Gelsenkirchen. „Bitter, aber alternativlos“ sind Kirchen-Schließungen für Stadtdechant Pottbäcker. Um welche Gebäude es in St. Urbanus und St. Hippolytus geht.
36 katholische Sakralbauten zählte Gelsenkirchen noch in den 1980er-Jahren – bis Ende 2023 werden es nur noch sieben sein. Und das ist womöglich noch nicht das Ende einer Entwicklung, die vielerorts massive Kritik, Wut und Enttäuschung auslöst.
„Es ist schon erstaunlich, dass die Gotteshaus-Schließungen für so viele Beschwerden sorgen, wo doch so viele Menschen aus der Kirche austreten und der Gottesdienst-Besuch bei nur noch drei Prozent liegt“, wundert sich Pottbäcker. Offenbar werde die Institution Kirche für verzichtbar gehalten, nicht jedoch deren Infrastruktur.
Gelsenkirchener Stadtdechant: Aus von Kirchen ist auch Reaktion auf Mitgliederrückgang
Dass die Kirche einen „großen Anteil der Austritte durch den Umgang mit Missbrauchsfällen selbst verschuldet hat“, ist für ihn unstrittig. „Aber wir dürfen auch nicht aus dem Blick verlieren, dass die Aufgabe der Immobilien eine Reaktion ist auch auf den Mitgliederrückgang.“
Wie berichtet, sank die Zahl der Gläubigen stadtweit von 167.113 (1970) auf 72.910 (2022). Die Folge ist ein Einbruch bei den Kirchensteuer-Zahlungen, was Unterhaltung, Instandsetzung und Sanierung äußerst schwierig gestaltet.
Propst Pottbäcker fürchtet: Ohne Schließungen droht eine finanzielle Schieflage
„Wenn wir nicht handeln, droht uns die Insolvenz“, so Pottbäcker. Es gelte, die Probleme jetzt abzuarbeiten, um sie nicht in verantwortungsloser Weise der folgenden Generation zu hinterlassen. „Ich bedauere jede Schließung. Jede ist bitter und schmerzhaft, aber alternativlos. Wir müssen realistisch sein.“
Auch wenn immer weniger dieser Sakralbauten für Gottesdienste, Gebete und Spiritualität zur Verfügung stünden, so werde die katholische Kirche doch weiterhin an „Identifikationsorten“ präsent sein, um Seelsorge zu ermöglichen und Glauben erfahrbar zu machen. „Dazu gehören Kitas ebenso wie Altenheime, Gemeindezentren, Krankenhäuser und das Sozialwerk St. Georg.“ Ähnlich wie Heiner Montanus, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Gelsenkirchen und Wattenscheid, befürwortet Pottbäcker neue Veranstaltungsformate, etwa Open-Air-Gottesdienste.
Gelsenkirchener Propst begrüßt gemeinsame Nutzung von Kirchen mit Protestanten
„Ein gutes Modell und tolle Chance“ könne auch die ökumenische Nutzung eines Gotteshauses sein, wie bei der evangelischen Luther-Kirche nach dem Aus von Herz-Jesu in Bulmke-Hüllen.
Doch Pottbäcker ist bewusst: Bis die Gläubigen die Aufgabe „ihres“ Gotteshauses verarbeitet haben, wird es dauern. Die Pfarrei St. Urbanus mit 29.875 Gläubigen hat die Aufgabe von zwölf, die Pfarrei St. Hippolytus mit 11.911 Mitgliedern das Aus von zwei Gebäuden in Gelsenkirchen beschlossen, hinzu kommt St. Marien in Essen-Karnap, was auch zur Pfarrei gehört.
St. Urbanus
Die Christus-König-Kirche in Gelsenkirchen-Buer wich Mehrfamilienhäusern
1953/54 an der Sydowstraße nach den Plänen des Kölner Baurats Otto Bongartz errichtet und im September 1954 geweiht, bildete das Gotteshaus die langersehnte Kirche im „Dorf“ der Bergmannsglücker Zechensiedlung. 2006 wurde es nach der Fusion mit St. Urbanus geschlossen, 2008 für den Bau von vier Mehrfamilienhäusern und fünf Doppelhäusern mit zehn Eigenheimen abgerissen. Für Schlagzeilen sorgte 2008 der Verkauf zweier Altäre – für je 30,50 Euro bei Ebay. Man war in der Pfarrei von einer Entsorgung ausgegangen und hatte nicht damit gerechnet, dass jemand die Altäre versteigern könnte. Am Ende wurden sie zu Grabplatten umgearbeitet.
St. Ida in Gelsenkichen-Resser Mark: Bei Ökumene-Projekt gingen 2018 die Lichter aus
Das „Waldkirchlein“ an der Straße Im Emscherbruch wurde 1950 nach den Plänen des buerschen Architekten Dr. Paul Günther von fleißigen Gläubigen in Eigenleistung errichtet und erst 1980 geweiht. Nach der Fusion mit der Erler St.-Barbara-Gemeinde 2001 avancierte die Kirche in der Resser Mark ab Pfingsten 2003 zu einem ökumenischen Leuchtturm-Projekt über die Stadtgrenzen hinaus: Aus wirtschaftlichen Gründen wurde sie von Katholiken ebenso wie von Protestanten genutzt. Der Finanzen wegen kam Ende 2018 aber das vollständige Aus. 2021 folgte der Abriss. Nach dem Verkauf an die Ochtruper IB Wohnungs- und Gewerbebau GmbH sollen auf dem Gelände drei Reihenhäuser und 13 Doppelhaushälften entstehen.
St. Pius in Gelsenkirchen-Hassel: Vom Bistum favorisiert, von Gläubigen aber ungeliebt
Von Dr. Paul Günther und Dr. Gerd Günther aus Buer entworfen, 1970 bis 1972 errichtet und im November 1972 konsekriert, hob sich die Architektur mit ihrem quadratischen Grundriss und dem Flachdach von traditionellen Bauten ab. 2007 noch vom Bistum als einzige Kirche in Hassel festgelegt, blieben viele Gläubige St. Pius dennoch fern. Überzeugt von Verantwortlichen in Hassel, revidierte der Bischof seinen Entschluss: St. Michael an der Valentinstraße wurde 2014 wiedereröffnet – und St. Pius im selben Jahr abgerissen. Das Gelände wurde verkauft und mit einem Seniorenheim bebaut.
St. Hedwig in Gelsenkirchen-Resse machte Platz für Eigenheime
Wie die buersche Christus-König-Kirche entwarf Baurat Otto Bongartz aus Köln auch St. Hedwig in Resse. 1959 wurde der einschiffige Backsteinbau geweiht, dessen Innenraum wurde von einem großen Mosaik an der Chorabschlusswand geprägt. 2008 geschlossen, wich der Bau 2015 einer Wohnbebauung.
Rund um Heilig Geist in Gelsenkirchen-Schaffrath gibt’s viel Unruhe
Die Umnutzung des Heilig-Geist-Geländes im Schaffrath gehört zu den umstrittensten der letzten Monate: 1966 als Filialkirche von St. Ludgerus geweiht und Mitte 2019 geschlossen, will der neue Eigentümer Deutsche Reihenhaus AG dort 24 Eigenheime errichten – wofür neben der Kirche auch die Kita weichen soll. Und genau dagegen laufen Eltern und Politiker angesichts knapper Kita-Plätze Sturm. Ende (noch) offen.
St. Josef in Gelsenkirchen-Scholven macht Platz für Eigenheime
Ähnlich wie bei Heilig Geist ist die Deutsche Reihenhaus AG auch bei St. Josef in Scholven der Investor. Sie plant dort den Bau von 20 Einfamilienhäusern und einem Mehrfamilienhaus mit zwölf Wohneinheiten. Nachdem sich die Gemeinde jahrzehntelang mit zwei Notkirchen an der Feldhauser Straße arrangiert hatte, war St. Josef an der Buddestraße im Mai 1973 geweiht worden. Geschlossen wurde das Gotteshaus 2018.
In St. Theresia in Gelsenkirchen-Hassel soll eine Kita entstehen
1959/60 nach Plänen des Kölner Regierungsbaumeisters Karl Band gebaut und 1960 geweiht, stand das Denkmal nach der letzten heiligen Messe 2007 lange leer, bevor die Pfarrei St. Urbanus das Gotteshaus 2016 der Stadt vorübergehend als Flüchtlingsunterkunft zur Verfügung stellte. Nach dem Verkauf vor rund drei Jahren plant dort ein Investor nach dem Abriss der Gemeinde-Gebäude auf dem Gelände einen Lebensmittel-Vollsortimenter. Das Gotteshaus soll zu einer Kita umgebaut werden.
St. Bonifatius in Gelsenkirchen-Erle avanciert zum Kunstort
Architekt Ernst von Rudloff entwarf die 1964 errichtete St.-Bonifatius-Kirche mit ihrem eigenwilligen Faltdach, das aus 78 gleichgroßen Dreiecksteilen besteht. 2007 geschlossen und 2014 profaniert, gehört das Gotteshaus mittlerweile dem Erler Unternehmer Christian Zipper. Er plante eigentlich, seine benachbarte Backstube dorthin zu verlagern. Tatsächlich ist auch ein Café in einem Neubau an der Cranger Straße seit 2018 eröffnet. Seit Januar 2022 bespielen aber die Urbanen Künste Ruhr als Mieter das sechseckige Kirchen-Gebäude. Unter dem Projektnamen „Healing Complex“ stehen dort eine Pilzfarm und Urban Gardening im Fokus der Aktivitäten. Es ist der einzige Gelsenkirchener Standort der Urbanen Künste Ruhr.
Investor macht St. Ludgerus in Gelsenkirchen-Buer zum Oldtimer-Museum
1914 nach Plänen des Kölner Architekten Georg Spelling fertiggestellt und 1915 geweiht, wird die denkmalgeschützte Kirche an der Horster Straße erst Ende 2023 geschlossen. Verkauft ist der neoromanische Bau aber jetzt schon: Investor Jörg Künzel aus Herne will dort ein Museum für seine Oldtimer einrichten – und nach einem Umbau selbst in die Sakristei einziehen.
St. Konrad in Gelsenkirchen-Erle-Middelich wird als private Trauerhalle genutzt
Die nach Plänen des Gelsenkirchener Architekten Franke errichtete und 1939 geweihte Kirche stand schon 2006/07 vor dem Aus. Dem vehementen Widerstand der Gläubigen vor Ort war es zu verdanken, dass das Middelicher Gotteshaus „nur“ Filialkirche von St. Mariä Himmelfahrt in Buer wurde. Mitte 2020 endgültig aufgegeben, wird die Kirche nach ihrem Verkauf von einem Bestattungsinstitut als private Trauerhalle genutzt.
Zukunft von St. Suitbert in Gelsenkirchen-Berger Feld ist offen
Architekt Dr. Paul Günther entwarf die Pläne für die im Mai 1966 geweihte St.-Suitbert-Kirche, deren Grundriss ein Quadrat bildet. Ende 2020 las Propst Markus Pottbäcker dort die letzte Messe. Seither steht das Gebäude leer. Es soll vermarktet werden.
Mit Serviten-Weggang kam das Aus für St. Mariä Himmelfahrt in Gelsenkirchen-Buer
Eigentlich sollte die im Juli 1954 geweihte Kirche (Entwurf: Dr. Paul Günther) am Rande der buerschen City erst 2025 aufgegeben werden. Weil aber der Servitenorden die Schließung seiner letzten deutschen Niederlassung im benachbarten Kloster für Januar 2021 ankündigte, sah sich die Pfarrei St. Urbanus genötigt, auch das Aus des Gotteshauses vorzuziehen. Hatten die Patres doch die Gemeinde-Leitung inne. Seither wurde das Gotteshaus zweimal als Ausstellungs- und Verkaufsraum für Arbeiten heimischer Künstler genutzt. An Kauf-Interessenten mangelt es offenbar nicht. Aber eine Entscheidung steht noch aus.
St. Hippolytus
Denkmal St. Laurentius in Gelsenkirchen-Horst erinnert an Industrie-Architektur
Fast in Steinwurfnähe zur Zeche Nordstern befindet sich die St.-Laurentius-Kirche an der Straße Zum Bauverein in Horst-Süd. 1953/54 nach Plänen des Esseners Wilhelm Seidensticker errichtet, erinnert die Formensprache an die benachbarten Industriearchitekturen. Nach der letzten Messe im Februar 2019 war zunächst eine Umgestaltung für Seniorenwohnen durch den Verein Haus Marienfried im Gespräch, was sich aber nicht realisieren ließ. Nun will die „Dortmunder Phoenix Concepts Beteiligungs GmbH“ das denkmalgeschützte Gotteshaus zu einer Seniorenresidenz mit 39 Wohneinheiten umbauen.
Liebfrauen-Kirche in Gelsenkirchen-Beckhausen soll abgerissen werden für Wohnungen
Acht Jahre hing das Damoklesschwert der Schließung über dem Standort Liebfrauen-Kirche. Im Januar 2023 war es soweit: Das 1911 eingeweihte, in der Nachkriegszeit nach Plänen von Wilhelm Alings wiederaufgebaute Gotteshaus an der Horster Straße in Beckhausen wurde in einem Profanierungs-Gottesdienst mit Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck aufgegeben. Die Senioren-Wohnen Holding GmbH aus Berlin und Heidelberg will als neue Eigentümerin nach dem Abriss von Kirche und Gemeindezentrum zwei Neubauten errichten, die altersgerechtes Wohnen bzw. Begleiten bieten sollen. Die Ex-Kita wird gerade von der Pfarrei St. Hippolytus zu einem Multifunktionsraum für Gottesdienste, Begegnungen und Veranstaltungen umgebaut.