Gelsenkirchen. Gelsenkirchen Superintendent will leere Kirchen für diakonische Angebote nutzen. Doch oft verhindern das Denkmalschutz und Baufälligkeit.
Explodierende Energiekosten setzen die Kirchen zunehmend unter Spardruck bei kircheneigenen Immobilien, vor allem bei Kirchen und Gemeindehäusern. „Ein Wochenendgottesdienst in der kühleren Jahreszeit kostet mehrere Hundert Euro Heizkosten im Vorfeld“, klagt Superintendent Heiner Montanus. Dabei sind die Einnahmen der evangelischen Kirche aus der Kirchensteuer in den letzten Jahren immens geschrumpft. 73.200 Gelsenkirchener waren Ende 2022 noch Mitglied der evangelischen Kirche. 1974 waren es 200.000, Ende 2012 immerhin noch 94.600.
Bisher nur zwei evangelische Kirchen an private Käufer abgegeben
Dennoch hat die evangelische Kirche bislang lediglich zwei Gotteshäuser an eine Privatperson veräußert. Die anderen 21 evangelischen Kirchen in Gelsenkirchen befinden sich weiterhin im Besitz des Kirchenkreises beziehungsweise der Gemeinden. „Und es laufen auch keine Verkaufsverhandlungen“, versichert Montanus. Allerdings werden nicht alle Kirchen mehr jede Woche für Gottesdienste genutzt. Die Zahl der evangelischen Kirchengemeinden ist auf sechs geschrumpft: Emmaus, Heßler, Apostel, die jüngst vereinigten Trinitatis und Lukas, Christus und Epiphanias.
Weniger Seelsorger, weniger Besucher, hohe Energiekosten
In vier evangelischen Kirchenbauten finden keine regulären, sondern nur noch einzelne Gottesdienste in besonderen Zusammenhängen statt, in anderen wird nur noch alle 14 Tage zum Gottesdienst eingeladen. Weitere Gründe neben den Energiekosten: Es gibt weniger Seelsorger und weniger Gottesdienstbesucher. „Und es ist für das Gemeinschaftserlebnis für die Besucher und auch für den Pfarrer angenehmer, im etwas größeren Kreis den Gottesdienst zu feiern“, erklärt Montanus.
Außerdem will er weiter auf neue Gottesdienstformen, auch unter freiem Himmel, setzten. „Wir müssen auf die Mitglieder zugehen, ihnen Angebote machen. Die Zeiten, in denen wir darauf warten, dass sie selbstverständlich zu uns in die Gottesdienste kommen, ist vorbei“, ist Montanus überzeugt. Das Durchschnittsalter der Pfarrerinnen und Pfarrer im Kirchenkreis liegt laut Montanus aktuell bei 58 Jahren, der Nachwuchs kommt nur spärlich.
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Nicht sparen hingegen wolle die evangelische Kirche an Investitionen in Kitas, betont der Superintendent. Eine neue entsteht auf dem Gelände des früheren Katharina-von-Bora-Hauses, eine weitere soll in Scholven die bisherige, zu klein gewordene Kita ersetzen. „Zehn Prozent unserer Kirchensteuereinnahmen im Kirchenkreis Gelsenkirchen-Wattenscheid fließen in Kitas, zwölf betreiben wir aktuell allein in Gelsenkirchen,“ erläutert Montanus, wofür die Einnahmen genutzt werden. Doch nun zu den um- und ungenutzten Kirchengebäuden:
Entwidmet und leerstehend: Ev. Auferstehungskirche in der Neustadt
Sie ist eigentlich ein Schmuckstück, die Auferstehungskirche an der Josefstraße in der Neustadt. 1911 von Anton Eugen Fritsche als Einheitsraum ohne Seitenschiffe oder angebauten Chorraum erbaut ist vor allem der 25 Meter hohe, quadratische Eckturm charakteristisch. Das Portal ist von geschwungenen Jugendstil-Elementen geprägt. Kleine Rundbogenfenster beleuchten den Innenraum. Wegen massiver Schäden an der Bausubstanz wurde die Kirche bereits 2008 geschlossen und 2011 entwidmet. Im Sommer 2012 wurde die seit 1986 unter Denkmalschutz stehende Kirche als Kultur- und Veranstaltungsraum genutzt. Seither steht der Bau leer und ist für die Öffentlichkeit gesperrt.
Entwidmet und in privater Hand: Ev. Paul-Gerhardt-Kirche Ückendorf
Die Ückendorfer Paul-Gerhardt-Kirche an der Nansenstraße wurde vom Architekten Kurt Hatlaus 1967 erbaut, jedoch bereits 2006 wieder entwidmet. Die Fußball-Brüder Altintop schlossen zunächst einen Erbpachtvertrag mit der Gemeinde. Der Plan: Sie wollten in einen von einem Verein geplanten Beginenhof investieren, der auf dem Gelände entstehen sollte. Die Kirche sollte dabei zur Nutzung der Mieterinnen und Mieter erhalten bleiben. Doch dieser Plan scheiterte. 2020 übernahm dann die Gelsenkirchener Firma Bielefeld den Erbpachtvertrag vom Kirchenkreis. Das Kirchengebäude soll als Atelier beziehungsweise privates Museum genutzt werden, nebenan entstand Wohnbebauung.
Umgenutzt und dafür umgebaut: Ev. Markuskirche in Hassel
Die Markuskirche in Hassel, Biele 1, wurde 1955 eingeweiht und bis Ende 2014 als Gotteshaus genutzt. Das denkmalgeschützte Gebäude wurde – in Abstimmung mit der Landeskirche und der unteren Denkmalbehörde – entkernt und so umgebaut, dass im ehemaligen Kirchenraum zehn barrierefreie, öffentlich geförderte Wohnungen entstanden. Die Kirche und auch der Turm blieben dabei erhalten. Gottesdienste werden heute im Gemeindesaal des angrenzenden Gemeindehauses gefeiert. Die ehemalige Kirche, das Gemeindehaus und das Gebäude des Ev. Familienzentrums „Markuskindergarten“ gehen ineinander über. Das Gelände ist weiterhin im Besitz des Evangelischen Kirchenkreises.
Umgenutzt: Ev. Stephanuskirche in Buer
Die 1970 eingeweihte Stephanuskirche in Buer an der Westerholter Straße 92, erbaut nach Plänen des Architekten Peter Grund, der auch die Nikolaikirche in Dortmund als erste Stahlbetonkirche Deutschlands geplant hatte, wird seit Anfang 2022 nicht mehr als Gemeindekirche genutzt. Bei dem wegen seiner modernen Dreiecksarchitektur unter Denkmalschutz stehenden Bau zeigten sich bereits 2013 bauliche Mängel an den Glasbetonfensterwänden, deren Sanierung sechsstellige Kosten verursacht hätte. Die Trinitatis-Kirchengemeinde verkaufte den Kirchenbau, das Gemeindehaus und die Pfarrwohnung an einen Investor, der sich verpflichtete, die Kirche zu erhalten. Die Kirche wird weiterhin für Orgelkonzerte und andere musikalische Events genutzt und ist nicht entwidmet. Nebenan entstand ein Seniorenwohn- und Pflegeheim.
Umgenutzt: Ev. Jakobuskirche in Horst
Die Gelsenkirchener Architekten Ernst Otto Glasmeier, Egbert Drengwitz und Hubert Halfmann planten und erbauten die 1963 eingeweihte Jakobuskirche in Horst an der Laurentiusstraße. Bereits seit 2006 wird das Gebäude nicht mehr als Kirche genutzt, da die Gemeinde von 14.500 Mitgliedern anno 1958 auf nur noch 5900 in 2008 geschrumpft war. 2010 übernahm das Bestattungsunternehmen Nehrkorn das Gebäude in Erbpacht. In der Kirche wurde ein Verabschiedungsraum für Trauernde eingerichtet, das Institut nutzt den Kirchenraum auch für Aussegnungsfeiern, aber auch als Präsentationsraum.
Gelsenkirchens älteste Kirche, aktuell kaum genutzt: Bleckkirche in Bismarck
Die denkmalgeschützte Bleckkirche in Bismarck ist die älteste in der Stadt. Sie datiert aus dem Jahr 1735 und birgt eines von Gelsenkirchens kostbarsten Kunstwerken: den Grimberger Altar aus dem Jahr 1574. Der Graf von Nesselrode ließ die Kirche erbauen, 150 Jahre später erweiterte der Baumeister Hellhammer den Renaissance-Bau mit einem neoromanischen Backsteinsaal plus Turm. Hier finden besondere Gottesdienste und kirchliche Feiern statt, Trauungen und bis zum vergangenen Jahr unter Pfarrer Thomas Schöps war das Haus DIE Anlaufstelle für Kultur in der Kirche in Gelsenkirchen. Wie das Haus, das weiterhin der Apostelgemeinde gehört, künftig „bespielt“ wird, ist noch unklar.
Noch Gotteshaus, aber kaum genutzt: Kreuzkirche in der Feldmark
Die evangelische Kreuzkirche an der Pothmannstraße 27 wurde 1906 vom Architekten Baurat Friedrich Graeber aus Bielefeld als neugotische Hallenkirche erbaut. Im Krieg wurde sie weitgehend zerstört und bis 1954 wieder aufgebaut, allerdings deutlich schmuckloser als der Originalbau. Das Gebäude wird nur noch sporadisch als Kirche genutzt. Die weitere Nutzung ist unklar.
Noch Gotteshaus, aber kaum genutzt: Evangelische Kirche Rotthausen
Die bis heute namenlose Evangelische Kirche Rotthausen an der Steeler Straße 48 wurde nach Plänen des Mülheimer Architekten Heinrich Heidsiek erbaut und 1896 eingeweiht. Die Kirche bot stattliche 1100 Plätze. 2014 wurde die Kirche Teil der Emmaus-Gemeinde in Gelsenkirchen – aus Spargründen und Personalmangel wurden die Einzelgemeinden aufgegeben. Als das Presbyterium in Rotthausen im Februar 2022 verkündete, dass die Kirche nicht mehr für reguläre Gottesdienste genutzt werden soll, gab es starke Proteste der überaus engagierten Gemeindemitglieder in Rotthausen.
Nur noch selten genutzt: Ev. Friedenskirche in Schalke
Die Friedenskirche an der Königsberger Straße 122 in Schalke wurde 1959 eingeweiht. Es war die Zeit des Wirtschaftswunders und der Babyboomer. Architekt des ungewöhnlichen Rundbaus aus Backstein und Beton war Denis Boniver, selbst ein gebürtiger Schalker. Der Rundbau ersetzte die alte Kirche am Schalker Markt von 1882, die im Krieg zerstört worden war. Deren Ruine wurde rund um den Bau der Berliner Brücke abgetragen. Die Friedenskirche wird noch als Kirche genutzt, allerdings ebenfalls nur noch sporadisch. Sie steht unter Denkmalschutz.
Gotteshaus mit unklarer Zukunft: Pauluskirche Bulmke
Die Pauluskirche in Bulmke gegenüber dem Gauß-Gymnasium an der Hammerschmidtstraße wurde 1911 erbaut vom Architekten Arno Fritsche. Nach der Zerstörung im Krieg wurde sie von 1955 bis 1957 wieder aufgebaut. An der Gestaltung waren mehrere Künstler der Halfmannshof-Siedlung beteiligt. 2020 wurde die Kirche aus dem Regeldienst genommen, aber nicht entwidmet. Ein 2009 gegründeter Förderverein trieb ein Zukunftsprojekt mit Baukultur NRW, Kirchenkreis und Gauß-Gymnasium voran mit dem Ziel, das Gotteshaus künftig als Anlaufstelle und Ort für Spiritualität, Lernen und Begegnung im Sinne einer Öffnung in den Stadtteil zu nutzen. Nach Abschluss des erfolgreichen und von den Beteiligten hochgeschätzten Projekt allerdings soll das Geld gefehlt haben, um die notwendigen Kosten zu stemmen. Derzeit laufen Verhandlungen mit einem Investor. Über die Pläne des Investors für die künftige Nutzung war vom Kirchenkreis und Superintendenten nichts zu erfahren.
Bereits niedergelegt: Gnadenkirche in Schalke-Nord
Die kleine Gnadenkirche in Schalke-Nord an der Freiligrathstraße wurde nach einem Entwurf von Theodor Waßer gebaut und 1923 eingeweiht. Im Krieg wurde der Bau zerstört, 1952 nach Plänen des Halfmannshöfers Ludwig Schwickert auf den alten Fundamenten wieder aufgebaut. Bereits 2012 wurde das Gotteshaus entwidmet, das Diakoniewerk übernahm das Gebäude in Erbpacht. Im benachbarten Gemeindehaus wurde einen Tagespflege eingerichtet, die Kirche selbst sollte saniert werden. Doch der geplante Umbau kam nicht zustande, da die baulichen Mängel zu gravierend waren. 2020 wurde daher beschlossen, dass die Gnadenkirche deshalb „niedergelegt“ werden müsse. Dazu ist es aber bis heute nicht gekommen, konkrete weitere Pläne für das Gebäude gibt es immer noch nicht.
Abgerissen: Ev. Johannes-Kirche in Resser Mark
Die evangelische Gemeinde in der Resser Mark hatte bereits im Mai 1948 einen Kirchbauverein in der Gaststätte Forsthaus in Erle gegründet. An der Warendorfer Straße errichtete man in Eigenarbeit ein Gemeindehaus mit Material, das die umliegenden Zechen zur Verfügung stellten. Rund 37.000 DM hatte die Gemeinde durch unbezahlte Eigenhilfe der Männer und Frauen eingespart. Am zweiten Weihnachtstag 1951 konnte der Kirchsaal erstmals für den Gottesdienst genutzt werden. Im Herbst 1951 bekam die wachsende Gemeinde einen eigenen Seelsorger.
Die Zahl der Gemeindemitglieder verdreifachte sich, die Notkirche wurde bald zu klein. 1955 wurde der Grundstein für die neue Kirche gelegt. Nach Plänen des Architekten Egbert Drengwitz entstand dann die im Juli 1956 eingeweihte Johanneskirche. Bereits im Juni 2003 wurde die Kirche aufgrund der geschrumpften Gemeinde entwidmet und musste im Dezember 2005 wegen starker Bergschäden abgerissen werden. Auf dem Gelände entstanden die Wohnhäuser des Johanneshofs. Die drei Glocken der Johanneskirche wurden beim Abriss aufbewahrt und stehen heute auf dem Hof.