Gelsenkirchen. Fünf Visionen, wie Künstliche Intelligenz unsere Städte besser machen kann: Gelsenkirchen will diese Ideen entwickeln.

Gelsenkirchen will vormachen, wie Städte Künstliche Intelligenz (KI) nutzen können. Für rund fünf Millionen Euro plus Förderung des Bundes gründet die Stadt mit der Westfälischen Hochschule das „Anwendungszentrum für KI in Kommunen“, mit dabei sind auch zwei Fraunhofer-Institute und weitere Partner. Die Software, die hier entsteht, soll auch allen anderen Städten frei stehen. Wir sprachen mit Norbert Pohlmann, Professor für Cyber-Sicherheit, und Manfred vom Sondern, IT-Chef der Stadt, über fünf Ideen, wie KI die Städte besser machen könnte.

Nasse Keller vermeiden

Der Klimawandel gerät ja manchmal zur Klimavernassung: Starkregen gab es in den vergangenen Jahren immer wieder, siehe Ahrtal, siehe Dortmund. Wenn man nun einer KI die Höhen und Tiefen einer Stadt mitteilt, dazu die Lage der Gullys und der Regenrückhaltebecken, und obendrein, wie breit die Kanäle sind an welcher Stelle ... dann kann die Software recht genau sagen, ab welcher Regenmenge Buer untergeht. Natürlich will das keiner, am allerwenigsten die liebe KI. Die würde man ja darauf programmieren, nach Verbesserungsmöglichkeiten zu suchen.

Noch interessanter werde es aber, erklärt Manfred vom Sondern, wenn man solche Katastrophenvorsorge kombinieren würde mit ganz anderen Daten. Ein Konzert von Taylor Swift führt zu Staus? Das Schalke-Spiel bindet Einsatzkräfte? Am verkaufsoffenen Samstag ändern sich Verkehrsflüsse? Das ist ja alles relevant, wenn Polizei, Feuerwehr oder Technisches Hilfswerk schnell ankommen sollen – oder wenn man Leute warnen will.

Die Herausforderung, hier wie in allen Projekten: Viele Daten gibt es schon, aber man muss sie noch so aufbereiten, dass die KI sie verarbeiten kann. Andere Daten müsste man suchen oder erst noch erheben. Wo zum Beispiel stehen denn die Wetterstationen genau, wo bräuchte man noch welche? Aber auch: Was kann man von anderen lernen? Gelsenkirchen beteiligt sich schon lange an einem EU-weiten „Open Data“-Projekt, stellt eigene Daten zur Verfügung und will nun diesen Schatz nutzen, um Software besser zu trainieren.

Der Sozialamt-Avatar

Roboterstimmen in der Hotline oder Chatbots auf Internetseiten gehören zu den nervigsten Erfahrungen, die Unternehmen ihren Kunden antun – noch. Doch auch, wenn ChatGPT & Co. rasant lernen, menschengerecht zu kommunizieren, reicht das noch lange nicht, um sie von Amts wegen auf Bürgerinnen und Bürger loszulassen. „Wir brauchen hundert Prozent Zuverlässigkeit“, erklärt Manfred vom Sondern. Und Daten von Bürgern dürfen auch nicht zum Beispiel auf Servern in den USA landeten. Pohlmann ergänzt: Die KI vertrauenswürdiger zu machen und gegen Manipulationen zu schützen, sei eine Aufgabe, die sich durch alle Themen ziehe.

Für Hilfstätigkeiten könnten Chat-Programme auch in Ämtern bald zum Einsatz kommen.
Für Hilfstätigkeiten könnten Chat-Programme auch in Ämtern bald zum Einsatz kommen. © Getty Images/iStockphoto | Elena Istomina

Dennoch könnte uns bald der Sozialamt-Avatar begrüßen – zum Vorgespräch: In der Muttersprache des Kunden könnte das Chat-Programm schon mal nach Wohnort, Quadratmetern, Kindern und dergleichen fragen, bevor ein Mensch übernimmt. „Das werden Lösungen sein, die in den nächsten Jahren kommen werden“, erklärt Pohlmann. „Personaleinsparungen sind ein Angstfaktor“, weiß auch er. Allerdings, glaubt Pohlmann, werde die Technik eher dabei helfen, Standards einzuhalten, Wartezeiten für Kunden zu minimieren und Dinge anzubieten, die man sonst nicht umsetzen könne.

Ein Auge für die Rettungsdienste

Klingt wie James Bond, aber könnte bald Wirklichkeit werden: Ein Haus hat gebrannt, ist einsturzgefährdet. Die Feuerwehr schickt eine Drohne rein und die liefert nicht nur Bilder und Videos, die der Einsatzleiter interpretieren muss – diese Arbeit übernimmt die Drohne gleich mit. Der Einsatzleiter sieht ein 3D-Modell des Hauses, statisch bedeutsame Schäden sind schon markiert. Auch Glutnester oder die Ausbreitung von Gasen sind direkt sichtbar.

An solchen Dingen wird längst gearbeitet. Das neue Zentrum soll solche Projekte besser vernetzen. „Was brauchen Rettungsdienste, was brauchen Städte?“, sagt Norbert Pohlmann. Wir würden uns motivieren lassen, in die Richtung zu forschen, die notwendig ist.“

Heißes Klima, kühle Stadt

Baum oder nicht Baum – das prägt das Stadtklima. Aber wie verteilt mit sie am besten, sodass die Stadt möglichst kühl wird?
Baum oder nicht Baum – das prägt das Stadtklima. Aber wie verteilt mit sie am besten, sodass die Stadt möglichst kühl wird? © dpa | Oliver Berg

Die Anpassung an den Klimawandel ist ein unerschöpfliches Feld: Wo bringen Bäume über Schatten und Verdunstung die größten Kühleffekte? Wie kann man am besten Wasserspeicher verteilen, um der Natur über trockene Sommer zu helfen? An welcher Stelle bringen Fassaden- und Dachbegrünungen am meisten? Letztlich entsteht aus all diesen Fragen und den zugehörigen Daten ein Modell der Stadt – ein digitaler Zwilling, mit dessen Hilfe das Programm Verteilungen berechnet oder Muster identifiziert.

Schlaglöcher ade!

Für eine Stadt wäre es auch praktisch, stets zu wissen, wo sie sich gerade auflöst: Wo bröckelt der Asphalt, wo drückt eine Wurzel den Bürgersteig hoch, wo senkt sich eine Straße? Und das am besten so früh wie möglich – bevor das Loch zum Schlag ausholt. Denn kleine Schäden lassen sich schneller und kostengünstiger reparieren. „Wir können die Art des Schadens noch kombinieren mit den Reparaturkosten und auch mit der Bedeutung der Straße für das Verkehrsnetz“, erklärt Manfred vom Sondern.

Schlaglöcher sind vermeidbar – mit einem besseren Frühwarnsystem.
Schlaglöcher sind vermeidbar – mit einem besseren Frühwarnsystem. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Und so bekäme man einen Reparaturplan, der die Mittel viel effektiver einsetzt als bislang – und damit Straßen in besserem Zustand. Nebeneffekte: Müllecken identifizieren, dreckige Straßenschilder finden, unnötige Schilder abbauen. Bäume und ihren Schattenwurf kartieren und und und.

Aber woher kommen die Daten? Im Herbst vergangenen Jahres haben die Ruhrgebietsstädte beschlossen, ihre Straßen regelmäßig mit Lasern scannen zu lassen vom Regionalverband Ruhr. Das ist sehr viel genauer als die Fotos, die Google für sein Street-View-Produkt hat knipsen lassen – und es ist eine einheitliche Datengrundlage für die Region. Aber zwischen den Fahrten können natürlich Monate oder Jahre liegen. Um dazwischen auftretende Schäden zu erfassen, könnte man Busse und andere öffentliche Fahrzeuge mit Schocksensoren ausstatten, erklärt vom Sondern. „Ein Smartphone würde reichen.“ Und die Schäden, die Bürger der Stadt über Mängelmelder-Apps mitteilen, sind ohnehin mit einem Ort versehen – also leicht in die Datensammlung zu integrieren.

Und damit dürfte Gelsenkirchen bald vollbracht haben, was John Lennon in dem Beatles-Song „A Day in the Life“ ironisch kommentierte: Viertausend Schlaglöcher in Blackburn, Lancashire / Und obwohl die Löcher recht klein waren / Mussten sie die zählen – alle! / Nun wissen sie: Mit so vielen Löcher füllt man die Royal Albert Halle.