Gelsenkirchen. Kritik an der organisierten Schalker Fan-Szene im Streit um das „Problemfenster“. Gelsenkirchens Leitender Polizeidirektor zieht jetzt Bilanz.

Als Chef einer Polizeibehörde in einer Großstadt viele repräsentative Aufgaben übernehmen, reihenweise Händeschütteln bei Empfängen und Veranstaltungen der Stadtgesellschaft? Nicht sein Ding. Peter Both, Gelsenkirchens ranghöchstem Polizisten, ist die Straße lieber als das Parkett. „Ich bin Einsatzpraktiker durch und durch“, sagt Both von sich. Ein Grund, warum der 53-Jährige zwar in gleicher Funktion weiterarbeitet als Leitender Polizeidirektor, aber seinen Schreibtisch in Buer zu Jahresbeginn gegen einen in Rüttenscheid tauscht.

Das ist der Grund, warum Gelsenkirchens Polizeidirektor Peter Both nach Essen wechselt

Der Ruf aus dem Ministerium hat den gebürtigen Bochumer nach eigenem Bekunden bereits vor einigen Monaten erreicht. Was ihn reizte und letztendlich den Ausschlag für seinen Wechsel nach Essen gegeben hat, sei die besondere Zuständigkeit des Präsidiums, in dem insgesamt 2200 Polizeikräfte und Regierungsbeschäftigte ihren Dienst versehen. In Gelsenkirchen sind es zusammen 860

Die Polizei Essen übernimmt bei extremen Einsatzlagen die Führung für umliegende Behörden - dazu zählen „Amokläufe, Anschläge, Großschadensfälle sowie Entführungen, Geiselnahmen und Erpressungen“. Landesweit gibt es nur fünf weitere solcher Behörden mit dieser Kompetenz. „Ein Angebot also, das man so nicht oft bekommt“, nennt Both seine Beweggründe, nach dreieinhalb Jahren von der Emscher rüber an die Ruhr zu setzen.

Seinen letzten Bundesliga-Einsatz in Gelsenkirchen hatte Peter Both beim Spiel des FC Schalke 04 gegen Fortuna Düsseldorf am 14. Dezember.
Seinen letzten Bundesliga-Einsatz in Gelsenkirchen hatte Peter Both beim Spiel des FC Schalke 04 gegen Fortuna Düsseldorf am 14. Dezember. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Seinen letzten Einsatz macht Both am 14. Dezember, an diesem Samstag spielt der FC Schalke 04 gegen Fortuna Düsseldorf in der Arena. Die Bundesliga, wenn auch aktuell nur die Zweite, wird dem Polizeidirektor, der bei der Fußball-EM für die Sicherheit verantwortlich war, fehlen. Er sagt: „Schalke gehört in die Erste Liga, ohne S04 fehlt dem Oberhaus etwas.“

Weniger vermissen wird der 53-Jährige den Konflikt zwischen Polizei und der organisierter Schalker Fan-Szene, die der Polizei, beharrlich ein „Problemfenster“-Banner über die Stadion-Leitstelle hängt. Hintergrund ist ein Streit über Choreografien und ein Sicherheitsrisiko, das durch das zeitweise Verhüllen der Leitstellen-Fenster entstanden war.

„Mit Schalke bin ich völlig im Reinen“, sagt Peter Both von sich. Zum Verein pflegten er und die Behörde ein gutes Verhältnis, er selbst hat sich „nie als Gegenspieler“ der Fanszene gesehen. „Leid bin ich aber die ständig wiederkehrenden Vorwürfe über ein angebliches Choreo-Verbot“, sagt der 53-Jährige und nutzt die Gelegenheit, in seiner Schlussabrechnung folgenden Punkt zu machen.

„Schalke gehört in die Erste Liga, ohne S04 fehlt dem Oberhaus etwas.“

Peter Both,
Gladbach-Fan und Stadiongänger seit Jahrzehnten

„Vor gut einem halben Jahr hat Schalke viel Geld in die Hand genommen, um die Leitstelle umzubauen. Sie ragt jetzt zum Teil weiter ins Stadion hinein, die nötige Rundumsicht aus der Fensterfront haben die Einsatzkräfte jetzt auch dann noch, wenn dreiviertel der Scheiben mit Bannern zugehängt ist. Stadt, Polizei, Feuerwehr und der Verein haben sich auf diesen Kompromiss geeinigt - der organisierten Fanszene reicht das immer noch nicht. Ihr geht es nicht um eine Lösung, sondern um ein reines Kräftemessen.“

Klein beizugeben und die Komplett-Verhüllung trotz großer Sicherheitsbedenken zuzulassen, schließt Both für die Gelsenkirchener Polizei kategorisch aus und legt sich fest: „Herr Frommeyer, als aktueller Polizeipräsident, hat mehrfach deutlich gemacht, dass man natürlich weiterhin an Kompromisslösungen interessiert sei, eine Komplett-Verhüllung aber aufgrund von Sicherheitsbewertungen während seiner Amtszeit ausscheide. Wir reden daher von der Linie der Polizei Gelsenkirchen und nicht der von Peter Both“. 

Peter Both - dieser Mann wird sein Nachfolger

Der Stelle des „Leitenden Polizeidirektors“ in Gelsenkirchen bleibt nicht unbesetzt. Anders als im Fall der Nachfolge von Britta Zur gibt es keine lange Vakanz, der Nachfolger von Peter Both als Leiter der Direktion Gefahrenabwehr/Einsatz steht bereits fest. Auf Both folgt Anfang 2025 Karsten Plenker.

Plenker kehrt damit an seine alte Wirkungsstätte zurück. In Gelsenkirchen gehörte er zum Leitungsstab der Behörde. Er war Todes- und Brandermittler, dann für organisierte und Schwerkriminalität sowie später für Groß- und Gefahrenlagen zuständig. 2016 wechselte der Schalke- und Motorradfan als neuer Leiter der Kriminalinspektion Staatsschutz von Gelsenkirchen aus in die verbotene Stadt - nach Dortmund.

Als Leiter des Staatsschutzes dort war er verantwortlich für zwei Kommissariate, in denen der Rechtsextremismus, aber auch Straftaten aus dem Bereich des Linksextremismus und dem Bereich der Ausländerkriminalität zu bearbeiten sind. Dazu gehören auch Straftaten, die dem radikalen Islamismus, bzw. Salafismus zuzuordnen sind. Neben diesen beiden Kommissariaten leitete Plenker die im Februar 2015 eingerichtete Sonderkommission „Rechts“ des Polizeipräsidiums Dortmund. Im Stadtteil Dorstfeld gibt es eine harte rechte Szene.

2021 übernahm Karsten Plenker die Leitung der Direktion Gefahrenabwehr/Einsatz des Polizeipräsidiums Recklinghausen. Nun kehrt er in gleicher Funktion nach Gelsenkirchen zurück.

Dass keines seiner Gesprächsangebote von den Ultras angenommen worden sei, bedauere er, in Verzweiflung stürzt ihn das aber nicht. „Ich hake das professionell ab.“ Ähnlich verfährt Both mit Anfeindungen und Kritik, die ihm beispielsweise in Fußballforen entgegenschlagen. „Ich lese das schon gar nicht mehr.“ Für ihn ist das „Teil des Schmerzengeldes“, das er als Leiter der Direktion Gefahrenabwehr/Einsatz bekommt.

Eine Gratwanderung war für Both die EM 2024. Wenn er darüber spricht, liegen Schwärmerei und Bedauern nah beieinander. In die Freude über ein „weitestgehend friedliches Fußball-Fest“ mit nur „wenigen Scharmützeln“ gewaltbereiter Fans mischt sich Traurigkeit, wenn er an seine Frau und seinen Sohn im Teenager-Alter denkt. „Vater und Ehemann zu sein, beides ist viel zu kurz gekommen“, zeigt sich Both von seiner menschlichen Seite. Die Planungen für die EM begannen praktisch schon mit seinem Amtsantritt vor dreieinhalb Jahren, dazu musste er die rund 18 Monate währende Vakanz nach dem Abgang von Ex-Polizeipräsidentin Britta Zur zusätzlich als Behördenleiter überbrücken. Da wurden Schichten und Tage lang.

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In Konsequenz bedeutet das für Both, dass er seine Dienstzeit am Tag X nicht um eine „Viertelstunde verlängern würde“, wenn es um den Ruhestand geht. Die Begründung dafür liefert er gleich hinterher mit einer rhetorischen Frage: „Wer garantiert mir denn, dass ich diese Zeit mit meiner Familie auch tatsächlich im Leben hinten dran gehängt bekomme?“.

Sorgenfrei bis zur Pensionierung in achteinhalb Jahren wird Both auch in Essen nicht arbeiten können. Die Reviermetropole ist wie Gelsenkirchen eine Hochburg der Clan-Kriminalität - und Drittligist Rot-Weiss Essen beileibe kein einfacher Club, wie die jüngsten schweren Fan-Ausschreitungen beim Spiel von RWE gegen den 1. FC Saarbrücken zeigen.

Peter Both, Leitender Polizeidirektor in Gelsenkirchen.
Peter Both, Leitender Polizeidirektor in Gelsenkirchen. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Auch in der 600.000-Einwohner-Stadt werden ihn ebenso wie hier in Gelsenkirchen Jugendkriminalität und Gewaltdelikte mit Messern viel beschäftigen. In Essen ist man allerdings schon einen Schritt weiter als die Emscherstadt und plant sogar Messerkontrollen an Schulen. Dass bei vielen Missständen gleich und ständig nach den Ordnungs- und Sicherheitsbehörden gerufen werde, greift für Peter Both aber viel zu kurz. Ihm zufolge muss man den Hebel viele Ebenen weit darunter ansetzen, und zwar in den Familien. „Meine Eltern haben mir den Unterschied von meins und deins noch beigebracht“, so Both.

„Vielleicht bekomme ich das Banner zum Abschied geschenkt. Obwohl mir und meinen Kollegen dann etwas im Stadion fehlen würde““

Peter Both,
über das „Problemfenster“-Banner über der Stadion-Leitstelle

Zurück nach Gelsenkirchen. Hier neigt sich Peter Boths Dienst dem Ende entgegen. Für den 53-Jährigen ist es eine Selbstverständlichkeit, bei seinem letzten Einsatz auf Schalke bei der Bundesliga-Partie am Wochenende gegen Düsseldorf mittendrin statt nur dabei zu sein. Er geht seit vier Jahrzehnten ins Stadion, als Privatperson und als verantwortlicher Polizist. „Vielleicht“, so witzelt er im Vorfeld der Partie, „bekomme ich das Banner ja zum Abschied geschenkt“. Obwohl er mittlerweile glaube, ihm und seinen Kolleginnen und Kollegen würde dann etwas im Stadion fehlen.