Gelsenkirchen. Eltern, darunter auch Gelsenkirchener, warnen in einem Brandbrief an die Politik: „System Schule steht vor dem Zusammenbruch!“ Ihre Forderungen:

„Wir können nicht mehr still bleiben! Als betroffene Eltern einer Förderschule im Ruhrgebiet erleben wir jeden Tag schockiert, dass unsere Bildungspolitik versagt. Die Missstände, unter denen dort gelernt werden soll, sind für Schülerinnen und Schüler und Lehrkräfte nicht mehr aushaltbar und haben ein Ausmaß erreicht, das die Gesundheit von allen im System gefährdet“. Es sind drastische Worte, die den Grad der Verzweiflung gleich zu Beginn eines Brandbriefes, der auch an unsere Lokalredaktion geschickt wurde, deutlich machen. Unterzeichner sind demnach auch „verzweifelte Eltern“, die ebenfalls sagen: „Die Zustände, unter denen die Bildungsminister und Verantwortlichen das Lernen an Förderschulen zulassen, halten wir für nicht mehr tragbar.“

Gelsenkirchener Eltern: „Das System Schule steht vor dem Zusammenbruch!“

Dieser Brief, er richtet sich an NRW-Schulministerin Dorothee Feller, an den Bundesminister für Bildung, Cem Özdemir, und seine beiden Staatssekretäre Stephan Ertner und Karl-Eugen Huthmacher. Auf mehr als zweieinhalb Seiten schildern die Eltern eindrücklich und ernüchternd ihre Erfahrungen, es sind auf Nachfrage der Redaktion auch und vor allem Erfahrungen, die an einer Gelsenkirchener Förderschule gemacht wurden und werden.

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In dem Brief heißt es weiter: „Dem Bildungssystem fehlen Ressourcen und die Schulen werden übermannt von der Anzahl der Schüler in den Klassen.“ Verbände würden bereits seit einigen Jahren Alarm schlagen, die betroffenen Lehrkräfte könnten sich nicht öffentlich zu ihrer Situation äußern. „So wird ein großes und gesamtgesellschaftliches Problem klein gehalten, das dringend Aufmerksamkeit braucht: Das System Schule steht vor dem Zusammenbruch!“

„Es brennt an sehr vielen Schulen“ – das Problem ist groß und landesweit

Den unterzeichnenden Eltern geht es demnach nicht nur um die Situation in Gelsenkirchen: „Durch unsere vielseitigen Kontakte zu anderen Eltern können wir sagen: Es brennt an sehr vielen Schulen“ – auch in den umliegenden Städten, auch an anderen Schulformen: „Das Problem ist groß und landesweit.“ Die Eltern, sie sehen den Auftrag zur Erziehung und Bildung nicht nur gefährdet, sondern nicht mehr erfüllt. Und: „Unter den aktuellen Bedingungen können sie kaum mehr die sichere Verwahrung der Schüler gewährleisten.“ Dabei, so führen die betroffenen Eltern an, würden sie von einer Überbelegung der Klassen von 40 Prozent über dem Richtwert für Förderschulen sprechen. Es seien „Zustände, wie in der Massentierhaltung, was die räumliche, akustische und olfaktorische Lebensbedingung angeht.“

Weiter geht es ihnen auch um die Bedingungen, wie Schule und Unterricht im Alltag funktionieren: So würde die „Bau- und die personelle Substanz“ zunehmend verfallen, „aus Platzmangel werden selbst die kleinsten Kammern in Klassenräume umgewandelt. Selbst mit Schülern ohne besondere Bedarfe, ließe sich in so einer Umgebung nicht arbeiten.“ Weiterhin komme hinzu, dass Lehrermangel und Unterrichtskürzungen mittlerweile „trauriger Alltag“ geworden seien.

Brandbrief auch aus Gelsenkirchen: Bildungsinfrastruktur völlig marode

Der Vorwurf der Eltern: Zahlen der Bildungspolitik würden „seit Jahren schöngerechnet und hinter neuen kosmetischen Initiativen der Bildungsministerien versteckt, die für die Praxis jedoch kaum Verbesserung bringen, sondern oftmals eine Mehrbelastung.“ Sie mahnen gleichsam: „Nicht nur unsere Verkehrsinfrastruktur und Brücken sind durch ausgebliebene Investitionen marode geworden, sondern auch unsere Bildungsinfrastruktur! Deutschland verliert so seine Wettbewerbsfähigkeit. Wir hängen immer mehr Kinder und Jugendliche ab.“

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Doch es geht den Eltern nicht nur um die Schüler, sondern auch um die Lehrerinnen und Lehrer: „Wir sind verzweifelt und beobachten fassungslos, wie engagierte Lehrkräfte überlastungsbedingten Langzeiterkrankungen zum Opfer gefallen und viele weitere auf dem besten Weg dorthin sind.“ Der Job des Lehrers und des Sonderpädagogen sei schließlich kein Beruf, sondern eine Berufung. Aktuell könnten viele Schulen nur noch Mangelverwaltung betreiben. Die Eltern beklagen zudem die mangelnde Wertschätzung Schülern und Lehrenden gegenüber. „Die Lehrkräfte an den Schulen im Ruhrgebiet sowie an vielen anderen Orten werden verheizt“, meinen sie.

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Die Warnung der Eltern: „Ein Weiter-So im Angesicht dieses Abgrunds kann es nicht geben! Das System braucht Hilfe! Und wir wünschen uns endlich eine öffentliche Diskussion darüber, wie Schule in Deutschland saniert werden kann.“ Mit dem Verweis auf den anstehenden Bundestags-, und Kommunalwahlkampf appellieren die Eltern dringend an die Politik: „Hören Sie auf, Verantwortung zwischen Bund, Ländern und Kommunen hin und her zu schieben! Wir brauchen konkrete Maßnahmen!“ Und weiter: „Investieren Sie endlich in die Zukunft unserer Kinder!“

Ihren wütend wirkenden Zeilen hängen die Eltern noch eine Einladung an: „Wir laden Sie ein, sich selbst eine der vielen in die Jahre gekommenen Schulen in einem Ballungszentrum des Ruhrgebiets anzuschauen. Können Sie dann wirklich behaupten, dass wir die Kinder in unserem Land bestmöglich fördern?“