Gelsenkirchen. Durchbruch in Berlin beim Thema Armutsmigration? Gelsenkirchens OB Karin Welge berichtet über diese Fortschritte, um gegen Missbrauch vorzugehen.

Ein großer, ovaler Sitzungstisch, schwarze Ledersessel, die deutsche und europäische Fahne im Hintergrund und mittendrin Gelsenkirchens gestikulierende Oberbürgermeisterin mit entschlossenem Blick. Dieses Bild aus Berlin veröffentlichte Karin Welge vor wenigen Tagen in den sozialen Medien - unterschrieben mit der Nachricht: „Immer wieder haben wir gegenüber Bund, Land und EU darauf hingewiesen, welche Herausforderungen für uns mit der Ausweitung der Arbeitnehmerfreizügigkeit aus Südosteuropa verbunden sind. Selten sind wir dabei auf offene Ohren gestoßen. Heute aber war das anders. Ganz anders sogar.“

Ein paar Tage später klingt das auf Nachfrage der WAZ allerdings schon anders: „Der hochkarätig besetzte Termin im Kanzleramt lässt zumindest hoffen, dass hier nun ein Umdenken stattgefunden hat“, zeigte sich Oberbürgermeisterin Karin Welge nun eher vorsichtig optimistisch. 

Welge war zusammen mit Sozialdezernentin Andrea Henze (beide SPD), und Vertretern weiterer Städte (darunter auch Duisburgs OB Sören Link) einer Einladung der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Reem Alabali-Radovan, ins Bundeskanzleramt gefolgt. Schließlich ist Gelsenkirchen seit Jahren besonders von der Armutsmigration aus Südosteuropa betroffen, was laut Welge auch daran liegt, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit in der Praxis vielmehr eine „Sozialleistungsfreizügigkeit“ sei. Deshalb hatte die OB vor einiger Zeit auch schon in einem Schreiben an Innenministerin Nancy Faeser (SPD) Gesetzesveränderungen vorgeschlagen.

Gelsenkirchens Oberbürgermeisterin Karin Welge: „Hoffen, dass Umdenken stattgefunden hat.“
Gelsenkirchens Oberbürgermeisterin Karin Welge: „Hoffen, dass Umdenken stattgefunden hat.“ © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Im Kern ging es dabei darum, dass EU-Bürger erst einmal eine existenzsichernde Beschäftigung nachweisen müssen, bevor sie den Arbeitnehmerstatus erhalten. Außerdem sollten Kommunen auch mehr Sanktionsmöglichkeiten erhalten, wenn das System gezielt ausgenutzt wird. Die Reaktionen aus Berlin blieben bisher aber immer hinter den Erwartungen der Bürger, Politiker und Verwaltungen der betroffenen Städte zurück. Außer Beileidsbekundungen, vagen Versprechen und Geld für den Ankauf von Schrotthäusern hat Gelsenkirchen nicht viel Unterstützung von der Bundespolitik bekommen.

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Doch jetzt, so Oberbürgermeisterin Karin Welge, sei es gelungen, „eine bessere Abstimmung und Zusammenarbeit mit den relevanten Ministerien zu vereinbaren“. Gemeinsam wolle man gegen Missbrauch vorgehen und sich gezielt gegen „jene ausbeuterischen bis mafiösen Strukturen wenden, die leider oft hinter der Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien stehen - und die Integration von vornherein unmöglich macht“, so Welge.

Denn vielfach sind es Armutsmigranten, die in der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Gelsenkirchen oder etwa Duisburg kommen. Doch auch hier leben viele Rumänen und Bulgaren am Rande der Gesellschaft, in abgewirtschafteten Häusern, nicht selten im Unfrieden mit der ansässigen Nachbarschaft. Es gibt kaum ein Viertel in Gelsenkirchen, aus dem es keine Klagen gibt, wenn dort Zuwanderer aus Südosteuropa eine Unterkunft gefunden – oder besser gesagt, vermittelt bekommen haben.

Die Beschwerden sind dabei oft dieselben: Müllberge, Lärm, rücksichtsloses Verhalten, kurzum: Die Ordnung in der Nachbarschaft wird massiv gestört. In der Folge wird es für Wohnungssuchende aus Rumänien und Bulgarien schwieriger, weil viele Vermieter den Frieden in ihren Häusern nicht gefährden wollen. In den betroffenen Städten hat sich daher längst ein florierender Schwarzmarkt entwickelt. Zwielichtige Investoren kaufen Schrotthäuser auf, und Strohmänner aus Bulgarien und Rumänien vermitteln die Wohnungen gegen ein stattliches Handgeld, die Miete wird oft pro Person und Matratze fällig. Nicht selten ist in diesem Zusammenhang daher die Rede von der Miet-Mafia oder von Miet-Zuhältern.

Um diesen Strukturen zumindest ein Stück weit entgegenzuwirken, hatte Ex-Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) Änderungen bei der Ersteigerung von Immobilien bei Zwangsversteigerungen eingebracht. Neuerdings können Kommunen für zwangsversteigerte Gebäude eine gerichtliche Verwaltung beantragen, bis die Immobilie auch tatsächlich bezahlt ist. Damit soll jenen das Geschäft unmöglich gemacht werden, die Schrotthäuser zu horrenden Geboten ersteigern, hohe Mieten kassieren und Konkurs anmelden, ehe sie die kompletten Fälligkeiten aus der Ersteigerung zahlen müssen.

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In Gelsenkirchen wird diese Gesetzesänderung durchaus begrüßt, gleichwohl betonen die zuständigen Ämter und Politiker aber auch, dass dies nur ein von vielen Schritten sein könne, um den Problemen nachhaltig zu begegnen.

Deshalb habe Karin Welge in Berlin vor allem auch eins gefordert: „Wir haben einmal mehr deutlich gemacht: Wir brauchen einfach mehr Geld, damit Integration vor Ort gelingen kann. Und Städte, die wie Gelsenkirchen eine überproportionale Zuwanderung zu verzeichnen haben, brauchen mehr Geld als andere.“

Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link und Gelsenkirchens Sozialdezernentin Andrea Henze diskutierten auch kürzlich zusammen bei einer Podiumsdiskussion in Mülheim über die Herausforderungen der Städte mit Armutszuwanderern aus Südosteuropa.
Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link und Gelsenkirchens Sozialdezernentin Andrea Henze diskutierten auch kürzlich zusammen bei einer Podiumsdiskussion in Mülheim über die Herausforderungen der Städte mit Armutszuwanderern aus Südosteuropa. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

„Die Kommunen brauchen gerade bei der Zuwanderung eine gesicherte und auskömmliche Regelfinanzierung der Integrationsleistungen. Sonderprogramme und befristet Projekte helfen uns da nicht weiter. Insbesondere Städte wie Gelsenkirchen und Duisburg benötigen hier eine Sonderbehandlung, da sie auch besonders betroffen sind“, teilt Sozialdezernentin Andrea Henze mit.

Gelsenkirchen will gemeinsam mit Duisburg auf Änderung der Arbeitnehmerfreizügigkeit pochen

Es habe, so Henze weiter, in dem Gespräch in Berlin einige konkrete Impulse der Stadt Gelsenkirchen gegeben. So solle die Zusammenarbeit mit Jobcenter und Agentur für Arbeit vor Ort noch enger verzahnt werden, um einem möglichen Sozialleistungsmissbrauch konsequent vorzubeugen. Außerdem sei über eine notwendige Gesetzesänderung gesprochen worden, die es Kommunen ermögliche, die Kosten der Unterkunft für ungesunde Wohnverhältnisse in klar definierten Schrottimmobilien nicht übernehmen zu müssen.

Gemeinsam mit der Stadt Duisburg will Karin Welge auch in Zukunft darauf drängen, dass die Gesetze der Arbeitnehmerfreizügigkeit angepasst werden, so wie sie es schon in ihrem Brief an Innenministerin Faeser forderte. Schließlich muss aber auch Gelsenkirchens Oberbürgermeisterin einräumen: „So sehr viele konkrete Zusagen konnten wir noch nicht aus Berlin mitbringen. Es bleibt ein Bohren dicker Bretter bei diesem Thema.“

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