Gelsenkirchen/Düsseldorf. Die Stadt Gelsenkirchen fordert seit Jahren ein Umdenken bei der Flüchtlingsverteilung. Der neueste Stand beim Land NRW sorgt für Unmut.
Schlechte Nachrichten für Gelsenkirchen: Obwohl die Stadtspitze seit Jahren betont und fordert, dass Gelsenkirchens doppelte Integrationsforderungen durch die Zuweisung von Schutzsuchenden einerseits und den massenhaften Zuzug von Menschen aus Südosteuropa andererseits bei der Verteilung von Asylsuchenden mehr berücksichtigt werden, sind nun die Hoffnungen für ein neues Zuteilungssystem in NRW erloschen. Auf Nachfrage teilte das Flüchtlingsministerium mit, dass man sich mit den kommunalen Spitzenverbänden im Bundesland nicht auf ein neues Modell einigen konnte.
So werden Flüchtlinge aktuell in NRW verteilt
In NRW werden die Schutzsuchenden nach einem zweigliedrigen System aus den Aufnahmeeinrichtungen des Landes in die Kommunen verteilt. Dabei gibt es zwei Quoten, die berücksichtigt werden. Eine richtet sich nach dem Flüchtlingsaufnahmegesetz (FlüAG-Quote), die andere nach der Wohnsitzauflage (WSA). Letztere bezieht sich auf Personen, die Sozialleistungen beziehen und ihren Wohnsitz nicht frei wählen dürfen. Diese Quote übererfüllt Gelsenkirchen seit Jahren, gegenwärtig werden hier fast 2800 Menschen gezählt, die nach der Wohnsitzauflage in der Stadt untergebracht sind, aufnehmen müsste Gelsenkirchen aber nur rund 1900.
Mit Blick auf die andere Quote hingegen erfüllt Gelsenkirchen seine Verpflichtungen noch nicht ganz, die Stadt müsste nach der FlüAG-Quote immer noch 273 Schutzsuchende aufnehmen (Stand: 3. November). Ein Schutzsuchender wird bei der FlüAG-Quote berücksichtigt, wenn er während seines laufenden Asylverfahrens oder nach Ablehnung seines Asylantrags einer Kommune zugewiesen wird. Die Quote ist „lebendig“, denn wenn immer mehr Geflüchtete ins Land kommen, erhöhen sich auch wieder die Aufnahmepflichten.
Quoten von Flüchtlingen: In Gelsenkirchen hatte man sich eine Verschmelzung der Quoten gewünscht
Gelsenkirchen erlebt aber nicht nur einen Zuzug von Geflüchteten durch die Verteilung des Landes. Hinzukommen die mehr als 12.000 Rumänen und Bulgaren, die zwar als freie EU-Bürger nach Gelsenkirchen gekommen sind, die aber auch integriert werden müssen. Immer wieder berichtet unsere Redaktion auch über weitere Migrationsphänomene, etwa jüngst über den Zuzug von nigerianischen Frauen, die aufgrund der geringen Mietkosten an der Emscher von Bayern nach Gelsenkirchen ziehen. Um diesen Herausforderungen und den ungleichen Verhältnissen bei den Verteilungsquoten Rechnung zu tragen, hat man sich in Gelsenkirchen zum Beispiel eine Verschmelzung der beiden Quoten gewünscht. Im Ergebnis würde Gelsenkirchen vermutlich erst mal keine Menschen mehr zugewiesen bekommen.
Vor einem Jahr noch teilte das NRW-Flüchtlingsministerium von Josefine Paul (Bündnis 90 / Die Grünen) auf Nachfrage unserer Redaktion mit, dass man prüfe, ob und wie die beiden Quoten in einen Ausgleich gebracht werden können. „Die Schwierigkeiten von Kommunen, die in einer der beiden Quoten in einer deutlichen Übererfüllung sind, sind der Landesregierung bekannt“, hieß es damals. Nun, ein Jahr später, das ernüchternde Ergebnis der Prüfung: „Die Frage einer möglichen Verschneidung der Schlüssel wurde inzwischen mit den kommunalen Spitzenverbänden unter Betrachtung verschiedener, aus Sicht des Landes vorstellbarer Modelle intensiv diskutiert“, heißt es. „Im Ergebnis war jedoch keine Verständigung auf ein Modell möglich, da der Entlastung einiger Kommunen immer eine Mehrbelastung anderer Kommunen gegenüberstehen würde.“
Stadt Gelsenkirchen ist „enttäuscht“ über Entscheidung in NRW
„Wir sind tief enttäuscht über diese Entwicklung“, sagt Sozialdezernentin Andrea Henze, die einerseits die Versorgung und Unterbringung von Geflüchteten in Gelsenkirchen verantwortet, die derzeit in Vertretung für die erkrankte Stadträtin Anne Heselhaus aber auch noch das Integrationsdezernat übernommen hat. „Für Gelsenkirchen ist diese Entscheidung nicht tragbar“, bekräftigt Henze. „Die vielen Menschen, denen wir in den letzten Jahren in Gelsenkirchen eine Heimat gegeben haben, erwarten zu Recht einen Kitaplatz, einen Schulplatz oder auch einen Arbeitsplatz. Unsere Bemühungen, dem gerecht zu werden und dabei allen anderen Zielgruppen ebenso eine gute Perspektive zu geben, bleiben sehr herausfordernd.“
Das Land hingegen betont, dass man weiterhin an vielen Maßnahmen arbeite, um die Kommunen im Hinblick auf die Aufnahme, Unterbringung und Integration von Geflüchteten zu unterstützen. So gelte mittlerweile beispielsweise, dass ausländische Personen aus einem sicheren Herkunftsstaat unbefristet verpflichtet werden sollen, bis zur finalen Entscheidung über den Asylantrag und im Falle der Ablehnung bis zur Ausreise in der zuständigen Aufnahmeeinrichtung zu wohnen. In der Praxis in Nordrhein-Westfalen erfolgte nach Angaben des Ministeriums bislang nach 24 Monaten eine Zuweisung von den Landeseinrichtungen an die Kommunen. Im Klartext sollen den Kommunen also weniger Menschen mit unsicherem Status zugewiesen werden.
„Das Land arbeitet zudem mit Hochdruck am Ausbau des Landesunterbringungssystems“, heißt es. Bis Jahresende sollen 41.000 Plätze bereitstehen.
Zumindest diese Änderungen werden auch von Andrea Henze begrüßt. „Das geht in die richtige Richtung und wird von uns ausdrücklich begrüßt“, betont sie. Aufgrund des ungelösten Quoten-Problems gelte jedoch weiterhin: „So wird man der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Deutschland und auch in NRW keineswegs gerecht.“
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