Gelsenkirchen. Extrem-Kürzungen im sozialen Sektor? Offenbar wird es in Gelsenkirchen in manchen Bereichen doch nicht so schlimm wie gedacht.

In der Politik ist aktuell viel in Bewegung. Nicht nur in Berlin, wo der historische Ampel-Crash einen Scherbenhaufen hinterlassen hat. Auch auf Landesebene tobt, hier allerdings mehr hinter den Kulissen, ein harter Verteilungskampf um die begrenzten Mittel im Haushalt. Vor allem im sozialen Bereich soll ordentlich gespart werden. Weil die Rede ist von Kürzungen in Höhe von 83 Millionen Euro bei zahlreichen sozialen Diensten und Angeboten, findet am 13. November sogar eine große Kundgebung der freien Wohlfahrtspflege aller Städte und Gemeinden vor dem Landtag statt. Und auch in Gelsenkirchen interessiert die Politik: Wie schlimm werden sie wirklich, die Einschnitte?

Die SPD-Fraktion hatte im Beirat für Menschen mit Behinderung deshalb einen Sachstandsbericht zu den Auswirkungen der geplanten Kürzungen des Landes gefordert und wollte wissen, was die 5 Millionen Euro, die allein im Bereich der Inklusion eingespart werden sollen, genau für die Emscherstadt bedeuten. Nicht nur die SPD, auch andere Beiratsmitglieder zeigten sich über die Kürzungspläne erschrocken. „Ich hatte Herzklopfen bekommen“, gab etwa auch Anna Schürmann von der FDP zu. Doch dann konnte Gelsenkirchens Seniorenbeauftragter Julius Leberl eine Überraschung verkünden.

Stand der Gelsenkirchener Verwaltung: keine Auswirkungen für die Stadt

„Aufgrund des Antrags habe ich beim Ministerium angerufen“, teilte Leberl den Beiratsmitgliedern in der jüngsten Sitzung mit. „Man konnte mir berichten, dass man die Kürzungen in den angegebenen Titeln zurücknehmen wird. Hierzu wird es eine Ergänzungsvorlage geben, die nach Kabinettsbeschluss in den Landtag eingebracht wird.“ Es soll also keine wirklichen Auswirkungen auf die Inklusionsarbeit in Gelsenkirchen geben.

Julius Leberl, der Seniorenbeauftrager der Stadt Gelsenkirchen, wurde vom Land darüber informiert, dass die Kürzungen bei der Inklusion doch nicht kommen sollen.
Julius Leberl, der Seniorenbeauftrager der Stadt Gelsenkirchen, wurde vom Land darüber informiert, dass die Kürzungen bei der Inklusion doch nicht kommen sollen. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Damit hatten die anwesenden Politiker nicht gerechnet. Es werde mit Blick auf die Kürzungen offenbar alles nicht so heiß gegessen wie gekocht, zeigte sich etwa Anna Schürmann ein Stück weit erleichtert. „So richtig beruhigen tut es mich aber noch nicht, weil das Kabinett es noch nicht beschlossen hat“, sagte sie zugleich. Von daher wolle man sich in der nächsten Sitzung noch mal informieren lassen über etwaige Einschnitte für die Stadt.

Auf Nachfrage zu den Mitteln für die Inklusion macht das NRW-Gesundheitsministerium auf die Rede von Landessozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) zur Einbringung des Haushaltsentwurfs im NRW-Sozialausschuss aufmerksam. Dabei betonte Laumann, dass „im jetzt vorliegenden Haushaltsentwurf noch schmerzliche Kürzungen bei der Inklusionspolitik vorgesehen“ seien. „Hier beabsichtigen wir aber im laufenden Haushaltsaufstellungsverfahren noch nachzusteuern. Damit könnten wichtige inklusionspolitische Maßnahmen fortgesetzt werden. Klar ist aber auch, dass eine Rücknahme dieser Kürzungen zwingend durch Einsparungen an anderer Stelle finanziert werden muss“, so der Minister bereits Mitte September.

Das sagt Grünen-Abgeordnete Bostancieri zu Kürzungen im sozialen Sektor

Sicherheit wird es also erst geben, wenn der Haushalt 2025 zum Ende des Jahres verabschiedet wird. Auch das Ampel-Aus dürfte noch mal weitere Unruhe in die Verhandlungen in Düsseldorf bringen, da Entscheidungen in Berlin natürlich auch die finanziellen Spielräume in NRW betreffen. Die oppositionelle SPD-Fraktion in NRW hatte in einer Auswertung im September jedenfalls deutlich gemacht, dass es Kürzungen unter anderem bei der Suchthilfe (minus rund 2 Millionen Euro), der Familienberatung (minus rund 3,9 Millionen Euro), der sozialen Beratung von Geflüchteten (minus 22,1 Millionen Euro) sowie bei Hilfen für gewaltbetroffene Frauen (minus rund 1,9 Millionen Euro) geben soll.

Die Gelsenkirchener Grünen-Landtagsabgeordnete Ilayda Bostancieri: „Es geht an die Substanz.“
Die Gelsenkirchener Grünen-Landtagsabgeordnete Ilayda Bostancieri: „Es geht an die Substanz.“ © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Ilayda Bostancieri, Landtagsabgeordnete der Grünen aus Gelsenkirchen, machte jedoch gegenüber unserer Redaktion deutlich, dass die Frauenhäuser und damit auch das erst kürzlich eröffnete zweite Frauenhaus in Gelsenkirchen „keinen Euro weniger bekommen werden.“ Grundsätzlich macht die Grüne aber auch keinen Hehl daraus, dass sie wegen der geplanten Einsparungen im Sozialen keine einfachen Gespräche in Gelsenkirchen führen muss. „Ich kann die Unruhe bei den Wohlfahrtsverbänden und sozialen Trägern verstehen. Es geht wirklich an die Substanz.“ Aufgrund von Steuermindereinnahmen, zusätzlichen Landesaufgaben und Versäumnissen der letzten Regierung gebe es jedoch keinen anderen Weg. „Dieser Dreiklang macht es schwierig.“

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Klar aber ist: Für die Grünen, bei denen es intern nach dem Rücktritt des kompletten Bundesvorstands und auch dem Vorstand der Grünen Jugend in NRW, derzeit ohnehin sehr rumort, sind die Kürzungen auch eine Identitätsfrage. Dass ausgerechnet sie Kürzungen im großen Stil mitverantworten müssen, ist für die Partei schmerzlich. Der Frage nach den roten Linien ihrer Partei weicht Bostancieri jedoch aus: „Die Frage wird der Debatte nicht gerecht“, meint sie. „Die Verhandlungen laufen und wir arbeiten an allen Ecken und Enden daran, das Beste für die Menschen dabei herauszuholen.“