Gelsenkirchen. Das „Fünf-Standorte-Programm“ soll Gelsenkirchen beim weiteren Strukturwandel helfen. Diese fünf Mega-Vorhaben stecken hier drin – der Überblick.

Wenn 2025 die Kohle von der Gasverstromung am Kraftwerk Scholven abgelöst wird, dann ist das eine weitere industrielle Zäsur. Eine, die nicht mit dem Verlust unzähliger Arbeitsplätze einhergehen wird wie die Schließung der Zechen. Aber eine, die Gelsenkirchen einmal mehr herausfordert, eine Antwort auf die Frage zu geben: Was kommt danach? Was ist der künftige ökonomische Markenkern der Stadt und mit welcher Wirtschaftspolitik kann ein neuer Aufschwung gelingen?

Das 662 Millionen schwere, von Bund und Land getragene „Fünf-Standorte-Programm“ soll nicht nur Gelsenkirchen, sondern auch Duisburg, Hamm, Herne und den Kreis Unna, allesamt verbliebende Steinkohlekraftwerk-Standorte, helfen, den längst noch nicht überstandenen Strukturwandel mit Wachstum zu bewältigen. Was in Gelsenkirchen durch das Programm geschieht, wird im Wissenschaftspark koordiniert. Wolfgang Jung, Geschäftsführer der Wissenschaftspark Projekte gGmbH, stand der WAZ zur Verfügung, um einen Überblick über die geplanten XXL-Vorhaben zu geben.

Projekt 1: Erweiterungsbau Wissenschaftspark

Der Wissenschaftspark soll einen Erweiterungsbau bekommen.
Der Wissenschaftspark soll einen Erweiterungsbau bekommen. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Über eine Erweiterung des WiPa wird seit 2020 öffentlich nachgedacht, eine Machbarkeitsstudie dazu wurde bereits vorgestellt. „Wenn man sich die Situation auf dem Immobilienmarkt anschaut, ist es im Moment aber fast nicht möglich, ein wirtschaftliches Projekt daraus zu machen“, sagt Wolfgang Jung. Er hofft, dass die „Wirtschaftlichkeitslücke“ über das „Fünf-Standorte-Programm“ geschlossen werden kann. Der Erweiterungsbau könnte zur Förderrichtlinie passen, weil dort über die Ansiedlung nachhaltigkeitsorientierter und datengetriebener Unternehmen ein neuer Aufschwung gelingen soll.

Um junge Start-ups nicht mit den Mietkosten zu überfordern, sucht man jedoch einen „potenten Ankermieter.“ Befruchten sollen sich dieser Ankermieter und die jungen Unternehmen im selben Gebäude dann gegenseitig. Sobald so jemand gefunden sei, glaubt Jung, könne man auch den Erweiterungsbau zügig realisieren und das Projekt in zwei bis drei Jahren umsetzen.

Projekt 2: Zeche Hugo als Technologiezentrum

Am Schacht 2 der Zeche Hugo soll ein „Technologie- und Innovationsquartier“ entstehen.
Am Schacht 2 der Zeche Hugo soll ein „Technologie- und Innovationsquartier“ entstehen. © www.blossey.eu / FUNKE Foto Service | Hans Blossey

Der Norden hat die Westfälische Hochschule, dort, wo „laufend Absolventen in den Mangelberufen produziert werden.“ Und der Süden hat den Wissenschaftspark, dort, „wo die Wirtschaftsförderung sitzt, wo bestehende Unternehmen vorhanden sind und die Digital- und IT-Branche begonnen hat, sich anzusiedeln.“ Dieses Bild zeichnet Wolfgang Jung. Und an der Zeche Hugo will er beides verschmelzen, die Kompetenzen von WH und WiPa in einem „Technologie- und Innovationsquartier Hugo“ zusammenbringen.

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Eine Vormachbarkeitsstudie wurde bereits gemacht, jetzt werden mit der WH zusammen konkrete Vorschläge erarbeitet, „wie wir dieses Gelände genau entwickeln können“, sagt Jung. In der ersten Studie sei bereits festgestellt worden, „dass wir in Gelsenkirchen im Bereich der Beratung für gründungswillige Unternehmen Luft nach oben haben“, räumt der WiPa-Chef ein. Das Ziel steht: Man will im neuen Hugo-Quartier sowohl Möglichkeiten für Ausgründungen aus der WH schaffen als auch Unternehmen von außen ansiedeln – idealerweise eben per kräftiger Finanzspritze aus dem „Standorte-Programm“. „Der Gründungsstandort Gelsenkirchen muss sichtbarer werden“, sagt Jung.

Projekt 3: Wasserstoff-Labor an der Westfälischen Hochschule

NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur übergab im Mai 2024 den Förderbescheid für die Planungsphase des „H2 Solution Lab“ an der Westfälischen Hochschule an Prof. Michael Brodmann (Mitte), Vizepräsident für Forschung und Transfer. Auf dem Bild zu sehen ist auch Wolfgang Jung vom WiPa (ganz rechts) sowie Gelsenkirchens Wirtschaftsförderungsdezernent Simon NowacK (3. v.r.).
NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur übergab im Mai 2024 den Förderbescheid für die Planungsphase des „H2 Solution Lab“ an der Westfälischen Hochschule an Prof. Michael Brodmann (Mitte), Vizepräsident für Forschung und Transfer. Auf dem Bild zu sehen ist auch Wolfgang Jung vom WiPa (ganz rechts) sowie Gelsenkirchens Wirtschaftsförderungsdezernent Simon NowacK (3. v.r.). © MWIKE NRW

Viel konkreter wird es schon, wenn es um das sogenannten „H² Solution Lab“ (etwa: „Labor für Wasserstoff-Lösungen“) geht – das erste Projekt, das in Gelsenkirchen den Bewilligungsbescheid aus dem Standorte-Programm erhalten hat. Für die (18-monatige) Planungsphase des Labors sind Mittel in Höhe von 1,2 Millionen Euro veranschlagt, errichtet werden soll es dann für 40,7 Mio. Euro liegen. Die Förderzusage hat die Westfälische Hochschule im Mai 2024 erhalten. In Gelsenkirchen müssen laut Wolfgang Jung zehn Prozent der Kosten selbst getragen werden.

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Geplant ist ein Gebäude auf dem Gelsenkirchener Campus mit entsprechender, etwa 2000 Quadratmeter großen Labor-Infrastruktur, die den Fokus auf Wasserstofftechnik setzt. Vor allem auch kleine und mittlere Unternehmen, bei denen ein großer Bedarf für Wasserstoffsystemtechnik vorhanden ist, sollen von den Erkenntnissen aus dem Labor profitieren. Übrigens: Neben dem Laborneubau stellt sich die WH auch bei der Ausrichtung ihres Studienangebots auf den Schwerpunkt Wasserstoff ein. Zum Wintersemester 2024/25 geht der neue Bachelor-Studiengang „Wasserstoffsysteme und Erneuerbare Energien“ an den Start.

Projekt 4: Neue Zeche Westerholt

An der Neuen Zeche Westerholt soll ein ganz neues Quartier entstehen.
An der Neuen Zeche Westerholt soll ein ganz neues Quartier entstehen. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Nicht viel mehr als eine Formsache ist mittlerweile auch die Förderung, mit der die Revitalisierung der ehemaligen Zeche Westerholt in Hassel gelingen soll. Entstehen soll hier ein komplettes neues Wohn- und Geschäftsviertel mit bis zu 1500 neuen Arbeitsplätzen auf einer Fläche so groß wie 55 Fußballfelder. Gebaut werden soll schon 2025, komplett fertig sein soll das Viertel in knapp zehn Jahren. Die Gesamtkosten für die Herstellung der technischen Infrastruktur liegen laut Wolfgang Jung bei mehr als 105 Millionen Euro, wovon etwa 60 Millionen Euro über den Zeitraum von zehn Jahren durch Fördermittel aus dem Fünf-Standorte-Programm abgedeckt werden. Der Rest soll eigenwirtschaftlich entwickelt und zum Beispiel durch Grundstückverkäufe gegenfinanziert werden.

Entwässerung, Baugrundaufbereitung, die Verlegung von Kabeln und Leitungen - all das muss am ehemaligen Montan-Standort nun erst einmal geschehen. Die Fördergelder fließen also vor allem für die „Aufbereitung der restriktionsbehafteter Flächen“, wie es im Verwaltungsdeutsch heißt. Wolfgang Jung formuliert es eingängiger: „Es geht darum, die Grundinfrastruktur zu schaffen, damit Unternehmen nur noch ihre Hallen draufsetzen brauchen.“

Projekt 5: Bildungs- und Innovationscampus in der City


 So soll der neue Bildungscampus in Gelsenkirchen-City aussehen.
 So soll der neue Bildungscampus in Gelsenkirchen-City aussehen.

Bekanntlich soll neben dem neuen Zentralbad in der Innenstadt auch ein moderner Bildungscampus entstehen – vor allem für die Berufsschüler, aber auch mit Büroräumen, Mensa- und Gastrobereichen und verschiedenen „innovative Nutzungen“. Insbesondere bei Letzterem, also wenn es darum geht, ein Angebot über die „normale“ berufliche Bildung hinaus zu bieten, könnte auch die „Fünf-Standorte“-Förderung ins Spiel kommen und mit ihren Förderrichtlinien greifen, wie Wolfgang Jung erläutert. Über ein Gutachten, das noch mal über einen anderen Weg vom Land finanziert wird (über den sog. „Transformations-Booster“), will man im Frühjahr 2025 erfahren, wohin die Reise genau gehen könnte.

Mehr über das „Fünf-Standorte-Programm“ erfahren Sie hier: