Gelsenkirchen. Drei Gelsenkirchener Stadtteile, zwei Gemeinden, ein Pfarrer: Austrittswelle nötigt evangelische Kirche zu neuen Wegen - über den Kanal hinweg.
Ein Schiff auf bewegtem Wasser, auf Kurs gehalten von einem Mast in Kreuz-Form: Als ein Ex-Presbyter 2019 das Amtssiegel entwarf für die neue Evangelische Epiphanias-Kirchengemeinde im Stadtnorden, da verfügte er offenbar über hellseherische Fähigkeiten: Denn fünf Jahre nach der Fusion der Gemeinden Beckhausen und Horst droht erneut stürmischer Seegang. Nach dem Weggang von Pfarrer Bernd Naumann muss sich Epiphanias mit Heßler einen Geistlichen teilen. Und die Gläubigen fragen sich, ob sie demnächst zu dritt sind auf ihrem Gemeinde-Boot.
Fast ein Jahr ist es her, dass Pfarrer Naumann die Epiphanias-Kirchengemeinde Richtung Emmaus im Stadtsüden verließ. Im Februar 2024 übernahm dann Dr. Christian Hellmann die Vakanz-Vertretung im Westen Gelsenkirchens. Und er ist es auch, der nun (mit einer 50-Prozent-Stelle) Naumanns Nachfolger wird - ebenso wie der von Pfarrer Michael Schönberg in Heßler. Dieser war vor rund zwei Jahren in den Ruhestand gewechselt.
Mitgliederzahlen in evangelischen Gemeinden in Gelsenkirchen sind seit Jahren rückläufig
Dass Hellmann (59) einen Schreibtisch sowohl diesseits als auch jenseits des Kanals hat und seine Arbeitszeit damit zwischen Stadtnorden und -süden aufteilt, ist einmalig im Evangelischen Kirchenkreis. Zwar bildeten Epiphanias und Heßler schon seit Jahren den Kooperationsraum Nord-West, sprich: Pfarrerin Andrea Rylke-Voigt und ihre Kollegen Michael Grimm und Bernd Naumann (bis Sommer 2023) vertraten Schönberg in Urlauben und bei Krankheit, alle übernahmen Gottesdienste, Beerdigungen, Hochzeiten und Taufen füreinander. Doch die Zementierung dieses Konstrukts über eine verbundene Pfarrstelle, die ist neu.
Geschuldet ist sie der rückläufigen Entwicklung der Mitgliederzahlen, erläutert Dr. Hellmann. „Durch die vielen Kirchenaustritte verfügt Heßler alleine nicht mehr über genügend Mitglieder für eine volle Pfarrstelle, und auch in Epiphanias hätte es nicht mehr für drei komplette Stellen gereicht.“ Beckhausen und Horst zählten zusammen Anfang 2024 rund 8300 Gemeindeglieder - 2019 waren es noch 9500. Zur Gemeinde Heßler gehörten im Januar 1835 Mitglieder. Aktuell ist eine volle Pfarrstelle an 3000 Gemeindeglieder gebunden.
Neuer Pfarrer war über Jahrzehnte Religionslehrer an Gelsenkirchener Berufskolleg
Hellmann selbst war beruflich bislang eher im Stadtsüden unterwegs: Nach seiner Promotion zum Doktor der Theologie an der Philipps-Universität Marburg (Thema: Interreligiöser Dialog mit Schwerpunkt „Islam in Deutschland“) arbeitete er von 2000 bis Ende Januar 2024 als Pfarrer am Berufskolleg für Technik und Gestaltung; er lebt mit seiner Frau Andrea - sie ist als Pfarrerin in der Evangelischen Emmaus-Kirchengemeinde tätig - in Schalke.
Mit 59 Jahren wagt der Ostfriesland- und Sauerland-Fan nun für einen neuen Job den Sprung über den Kanal. „Ich fand, es war an der Zeit, etwas Neues auszuprobieren und Gemeinde nicht nur als Gläubiger, sondern auch als Pfarrer zu erleben. Und ich muss sagen: Das hat mir einen richtigen Energieschub gegeben“, berichtet der Theologe lächelnd.
Konfirmanden-Unterricht in Gelsenkirchener Gemeinden soll neu aufgestellt werden
Besonders widmen will er sich dem Konfirmanden-Unterricht. „Dafür wollen wir ein Konzept für die drei Standorte erarbeiten, das auch in der Zukunft trägt.“ Ob die Jugendlichen dann künftig nicht mehr an drei Kirchen bzw. Stadtteilen auf die Konfirmation vorbereitet werden, sondern womöglich nur noch an einem zentralen Standort? „Das zu entscheiden, ist Sache der Presbyterien. Wir müssen uns aber wohl fragen, wo wir unseren Fokus setzen und was wir uns noch leisten können.“
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Zentralen Aktionen und Projekten ist Hellmann nicht abgeneigt: Am Volkstrauertag am 17. November findet nur ein Gottesdienst im Kooperationsraum Nord-West statt - um 10 Uhr in Heßler. „Ich habe ein Faible für Projektarbeit, bei der sich Gläubige zeitlich begrenzt einbringen können und die uns als Gemeinde helfen, uns mehr in der Gesellschaft zu vernetzen. Dafür sind Kooperationspartner wie etwa der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge oder andere Vereine sehr hilfreich.“
Pfarrer Hellmann wird am 30. August, 18 Uhr, in sein neues Amt in Gelsenkirchen eingeführt
Einen „Auftrag“, die Vereinigung von Epiphanias und Heßler vorzubereiten, nein, den habe er nicht von Superintendent Heiner Montanus erhalten. „Auch darüber entscheiden die Presbyterien“, betont er. „Wir können aktuell ja noch nicht vorhersagen, wie sich die Gemeindegliederzahlen in den nächsten Jahren entwickeln, und das ist mitentscheidend für die Frage eines Zusammenschlusses“, sagt er.
Überdies werde eine Fusion in der Landeskirche längst nicht mehr als einzige Antwort auf rückläufige Mitgliederzahlen, Kirchensteuer-Einnahmen sowie Personalmangel betrachtet. „Mittlerweile werden auch andere Modelle entwickelt, die helfen, die Zusammenarbeit zwischen Gemeinden zu intensivieren, um teure Doppelstrukturen zu vermeiden“, sagt er. „Im Grunde ist es nur eine Frage der Struktur.“ Heßlers Ex-Pfarrer Schönberg hatte eine Vereingung mit Epiphanias vor einigen Jahren noch mit dem Argument abgelehnt, dass seine Gemeinde sich im Stadtsüden befindet.
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Der Verlauf der nun engeren Kooperation, er ist also offen. Der Startpunkt allerdings nicht: Am Freitag, 30. August, wird Pfarrer Hellmann im 18-Uhr-Gottesdienst offiziell in seine neue verbundene Pfarrstelle eingeführt. Er findet statt in der Christus-Kirche in Beckhausen, Kleine Bergstraße 1. Im Anschluss ist ein Empfang geplant.