Düsseldorf. Ein Jahr wurde über die Bezahlkarte für Flüchtlinge diskutiert, jetzt geht‘s los. Wo man sie nutzen kann, was tabu bleibt, wer sie hat.
Offiziell heißt sie nun „SocialCard“. Doch eigentlich war sie als Instrument der Abschreckung gedacht. Vor mehr als einem Jahr hat die Ministerpräsidentenkonferenz der Länder (MPK) gemeinsam mit dem Bundeskanzler die Beschränkung von Bargeldleistungen für Asylbewerber beschlossen.
Ein neue Bezahlkarte sollte verhindern, dass Geld in die Heimatländer geschickt oder zur Bezahlung von Schleuserrechnungen missbraucht wird. Der Sozialstaat Deutschland als Fluchtziel wollte sich so unattraktiver machen. Vor allem NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hatte sich in der Diskussion über sogenannte „Pull-Faktoren“ weit aus dem Fenster gelehnt. Doch es sollte noch bis zu diesem ersten Dienstag im Jahr 2025 dauern, bis ein praktikables Karten-Modell auf den Weg gebracht werden konnte. Zwingend nutzen müssen es die Kommunen an Rhein und Ruhr weiterhin nicht.
Wie lange dauert die NRW-weite Einführung der Bezahlkarte für Flüchtlinge?
NRW hat am Dienstag zunächst in jeweils einer Landesunterkunft in den fünf Regierungsbezirken mit der Ausgabe der Karten begonnen: Es sind die Einrichtungen in Dortmund-West, Detmold, Remscheid, Euskirchen und Gladbeck. Statt der üblichen Taschengeld-Ausgabe in bar gibt es dort eine Debitkarte ohne Kontobindung, die mit einem Guthaben aufgeladen wird. Wenn die Karte ihre technische Feuertaufe besteht, soll sie bis Ende März an die Bewohner in allen rund 50 Landesunterkünften ausgegeben werden. Anschließend ist ein „Rollout“ auf die Flüchtlinge in kommunaler Verantwortung geplant.
Wieviel Taschengeld steht Flüchtlingen monatlich zur Verfügung?
Asylbewerberleistungen wie Verpflegung und Unterkunft werden als Sachleistungen zur Verfügung gestellt. Bei dem Kartenguthaben geht es nur um den „notwendigen persönlichen Bedarf“, also das Taschengeld, aus dem kleinere Ausgaben im Alltag außerhalb der Einrichtung bestritten werden müssen, aber auch Mobilitätskosten wie Busfahrkarten. Für Alleinstehende steht aktuell ein Kartenguthaben von monatlich 196 Euro zur Verfügung, für Jugendliche 133 Euro und für Kleinkinder 126 Euro. Maximal 50 Euro dieser Beträge können am Geldautomaten in bar abgehoben oder in einem Geschäft als Geldscheine ausgegeben werden.
NRW-Besonderheit: Auch für Kinder gibt es 50 Euro Bargeld
Für welche Ausgaben ist die Bezahlkarte gesperrt?
Die Bezahlkarte kann bundesweit überall dort im stationären Handel oder im Online-Handel eingesetzt werden, wo auch normale Visa-Karten akzeptiert werden. Das Händlernetz umfasst somit mehr als 15.000 Geschäfte. Nicht bezahlt werden können nur sexuelle Dienstleistungen oder Glücksspiel. Obwohl die Bezahlkarte kein Bankkonto darstellt, sondern eine Art Prepaid-Karte, sollen am Mitte März Inlandsüberweisungen mit ihr möglich sein. Geldtransfers in Ausland sind dagegen explizit ausgeschlossen.
Gibt es Besonderheiten bei der NRW-Umsetzung?
Grundsätzlich führen 13 Bundesländer das gleiche Kartenmodell ein. Nur Bayern und Mecklenburg-Vorpommern hatten vorab eigene Bezahlkarten entwickelt. In NRW liegt die Bargeldgrenze für Kinder ebenso wie für Erwachsene bei 50 Euro pro Monat. Das halten andere Länder strikter. Dahinter steht die Überlegung in Düsseldorf, dass Familien mit Kindern eher auf Bargeld angewiesen sein könnten, um etwa günstig Kleidung und Spielzeug auf Flohmärkten zu erstehen.
Warum müssen die NRW-Kommunen die Bezahlkarte nicht zwingend übernehmen?
Die sogenannte Opt-Out-Regelung ermöglicht es den Kommunen in NRW, an eigenen Systemen der Taschengeld-Gewährung festzuhalten. Das wird von der Landtagsopposition und Kommunalvertretern als „Flickenteppich“ kritisiert. SPD-Fraktionsvize Lisa-Kristin Kapteinat vermutet, dass so kaschiert werden soll, dass die Grünen die Flüchtlingskarte eigentlich ablehnen: „Die Landesregierung hat die Verantwortung wegen des schwarz-grünen Koalitions-Krachs einmal mehr auf die Kommunen geschoben.“ Ministerpräsident Wüst setzt offenbar auf die Macht des Faktischen: Flüchtlinge, die aus einer Landeseinrichtung an die Kommunen zugeteilt werden, nehmen ihre Bezahlkarte künftig automatisch mit. Ein Stadtrat müsste also künftig zunächst einen neuen Ratsbeschluss herbeiführen und ein funktionierendes System der Leistungsgewährung aktiv ändern.
Opt-Out-Regel für Kommunen in NRW bleibt umstritten
Wie lange behalten Flüchtlinge die Bezahlkarte?
Die Bezahlkarte gilt so lange, wie Asylbewerber Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz oder sogenannte „Analogleistungen“ beziehen, die nach 36 Monaten dem etwas höheren Bürgergeld entsprechen. Bei Geduldeten, die keinen Schutzstatus haben, aber aus unterschiedlichen Gründen nicht abgeschoben werden können, kann es sich um Jahre handeln. Erst wenn ein eigenes Einkommen erzielt wird, fällt die Bezahlkarte weg.
Wie wird Bezahlkarten-Betrug ausgeschlossen?
Damit nicht in mehreren Einrichtungen mit unterschiedlichen Identitäten mehrere Bezahlkarten bezogen werden können, soll künftig die Kartenausgabe in das Verfahren der Erstregistrierung und Identifizierung von Flüchtlingen übernommen werden. Die Datenbank weiß dann, welche Identität welcher Bezahlkarte zugeordnet ist.
Wie groß ist die Gefahr von Umgehungstatbeständen?
In Bayern sorgten Meldungen für Wirbel, wonach mit der Bezahlkarte Gutscheine gekauft und diese anschließend bei Hilfsorganisationen gegen Bargeld umgetauscht wurden. Ganz ausgeschlossen werden kann das auch in NRW nicht. Doch die Landesregierung rechnet offenbar nicht mit einer nennenswerten Zahl an Umgehungstatbeständen.