Gelsenkirchen. Finanznot verschärft sich: Evangelische Gemeinde-Haushalte rutschen ins Minus. Auf Gelsenkirchener Protestanten kommen nun neue Zumutungen zu.

Sinkende Kirchensteuereinnahmen, steigende Personal- und Gebäudekosten: Die Herausforderungen, vor denen die Kirchen stehen, sie sind nicht neu. Seit Jahren schon müssen sich die Gemeinden „kleiner setzen“, sprich: Kirchen und Gemeindehäuser schließen. Doch die finanzielle Notlage verschärft sich zusehends. Nun hat eine Konzeptionsgruppe des Evangelischen Kirchenkreises Gelsenkirchen und Wattenscheid Lösungsvorschläge entwickelt, die das Gemeindeleben vor Ort grundlegend verändern dürften. Besonders einer birgt Sprengkraft.

Dass die sieben Gemeinden (mehr) miteinander kooperieren sollen, etwa was Gottesdienste, Personal und inhaltliche Projekte angeht, dass sie (unterschiedliche) Profile bilden sollen: Damit können sich die Presbyterien vor Ort gut arrangieren, hat die Nachfrage der Redaktion ergeben. Tatsächlich wird dies schon jetzt in Teilen praktiziert.

Brisanter Vorschlag wurde auf der Synode des Kirchenkreises Gelsenkirchen und Wattenscheid vorgestellt

Für Unruhe sorgt ein anderer auf der November-Synode vorgestellter Punkt: So empfiehlt die Konzeptionsgruppe, bestehend aus Vertretenden von Gemeinden, Kirchenkreis-Fachreferaten und Diakonie, dass sich jede Gemeinde auf nur noch eine Kirche und ein Gemeindehaus reduzieren solle. In der Folge hieße das, vor Ort weitere Gotteshäuser und Gemeindesäle aufzugeben und erneut Gläubige zu verprellen.

Zwar betont Kirchenkreissprecherin Jutta Pfeiffer, dass es sich lediglich um eine Anregung handele und jede Gemeinde für sich entscheide, ob und inwiefern es diese umsetze. Sie unterstreicht aber auch: Dieser „schmerzhafte Prozess“, sich mit dem Vorschlag weiterer Einschnitte auseinanderzusetzen, sei „absolut nötig“.

Finanzsituation der Kirchengemeinde Gelsenkirchen-Nord ist besonders dramatisch

Ist auch schon längst Geschichte und einem Seniorenheim gewichen: die Stephanuskirche in Gelsenkirchen-Buer. Sie gehörte zur Evangelischen Trinitatis-Kirchengemeinde Buer, die Anfang 2024 mit der Lukas-Kirchengemeinde fusionierte.
Ist auch schon längst Geschichte und einem Seniorenheim gewichen: die Stephanuskirche in Gelsenkirchen-Buer. Sie gehörte zur Evangelischen Trinitatis-Kirchengemeinde Buer, die Anfang 2024 mit der Lukas-Kirchengemeinde fusionierte. © FUNKE Foto Services | Oliver Mengedoht

Wie dramatisch die Situation teils ist, illustriert das Beispiel der Evangelischen Kirchengemeinde Nord, die erst Anfang 2024 aus der Vereinigung von Trinitatis (Buer, Scholven, Hassel-Süd) und Lukas (Hassel-Nord) entstanden ist: Wie sie in einem Gemeindebrief transparent macht, ist sie aktuell ins Minus gerutscht: 2024 fehlen ihr rund 70.000 Euro - nachdem sie 2023 noch gerade so eben schwarze Zahlen geschrieben hatte. Im laufenden Jahr stehen Ausgaben in Höhe von 2,36 Millionen Euro Einnahmen von nur 2,29 Millionen Euro gegenüber.

Hintergrund für die Schräglage sind Rahmenbedingungen, mit denen alle Gemeinden gleichermaßen zu kämpfen haben: Die Kosten für Gebäude sind durch die Inflation förmlich explodiert, zudem haben sich die Vorgaben für die Höhe der Rücklagen ungünstig geändert. Wegen Tarifsteigerungen sind die Personalkosten im Vergleich zum Vorjahr um fünf Prozent gestiegen. Und: Die Kirchensteuer-Einnahmen sinken durch den Mitgliederverlust, bedingt durch Austritte und Sterbefälle. 2015 etwa zählte der Kirchenkreis noch 90.000 Mitglieder - 2021 waren es nur noch 75.000.

Gelsenkirchener Insider: Ohne Schließungen droht vielen Gemeinden Haushaltssicherungsverfahren

Nicht jede Kirchengemeinde geht so offen mit ihrer Haushaltslage um. Aber auch andernorts sind die Haushalte mehr als nur auf Kante genäht. Insider unken gar, wenn die Gemeinden nicht bald aktiv würden und sich von Gebäuden trennten, drohten einige gar ins Haushaltssicherungsverfahren zu rutschen und so faktisch ihre Selbstständigkeit zu verlieren.

Für Andrea Kemner-Hogrebe, Presbyteriums-Vorsitzende in der Kirchengemeinde Nord, wäre genau das ein Albtraum: „Dann müssten wir für jede Entscheidung mit Auswirkungen auf die Finanzen einen Antrag beim Kirchenkreis stellen.“ Man würde „von oben“ verwaltet und hätte nur noch eingeschränkte Mitbestimmungsmöglichkeiten.

Kirchengemeinde Gelsenkirchen-Nord hat sich schon zu weiterem Einschnitt durchgerungen

Die Außenfassade der Christuskirche in Gelsenkirchen-Beckhausen wurde 2016 aufwendig saniert, auch neue Fenster wurden eingebaut. Nun muss die Epiphanias-Gemeinde überlegen, dieses Gotteshaus aufzugeben - oder eines der beiden in Horst oder Heßler.
Die Außenfassade der Christuskirche in Gelsenkirchen-Beckhausen wurde 2016 aufwendig saniert, auch neue Fenster wurden eingebaut. Nun muss die Epiphanias-Gemeinde überlegen, dieses Gotteshaus aufzugeben - oder eines der beiden in Horst oder Heßler. © FUNKE Foto Services | Thomas Schmidtke

Um das zu verhindern, hat das Presbyterium sich gerade dazu durchgerungen, das Gemeindehaus am Standort Markus an der Biele in Hassel-Süd zum 31. März 2025 zu schließen, „schweren Herzens“, wie die Bueranerin betont im Bewusstsein, dass sie nicht mehr mobilen Gläubigen womöglich eine Anlaufstelle nimmt. Weitere Zumutungen könnten folgen. Denn noch betreibt die Gemeinde drei Kirchen in Buer (Apostel), Scholven (Advent) und Hassel-Süd (Lukas) sowie zwei Gemeindehäuser (Buer und Scholven).

In anderen Gemeinden sieht es ähnlich aus: Die Epiphanias-Kirchengemeinde hält in Beckhausen und Horst je eine Kirche und ein Gemeindehaus, muss in Sachen Gebäude-Konzeption aber auch noch die selbstständige Gemeinde Heßler samt deren Kirche und Gemeindehaus mitdenken, mit der sie einen Kooperationsraum bildet.

Gelsenkirchener Pfarrerin ist frustriert, dass bisherige Einsparungen noch immer nicht reichen

Pfarrer Peter Schmidt von der Evangelischen Christus-Kirchengemeinde Buer - hier bei der Vorstellung eines Videos für Kinder zu Ostern 2020 - will als Kirche auch nach eventuellen Gebäude-Aufgaben vor Ort sichtbar bleiben.
Pfarrer Peter Schmidt von der Evangelischen Christus-Kirchengemeinde Buer - hier bei der Vorstellung eines Videos für Kinder zu Ostern 2020 - will als Kirche auch nach eventuellen Gebäude-Aufgaben vor Ort sichtbar bleiben. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

„Uns ist klar, dass an weiteren Einschnitten kein Weg vorbei führt. Aber diese umzusetzen, ist unglaublich bitter“, ist Pfarrerin Andrea Rylke-Voigt frustriert. „In Horst und Beckhausen wurden vor der Fusion schon Gebäude geschlossen. Und wir sparen sogar die Kantorenstelle ein. Trotzdem reicht es nicht.“

Die Christus-Kirchengemeinde Buer betreibt noch vier Gotteshäuser in Middelich (Matthäus), Erle (Dreifaltigkeit und Thomas) sowie Resse (Paulus), dazu noch drei Gemeindehäuser. Pfarrer Klaus-Peter Schmidt als Presbyteriums-Vorsitzender ist klar: „Wie viele Gebäude wir in Zukunft noch haben werden, hängt davon ab, was wir finanzieren können.“ Man werde neue Wege gehen müssen, um auch nach Gebäude-Aufgaben vor Ort sichtbar zu bleiben.

Gelsenkirchener Apostel-Kirchengemeinde will in der Fläche bleiben und setzt auf Kooperationen

Die Evangelische Lutherkirche in Gelsenkirchen-Bulmke-Hüllen wird seit Mitte 2023 auch von Katholiken mitgenutzt, nachdem deren Herz-Jesu-Kirche geschlossen worden war.
Die Evangelische Lutherkirche in Gelsenkirchen-Bulmke-Hüllen wird seit Mitte 2023 auch von Katholiken mitgenutzt, nachdem deren Herz-Jesu-Kirche geschlossen worden war. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Die Apostel-Kirchengemeinde hält noch die Christus-, Luther- und Nicolai-Kirche in Bismarck, Hüllen und Ückendorf, dazu drei Gemeindehäuser (Nicolai, Florastraße und Grieseplatz). „Wir haben uns aber schon vor Jahren entschlossen, die Gemeindehäuser am Grieseplatz und an der Florastraße sowie die Nicolaikirche aufzugeben, ansonsten aber in der Fläche zu bleiben und Kooperationen einzugehen, die für finanzielle Entlastung sorgen“, so Pfarrer Dieter Eilert, stellvertretender Presbyteriums-Vorsitzender.

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Als Beispiel nennt er die Zusammenarbeit mit den Katholiken der aufgegebenen Herz-Jesu-Kirche, die nun in der Luther-Kirche Gottesdienste feiern. Das Papier der Konzeptionsgruppe sei nur ein Vorschlag, es gebe auch andere Wege, Geld einzusparen, bleibt er gelassen.

Auch Gelsenkirchener Vorreiter Emmaus-Gemeinde droht ins Minus zu rutschen

Dass Gebäude-Aufgaben nicht das Allheilmittel sind, zeigt das Beispiel Emmaus-Kirchengemeinde: Die Aufgabe von Friedenskirche (Schalke) und Kreuzkirche (Feldmark) ist schon beschlossen, so dass nur noch die Altstadt-Kirche für zentrale Gottesdienste und das Rotthauser Gotteshaus für Jugend-Gottesdienste übrig bleiben, jeweils samt Gemeindehaus. Trotzdem erwartet Presbyteriums-Vorsitzender Dirk Blum, dass Emmaus - „laut Kirchenkreis aktuell die einzige Gemeinde mit einem schwarzen Haushalt“ - mit rund 40.000 Euro in 2025 ins Minus rutscht, auch weil man sich entschlossen hat, für die Jugendarbeit zwei hauptamtliche Mitarbeitende vorzuhalten und im nächsten Jahr einen Kirchenmusiker anzustellen.

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Sparen alleine, so Blums Erkenntnis, reiche nicht aus. Die Gemeinden müssten neue Einnahmen generieren. „Dafür müssen wir unsere Renditeobjekte mehr in den Blick nehmen“, spielt Blum auf vermietete Immobilien an. Was das genau heißt, soll das Presbyterium in 2025 erörtern. Fest steht: Überall in den Gemeinden wird 2025 diskutiert werden müssen. Bis zur Sommersynode will man etwas mehr Klarheit haben. Erste Schritte könnten durchaus zeitnah umgesetzt werden, heißt es aus dem Kirchenkreis. Dr. Christian Hellmann, Pfarrer in Epiphanias und Heßler, hofft: „Vielleicht gelingt es uns, uns mit den umwälzenden Entscheidungen auch spirituell neu aufzustellen.“

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