klein. Fernkorn zieht ein ernüchterndes Fazit: Wachsende Schülerzahlen mit steigendem Förderbedarf hätten die Pläne zum Auslaufen von Förderschulen in die Gegenrichtung verkehrt.