Gelsenkirchen. Täglich haben Gelsendienste-Mitarbeiter stundenlang Leerlauf. Aber Gelsenkirchener bezahlen die Arbeit. Wurden richtige Entscheidungen getroffen?
Die Aufklärung des Drogenhandel- und Schmiergeldskandals bei Gelsendienste wirft nun die Frage auf, ob die Menschen in Gelsenkirchen jahrelang mit unnötig hohen Müllgebühren belastet wurden. Hintergrund ist eine Entscheidung aus dem Jahr 2021, den Abfall aus den Gelsenkirchener Haushalten bei einem externen Unternehmen umzuladen, bevor dieser zum Müllheizkraftwerks nach Essen-Karnap gebracht wird.
Im März 2024 hatte unsere Redaktion darüber berichtet, dass vereinzelten Gelsendienste-Mitarbeitern vorgeworfen wird, während des Arbeitsalltags mit Drogen gedealt und über Jahre Supermärkte und Imbisse aus der Reihe angefahren zu haben, um dort gegen Schmiergeld gewerblichen Müll abzuholen. Nach Bekanntwerden des Fehlverhaltens stellte sich jedoch die Frage: Warum hatten die Beschäftigten überhaupt die Zeit, während des Arbeitsalltags weiteren Müll außerhalb der Reihe abzuholen?
Abfall aus Gelsenkirchen wird nicht sofort nach Essen-Karnap gebracht
Wie unsere Redaktion erfuhr, musste die Stadtverwaltung gegenüber der Politik in einer nichtöffentlichen Sitzung nun eingestehen, dass die mit jeweils drei Mitarbeitern besetzten 20 Müllwagen in der Stadt tatsächlich mehrere Jahre anderthalb bis zwei Stunden Leerlauf pro Arbeitstag hatten. Hintergrund ist eine Entscheidung zum Umschlag und Transport von Abfällen im Jahr 2021.
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Der Hausmüll aus Gelsenkirchen wird im Müllheizkraftwerk in Essen-Karnap entsorgt. Früher war es so, dass die Müllfahrzeuge direkt dorthin gefahren sind, wenn der Wagen entsprechend gefüllt war. Da das seine Zeit dauerte, versuchte man einen effizienteren Weg zu finden. Also beauftragte der Betriebsausschuss Gelsendienste die Stadt damals, ein zentral gelegenes Unternehmen zu finden, das den Abfall zwischenlagern sollte, um diesen später, außerhalb der Stoßzeiten, nach Karnap zu bringen.
Mit einem Gelsenkirchener Unternehmen an der Hochkampstraße wurde tatsächlich auch eine lokale Firma gefunden, die den Hausmüll annimmt. Konsequenzen für das Personal bei Gelsendienste gab es allerdings nicht. Mit anderen Worten: Die Mitarbeiter hatten ihre Arbeitszeit, die sie sonst für die Fahrt nach Karnap gebraucht hatten, plötzlich zur freien Verfügung – was manche offenbar für schmutzige Geschäfte genutzt hatten.
So reagiert der scheidende Gelsendienste-Chef Daniel Paulus
Daniel Paulus, noch bis Ende 2024 Betriebsleiter von Gelsendienste, hält es für „nicht haltbar“ die Verbindung zwischen den schmutzigen Geschäften vereinzelter Mitarbeiter und den Leerlaufzeiten herzustellen, wie er der Redaktion auf Nachfrage telefonisch mitteilte. Der Zusammenhang zu den „dolosen Handlungen“ sei an den Haaren herbeigezogen. Wer bereit sei, kriminelle Energie aufzubringen, der tue dies unabhängig von Abläufen im Arbeitsalltag.
Brisanz steckt dennoch in der 2021 beschlossenen Umladung, weil sich bekanntlich viele Menschen in Gelsenkirchen über immer wieder vermüllte Ecken in der Stadt beschweren. Die Frage ist also, warum die Mitarbeiter mit ihrer frei verfügbaren Zeit nicht anderswo eingesetzt wurden. Oder wäre es zumindest möglich gewesen, die Kosten einzusparen, also Arbeitszeiten oder Personal zu reduzieren – auch um damit für eine Entlastung bei den Müllgebühren zu sorgen?
Nach WAZ-Informationen wurden stattdessen in den vergangenen Jahren sogar zusätzlich Leiharbeiter für mehr als 500.000 Euro pro Jahr im Bereich der Müllentsorgung eingesetzt. Und die Müllgebühren sind jährlich gestiegen – unter anderem, da Gelsendienste ja zusätzlich noch den neuen Dienstleister bezahlen musste. Jährlich werden mehr als 1 Mio. Euro für den Auftrag fällig.
Neuer Tourplan für Müllentsorgung in Gelsenkirchen steht in den Startlöchern
Paulus sagt: Die Umladung sei eingeführt worden, um damit Logistikkosten zu sparen. „Sie ist aber nur ein erster Schritt gewesen“, so der scheidende Chef des Entsorgers. Sie habe einen Grundstein für die komplette neue Tourplanung für die Müllentsorgung in Gelsenkirchen gelegt.
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Folglich habe man in die Digitalisierung investiert, künstliche Intelligenz eingeführt und weitere Abläufe verändert. Nun stehe die komplette Erneuerung der Tourenplanung kurz vor der Finalisierung, die am Ende tatsächlich auch Kosteneinsparung und die Reduzierung der für die Branche „nicht unüblichen“ Leerlaufzeiten zur Folge haben soll. „Wir werden dann deutlich Effizienzgewinne sehen, da werden sich auch die Gelsenkirchener Bürger am Jahresende freuen können“, kündigte er bereits an.
Aber hätte man die Effizienzgewinne nicht schon viel früher heben können, anstatt die Leerlaufzeiten der Gegendienste-Mitarbeiter jahrelang in Kauf zu nehmen? Simon Nowack, als Ordnungsdezernent der Vorgesetzte von Daniel Paulus, hat seine Antwort auf diese Frage gefunden. Dass man die Synergien nach der Umstellung beim Abfalltransport nicht sofort genutzt hat, habe Nowack erst im Zuge der Aufklärung nach den skandalträchtigen Vorfällen im März erfahren, betont er. Anschließend habe er schnell Veränderungen in die Wege geleitet.
Ordnungsdezernent hat zwei Müllfahrzeuge aus dem Betrieb genommen
„Wir haben jetzt ad-hoc zwei Fahrzeuge aus den Touren herausgenommen und sechs Vollzeitäquivalente eingespart, da wir die Leiharbeit nicht mehr in Anspruch nehmen“, sagt Nowack gegenüber unserer Redaktion. Dies werde dann auch entsprechende Folgen für die Müllgebühren 2025 haben „Im Ergebnis wird sich das positiv auf den Gebührenzahler auswirken“, so Nowack. Man sei bestrebt, die Vorteile, die sich aus der extern vergebenen Umlade ergeben haben, nun auch wirklich zu nutzen.
Wo sich Paulus und Nowack also einig sind: Dass es nächstes Jahr für die Gelsenkirchener günstiger wird. Offen bleibt, welche Entscheidungen am Ende dazu das meiste beigetragen haben.
Klar hingegen ist: Simon Nowack wurde jetzt durch die Stadtverordneten in der vergangenen Ratssitzung zum interimistischen Gelsendienste-Betriebsleiter bestellt. Die Ausschreibung für den Gelsendienste-Chefposten nach Paulus Kündigung, die zum Ende des Jahres wirksam ist, werde kommen, aber nicht sofort, betont der Stadtrat. „Wir müssen jetzt zunächst einige Prozesse neu strukturieren.“