Gelsenkirchen. Kein Bargeld für Flüchtlinge: Diese Idee erlebt Zuspruch. In einer Gelsenkirchener Unterkunft aber findet man: „Das ist das schlechteste Mittel.“
- Sach- statt Geldleistungen für Asylsuchende: Für diese Idee gibt es in der Politik immer mehr Zuspruch.
- Das Diakonische Werk Gelsenkirchen hält dies aber für eine „Entmündigung“ und glaubt, dass dadurch nicht weniger Menschen kommen.
- Die CDU Gelsenkirchen dagegen hält Wertgutscheine und Sachleistungen für einen guten Weg, um die Migration zu begrenzen.
In der aufgeheizten Migrationsdebatte sind Sach- statt Geldleistungen für Asylsuchende ein Vorschlag, zu dem mittlerweile ein breiter politischer Konsens herrscht: Vereint finden die Länder, dass vermehrte Sachleistungen „einen Beitrag zur Reduzierung von Fehlanreizen für irreguläre Migration leisten“ könnten, ebenso hat sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) für die Maßnahme ausgesprochen. Doch was sagen diejenigen an der Basis, die täglich mit den Flüchtlingen und Migranten arbeiten? „Das ist nicht nur eine Entmündigung der Menschen, es wird auch an der Situation nichts ändern“, sagt Heike Lorenz, die für das Diakoniewerk Gelsenkirchen die zentrale Flüchtlingseinrichtung an der Adenauerallee betreut.
Ein neues Thema sind die Sachleistungen und Wertgutscheine für Geflüchtete nicht. Bereits vor 30 Jahren trafen Union, SPD und FDP unter großem gesellschaftlichen Druck den Asylkompromiss. Mit ihm wurde auch das Sachleistungsprinzip für rund sechs Jahre mit dem Ziel eingeführt, Asylsuchende abschrecken zu wollen und die Zahl der Asylanträge zu senken. „Ich kann mich noch gut daran erinnern“, erzählt die seit Jahrzehnten im Flüchtlingsbereich tätige Lorenz.
Sachleistungen statt Bargeld: Folgt ein Schwarzmarkt für Gutscheine in Gelsenkirchen?
Damals habe es etwa einen zentralen Laden im Zentrum Gelsenkirchens gegeben, in dem die Menschen Wertgutscheine gegen Produkte des täglichen Bedarfs eintauschen konnten – übrigens nicht gegen Alkohol oder Tabakwaren. „Es haben sich dann relativ schnell Initiativen gegründet, die diese Gutscheine aufgekauft haben“, so Lorenz am Rande einer Pressekonferenz zur Eröffnung eines neuen Spielplatzes an der Unterkunft Adenauerallee. Zudem hätte der Aufbau des Systems viel Mühe und Energie gekostet, „die heute an anderer Stelle viel mehr gebraucht wird, wie zum Beispiel im Ausländeramt“.
„Man schafft dadurch in Unterkünften Flüchtlinge erster und zweiter Klasse“, ergänzt Katharina Küsgen, Leiterin des Fachbereichs interkulturelles Zusammenleben beim Diakonischen Werk. „Es wird die geben, die hier wohnen und schon Jobcenter-Leistungen bekommen. Gleichzeitig werden wir die haben, die lediglich die Gutscheine bekommen.“ Deshalb sei es damals durchaus vorgekommen, dass ein Schwarzmarkt entstanden sei und „in der Verzweiflung“ manche Leute einen 25-Euro-Gutschein für 20 Euro verkauft hätten. (Jobcenter-Leistungen bekommen Menschen mit einem bewilligten Asylantrag; Asylbewerberleistungen jene im laufenden oder negativ abgeschlossenen Verfahren.)
Diakonie: Gutscheine für Flüchtlinge als „schlechtestes Mittel, um Integration zu gestalten“
Küsgen lehnt das Gutschein-System daher genauso ab wie andere Vorschläge der Ampel-Regierung, die etwa plant, die Durchsuchung von Wohnungen nach Unterlagen zu ermöglichen, um die Identität einer Person klären zu können. Für die Diakonie-Mitarbeiterin ist das ein „zu starkes Eindringen in die Privatsphäre“. „Wie auch mit dem Gutschein-System signalisieren wir den Menschen damit von Anfang an: Wir wollen dich nicht, wir trauen dir nicht, alles, was du machst, ist falsch. Ich glaube nicht, dass das dann Menschen werden, die sich vorurteilsfrei hier integrieren.“ Auch Heike Lorenz sagt deshalb: „Wenn man das hehre Ziel hat, die Integration zu gestalten, dann ist es das schlechteste Mittel.“
Klar ist: Integriert werden müssen wohl auch viele Menschen, die langjährige Empfänger von Asylbewerberleistungen sind und künftig zum Kreis der Gutschein-Empfänger gehören würden. Denn viele Menschen bleiben lange in Deutschland, obwohl sie ausreisepflichtig sind – haben als „Geduldete“ aber einen schlechten Zugriff auf Integrationsangebote und vermutlich dann bald auch auf Bargeld. Um die 1000 geduldete Menschen leben in Gelsenkirchen, nicht abgeschoben werden sie aus unterschiedlichsten Gründen (keine Papiere, fehlende Kooperation mit dem Heimatland, gesundheitliche Gründe etc.).
Gelsenkirchener CDU-Chef: „Unbestritten, dass Geldleistungen großer Pull-Faktor sind“
157 ausreisepflichtige Personen allerdings sind nach Angaben der Stadt 2022 auch freiwillig in ihre Heimatländer zurückgekehrt. Die Hoffnung der CDU ist, dass durch die Umschaltung auf Sachleistungen „mehr Menschen motiviert werden könnten, freiwillig heimzukehren“, wie der Gelsenkirchener Unionschef Sascha Kurth betont.
Die Forderung nach den Sachleistungen und Gutscheinen ist aber vor allem auch deshalb populär, weil man glaubt, damit schon die Anreize reduzieren können, sich überhaupt auf den Weg nach Deutschland zu machen. CDU und FDP sind der Ansicht, dass die Asylsuchenden so weniger staatliche Hilfen an Verwandte in ihren Heimatländern überweisen könnten. Das untermauert auch Sascha Kurth: „Unbestritten“ sei es, dass Geldleistungen aus dem Sozialsystem einer der größten Pull-Faktoren für die Migrationsbewegung nach Deutschland seien.
„Die Bürgerinnen und Bürger erwarten, dass die Migrationskrise jetzt geordnet gelöst wird. Und dazu gehört es auch, falsche Anreize zu streichen. Dazu wären Sachleistungen oder das in Berlin aktuell diskutierte ‚Bezahlkartensystem‘ während des Verfahrens oder nach Ablehnung sicherlich ein geeignetes Mittel, das sich schnell rumspricht“, meint Kurth – auch wenn es bürokratisch aufwendig wäre. Hier müsse es „ein klares Bekenntnis aus Berlin geben“.
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„Man tut so, als würde es hier um Großverdiener gehen, die große Summen nach Hause schicken“, meint dagegen Heike Lorenz. „Die Diskussion ist vorgeschoben, weil man versucht, einer bestimmten politischen Richtung etwas entgegenzuhalten.“ So sei bei den Menschen, die nach Deutschland kommen, oft überhaupt kein Detailwissen über die Sozialleistungen in Deutschland vorhanden, sagt die Einrichtungsbetreuerin. Ihre Botschaft: Der Fluchtentschluss werde nicht davon abhängen, ob es in Deutschland nun Sachleistungen gibt oder nicht. „Es kommen dadurch nicht weniger Menschen.“