Gelsenkirchen. In NRW ist die Einführung der Bezahlkarte für Schutzsuchende mittlerweile möglich. Aber in Gelsenkirchen kann sie noch gestoppt werden.

196 Euro Taschengeld für erwachsende Asylsuchende, und davon nur noch 50 in bar: Nachdem die Bezahlkarte in NRW jüngst gesetzlich ermöglicht wurde, steht es den Städten und Gemeinden nun frei, aktiv Widerspruch einzulegen und die Einführung des Zahlungsmittels lokal zu verhindern. Und das soll Gelsenkirchen nach Vorstellung der Grünen auch schnellstmöglich tun.

Ratsfraktion und Partei fordern jetzt, eine Entscheidung im Stadtrat gegen die Bezahlkarte herbeizuführen – und sorgen damit für den ersten potenziellen Lokalpolitik-Knall 2025. „Gelsenkirchen braucht keine Bezahlkarte“, meint die Co-Vorsitzende der Grünen-Fraktion, Adrianna Gorczyk.

Gelsenkirchen kann selbst entscheiden, ob die Bezahlkarte hier eingeführt wird

Schon Ende 2023 hatte die Ministerpräsidentenkonferenz den Beschluss gefasst, die Bezahlkarte flächendeckend einzuführen und so den Zugang zu Bargeld für Asylbewerber einzuschränken. Der rechtliche Rahmen dafür wurde jedoch erst im April 2024 vom Bund gesetzt. Um die Bezahlkarte rechtssicher zu machen, musste aber auch noch in NRW eine Gesetzesänderung herbeigeführt werden. Das geschah erst kürzlich, am 18. Dezember 2024.

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Kurz danach wurden die ersten Karten in zentralen Landesunterkünften verteilt, unter anderem in Gelsenkirchens Nachbarstadt Gladbeck. Ab dem zweiten Quartal 2025 soll die Karte automatisch in allen Kommunen ausgerollt werden – es sei denn, in den Stadtparlamenten spricht man sich dagegen aus.

Möglich macht das die sogenannte Opt-Out-Regelung. Durch sie können die Kommunen in NRW an einem eigenen Taschengeld-System festhalten. Und genau diese Regelung soll nach Vorstellung der Grünen in Gelsenkirchen in Anspruch genommen werden. Dafür hat die Fraktionen einen Antrag für den Sozialausschuss am 22. Januar sowie für die Ratssitzung im Februar gestellt.

Bezahlkarte für Geflüchtete: Grüne in Gelsenkirchen sprechen von „Scheinlösung“

In Gelsenkirchen werden Asylbewerberleistungen aktuell meist auf Bankkonten überwiesen. Diese Girokonto-Lösung sei „vollkommen ausreichend“ und habe sich „bewährt“, argumentiert die sozialpolitische Sprecherin der grünen Ratsfraktion Ingrid Wüllscheidt. „Nur rund 100 von etwa 1500 Berechtigten werden noch über Barauszahlungen versorgt“, sagt sie und ergänzt: „Wir betrachten die Bezahlkarte für Geflüchtete in der geplanten Variante als diskriminierend und nicht zweckmäßig. Ihre Umsetzung bedeutet zudem unnötigen Verwaltungsaufwand sowie Kosten, bringt aber keinen praktischen Mehrwert.“

Ingrid Wüllscheidt (Grüne Gelsenkirchen): „Unnötiger Verwaltungsaufwand“ bei der Bezahlkarte.
Ingrid Wüllscheidt (Grüne Gelsenkirchen): „Unnötiger Verwaltungsaufwand“ bei der Bezahlkarte. © Funke Foto Services GmbH | Olaf Ziegler

Hauptgründe für die Einführung der Bezahlkarte waren eigentlich, angebliche Überweisungen von Schutzsuchenden in ihre Heimatländer zu stoppen und dadurch Anreize für die Einwanderung nach Deutschland („Pull-Faktoren“) abzuschmelzen. In ihrem Antragstext stellen sich die Grünen gegen diese Erwartungshaltung. „Die Effekte zur Begrenzung von Migration oder Reduktion vermeintlicher ,Pull-Faktoren‘ kann die Bezahlkarte nicht erfüllen, da es praktisch keine empirischen Belege hierfür gibt“, heißt es.

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„Statt sich mit symbolpolitischen Scheinlösungen zu beschäftigen, wollen wir solche Maßnahmen vorantreiben, die dazu beitragen, dass sich zugewanderte Menschen schneller und besser integrieren können und in Arbeit kommen“, kommentiert auch Dennis Nawrot, Co-Vorsitzender des Gelsenkirchener Kreisverbands der Grünen. „Bei uns stehen Geflüchtete nicht unter Generalverdacht.“

CDU hatte sich erfreut über Einführung der Bezahlkarte gezeigt

Dass die Bezahlkarte auch über Gelsenkirchen hinaus nicht beliebt bei den Grünen ist, das ist kein Geheimnis. Trotzdem sei man als Land nach dem Beschluss der Ministerpräsidenten „nicht an einer Bezahlkarte vorbeigekommen“, meint die Gelsenkirchener Grünen-Landtagsabgeordnete Ilayda Bostancieri, deren Partei in NRW mit der CDU koaliert. Bei der namentlichen Abstimmung zur Gesetzesänderung im Landtag war Bostancieri abwesend. Sie verkauft es nun als „deutlichen grünen Erfolg“, dass die 50-Euro-Bargeldgrenze nun nicht pro Karte, sondern pro Person in einer Familie gilt und hofft, dass die Opt-Out-Regelung von möglichst vielen Kommunen genutzt wird. „Ich freue mich über den Antrag der Grünen-Ratsfraktion“, schreibt sie unserer Redaktion.

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Nicht freuen über den Antrag dürfte sich mindestens die CDU-Fraktion, die im Gelsenkirchener Stadtrat mit der SPD koaliert. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Monika Kutzborski hatte sich vielmehr Anfang 2024, als erstmals Bewegung in die konkrete Einführung kam, erfreut gezeigt und das System als „große Chance für mehr Gerechtigkeit“ bezeichnet. „Das Auszahlungssystem der staatlichen Sozialleistungen ist stark Missbrauchs-anfällig, wodurch oftmals falsche Anreize gesetzt werden“, sagte sie damals.

Unter den Gelsenkirchen Wohlfahrtsverbänden und in Andrea Henzes (SPD) Sozialdezernat wird die Bezahlkarte hingegen durchaus kritisch gesehen. Da Henze nun auch OB-Kandidatin der Sozialdemokraten ist, hat die Bezahlkarte durchaus das Zeug zu einem strittigen Wahlkampfthema.