Essen-Karnap. Der Essener Müll wird in Karnap verbrannt. Nach dem Hochwasser stieg die Menge sprunghaft an. Der Weg vom Müll zur Fernwärme in fünf Schritten.
Im Karnaper Müllheizkraftwerk wird verbrannt, was die Essener in ihre schwarze Mülltonne schmeißen. Auch Sperrmüll aus Privathaushalten wird dort angeliefert - normalerweise rund 100 Tonnen pro Woche.
Nach dem Hochwasser Mitte Juli schnellte die Menge sprunghaft auf 900 Tonnen Abfall an. „Knapp die Hälfte war Flut-Sperrmüll, außerdem haben wir noch 200 Tonnen Müll aus einer anderen Kommune angenommen“, erklärt Jan Peter Cirkel, Pressesprecher des Betreibers RWE Generation. Unter anderem sei Sperrmüll aus dem stark betroffenen Ahrtal angeliefert worden. Der Bunker in Karnap sei groß genug, um solche Mengen zwischenzeitlich zu bewältigen.
Damit aus alten Matratzen, Windeln, durchtränkten Fotoalben und Möbeln schließlich Strom und Fernwärme werden kann, bedarf es fünf Schritte.
1. Entladehalle
Direkt am Kreisverkehr des neuen Gewerbeparks Carnaperhof biegen die Lkw der Essener Entsorgungsbetriebe zunächst zur Waage ab. Rund acht Tonnen zusammengepresste Windeln, Staubsaugerbeutel, Katzenstreu und mehr Hausmüll werden danach zur Entladehalle gefahren. Dort riecht es leicht säuerlich, in etwa so, wie an heißen Tagen, wenn man an der eigenen Restmülltonne vorbeigeht. Eine Lüftungsanlage steuert den Luftstrom allerdings so, dass der Gestank direkt in den sogenannten Müllbunker gezogen wird, einen zehn Meter tiefen Graben, in den der Fahrer jetzt seine tonnenschwere Ladung kippt. Nach einer Minute ist der Wagen leer und kann wieder seine Reise durch die Stadt antreten. 13 Müllwagen können hier parallel entladen.
„Es wird nichts vorsortiert“, erklärt Olaf Mönig, regionaler Dienstleiter des Betreibers RWE Generation. Stichprobenartig werde die Ladung jedoch kontrolliert. In entsprechenden Verträgen sei schließlich geregelt, dass beispielsweise kein Sondermüll wie Batterien oder Energiesparlampen in Karnap entsorgt werden dürfen. „Das hat hier nichts zu suchen und kann in anderen Anlagen besser verwertet werden“, so Mönig, der erklärt, dass das Müllheizkraftwerk mit der Verbrennung in der Abfallhierarchie hinter Müllvermeidung und Recycling stehe. Es wurden auch schon große Baumstümpfe und Automotoren gefunden: „Die verbrennen nicht richtig, die holen wir dann raus", erklärt Kraftwerks-Mitarbeiter Manfred Schäfer.
2. Müllbunker
Im Müllbunker liegt der Müll der vergangenen Tage und es kommt minütlich neuer hinzu. Unter der Woche ist der Bunker gut gefüllt, samstags werden geringere Mengen abgekippt, sonntags weiter an der Bewältigung der Masse gearbeitet. Kamil Dylla thront in einem Raum darüber und steuert einen riesigen sechsarmigen Kran. Durch große Fenster vor - und auch unter ihm - hat er den Müllbunker gut im Blick. Explizit zu erkennen ist in dem Müllberg aber kaum etwas; eine undefinierbare, zusammengepresste Masse. Die Windel, die vor wenigen Stunden noch in der schwarzen Tonne gelandet ist, ist hier bereits Teil des großen Ganzen. Dylla hört Radio, an der Wand klebt ein Rot-Weiss-Essen-Aufkleber und seine Arbeit am Steuerhebel erinnert den Laien an das Spiel mit einem ferngesteuerten Auto.
In Wirklichkeit ist seine Arbeit hochkomplex, gilt es doch, mithilfe einer Mauer aus Müll den Graben für Nachschub immer frei zu halten, die übrige Masse gleichmäßig zu durchmischen, damit sie später gut brennt und regelmäßig eine Kranladung - gut vier Tonnen - in eines der Löcher auf der linken Seite zu geben. Dort wartet das Feuer.
„Fatal wäre, wenn hier im Müllbunker ein Feuer ausbricht“, erklärt Olaf Mönig und zeigt auf die Monitore hinter dem Kranfahrer. Wärmebildkameras überprüfen jederzeit die Temperatur im Müllbunker, eine automatische Löschanlage müsste Schlimmeres verhindern.
Essen: Der Weg vom Sperrmüll zu Strom und Fernwärme
3. Feuerraum
Über sechs Walzen rutscht der Müll schließlich ins Feuer. Olaf Mönig öffnet ein kleines Bullauge und schnell wird klar: Das Feuer ist riesig - das Ende der Flammen nicht zu erkennen und es ist verdammt heiß: Bei 1000 Grad rutscht die zusammengepresste, homogenisierte Windel erst über die ersten beiden Walzen und wird dort - zusammen mit dem anderen Müll - richtig trocken, während die Reise über die nächsten beiden Walzen weitergeht wird sie verbrannt und Walze Nummer fünf und sechs gibt ihr schließlich den Rest: „Nach einer Stunde sollen alle Bestandteile verbrannt sein", so Mönig.
Das klappt nicht immer: Das Bullauge gibt den Blick auf einen gusseisernen Topf frei. Der wird auch nach einer Stunde nicht zu Asche geworden sein. Das Feuer brennt hier seit mehr als 30 Jahren an sieben Tagen in der Woche 365 Tage im Jahr. Fossile Brennstoffe werden nicht gebraucht, der Abfall brennt von alleine und hört auch nicht mehr auf, solange Nachschub geliefert wird.
4. Resteverwertung
Aus den riesigen Mengen Müll werden bei der Verbrennung einerseits kleinere Mengen Asche und andererseits Rauchgase, die im Anschluss gereinigt werden. Dafür werden im Karnaper Müllheizkraftwerk unterschiedliche Filter und Wäscher sowie Chemikalien verwendet. Je besser jeder Einzelne seinen Hausmüll sortiert, desto weniger Aufwand muss an dieser Stelle betrieben werden und desto weniger Schadstoffe gehen schließlich in die Atmosphäre. Diese werden im Müllheizkraftwerk sekündlich gemessen und liegen weit unter den erlaubten Grenzwerten. Das liegt einerseits an der hochwertigen Technik und andererseits daran, dass die meisten Essener ihre Batterien, Lacke, Automotoren und Energiesparlampen nicht in die schwarze Tonne werfen. „Das Quecksilber aus einer Energiesparlampe zu holen bedeutet für uns extrem hohen Aufwand“, erklärt Manfred Schäfer.
Ganz am Ende bleiben acht unterschiedliche Stoffe übrig, unter anderem Metallschrott, Rostasche und Gips. Der Metallschrott wird weiterverkauft, die anderen Stoffe beispielsweise im Straßenbau oder zur Verfüllung von Bergbauschächten verwendet.
5. Strom und Fernwärme
„Wenn Abfälle entstanden sind, tun wir das einzig Sinnvolle, indem wir Strom und Wärme damit erzeugen“, erklärt Schäfer und deutet auf die gelbe Turbine, die in dem Werk lautstark ihre Arbeit verrichtet. Mithilfe der Verbrennungs-Hitze wird Wasser erhitzt und zu Wasserdampf umgewandelt, der wiederum mit der Turbine den Generator antreibt und somit Strom erzeugt. Außerdem wird der Wasserdampf dem am Kraftwerk angeschlossenen Fernwärmenetz zugeführt und dient so zum Heizen. Bis zu 130 Megajoule pro Sekunde speist das Kraftwerk in die Fernwärmeschiene Ruhr ein. Die Stromerzeugungsleistung liegt bei maximal 48 Megawatt.
Seit 1963 werdenin Karnap Abfälle verbrannt
Obwohl das heutige Kraftwerk erst 1987 seinen Betrieb aufnahm, werden in Karnap bereits seit 1963 Abfälle verbrannt – seinerzeit in Form einer Mitverbrennung im ehemaligen Steinkohlekraftwerk. 1982 fiel dann die offizielle Entscheidung für den Bau des „Müllheizkraftwerks Essen-Karnap“, gefolgt von der Grundsteinlegung zwei Jahre später. Weitere historische Meilensteine waren die Erweiterung der Anlage um eine vierte Verbrennungslinie und die Nachrüstung der Rauchgasreinigungsanlage mit einem Aktivkoksfilter und einem Katalysator. Das Abgasreinigungssystem zählt zu den effektivsten Anlagen in Deutschland, was 2016 in einem Vergleich des Ministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz NRW bestätigt wurde.Im Regelbetrieb wird der Hausmüll von rund einer Millionen Menschen aus Essen, Bottrop und Gelsenkirchen angeliefert.
Das Wasser muss vor der Nutzung gereinigt werden, damit es in dem geschlossenen System nicht zu Rückständen oder Rostschäden kommt. Dafür hat REWE Generation vor einigen Wochen eine neue Wasseraufbereitungsanlage in Betrieb genommen - es ist der ganze Stolz von Manfred Schäfer, der das Vorhaben als Projektleiter begleitet hat. Die Anlage ist ausgestattet mit modernster Technik, die das Wasser aus dem Rhein-Herne-Kanal für die Verwendung im Kraftwerk filtert und entsalzt. Dabei befreien Kiesfilter pro Stunde mehrere hundert Kubikmeter Wasser von Schwebstoffen. Außerdem wird der Härtegrad gesenkt und das Wasser entsalzt. 16 Millionen Euro hat die 1000 Quadratmeter große Anlage gekostet. Schäfer: „Trotz Corona verliefen die Bauarbeiten wie vorgesehen. Wir haben unseren Zeitplan eingehalten und sind unfallfrei, ohne Infektionen und im Budget fertig geworden.“
Am Ende der Reise ist aus der Windel also ein Häufchen Asche und ein Beitrag zum warmen Wohnzimmer irgendwo in der Umgebung geworden. Denn trotz aller Bemühungen zur Müllvermeidung und Wiederverwendung reißt die Menge an Restmüll nicht ab. Alleine in Karnap werden jedes Jahr 370.000 Tonnen Hausmüll verbrannt.