Gelsenkirchen. Sommer in der Betonwüste: Für manche Leute bliebe nur der Umzug, um die Hitze auszuhalten, meint der Gelsenkirchener Stadtforscher Frank Eckardt.
Er ist Professor für sozialwissenschaftliche Stadtforschung an der Bauhaus-Universität Weimar, aber bestens informiert ist Frank Eckardt auch über die lokalen Diskussionen und stadtplanerischen Projekte knapp 350 Kilometer entfernt von Thüringen: Tief verbunden ist Eckardt noch immer mit seiner Geburtsstadt Gelsenkirchen, besucht hier regelmäßig Familie und Freunde oder teilt seine Einschätzung auf örtlichen Podien – wobei er nicht selten bei denjenigen aneckt, für die die Stadt vor allem konsum- und autofreundlich zu sein hat. Warum der Bismarcker jetzt Seifenkistenrennen auf der Kurt-Schumacher-Straße fordert und manche Wohnungen in der Stadt für unbewohnbar erklärt.
Herr Eckard, wir sprechen an einem der heißesten Tage des Jahres. Würden Sie diesen gerne in Gelsenkirchen verbringen?
Prof. Frank Eckardt: Durchaus, Gelsenkirchen hat viele schattige Orte. Ich bin ein großer Fan des Berger Sees, mehr Schatten als im Labyrinth findet man nicht. Aber es gibt in dieser Stadt eben auch Orte, die unangenehm sind. Zum Beispiel Menschen, die im Tossehof im oberen Stockwerk leben, müssen schon überlegen, wie man solche heißen Tage übersteht. Gefährlich ist es generell für Leute, die in Nachkriegshäusern unter dem Dach wohnen, wo allein die Giebelkonstruktionen wenig Frischluftzufuhr ermöglichen.
Wie können diese Menschen von der Stadt unterstützt werden?
Natürlich sind die Möglichkeiten begrenzt. Man kann die meist wenig wohlhabenden Menschen, die in solchen Wohnungen leben, genauso wenig zwingen, stromintensive Lüftungsgeräte einzuschalten, wie man Eigentümer verpflichten könnte, im Bestand kühlende Dachbegrünung anzulegen. Deswegen muss man tatsächlich darüber nachdenken, Umzüge für bestimmte Menschen zu organisieren.
Verstehe ich Sie richtig – bestimmte Dachgeschosswohnungen müssten quasi für unbewohnbar erklärt werden?
Die Hitze ist lebensgefährlich, das ist vielen Menschen nicht bewusst. Wenn Wohnungsbestände also wirklich so gesundheitsgefährdend sind, hätte theoretisch auch das öffentliche Recht Möglichkeiten, einzugreifen. Grundsätzlich muss aber auch viel über die Kontaktaufnahme mit den betroffenen Menschen laufen, dass man proaktiv auf sie zugeht und ihnen die Möglichkeit aufzeigt, umzuziehen.
In Gelsenkirchen gab es zur Hochzeit der Energiekrise sogenannte Wärmeninseln für Menschen, die aufgrund zu hoher Energiekosten zu Hause nicht heizen konnten oder wollten. Könnte es an den extrem heißen Tagen nicht auch gekühlte „Kälteinseln“ für Menschen in Dachwohnungen geben?
Natürlich könnte man so etwas wie eine Übernachtung in einem wohnortnahen Kältekeller organisieren, aber es macht keinen Sinn, jeden Sommer Ad-Hoc-Lösungen zu finden. Diesen Sommer haben wir Glück, dass sich die Hitzetage mit kühleren Tagen abwechseln. Aber so ein Sommer wird durch den Klimawandel in der Zukunft voraussichtlich eher die Ausnahme sein. Dann hilft nichts anderes als festzustellen, dass manche Wohnungen auf Dauer nicht funktionieren.
Schwer auszuhalten ist es im Sommer auch an Hitzeinseln wie dem Heinrich-König-Platz. Aber immerhin wurden dort mittlerweile Trinkwasserbrunnen installiert und Pergola-Bänke aufgebaut. Wirkt so etwas – oder geht es in Gelsenkirchens Betonwüsten nicht ohne den großen stadtentwicklungspolitischen Wurf?
Ich denke, allen Beteiligten ist klar, dass man die Hitzeinsel damit noch nicht beseitigt hat. Positiv ist, dass solche Maßnahmen erst einmal für das Problem sensibilisieren. Die Hitze- und Klimaanpassung wird dadurch sichtbar. Aber am Ende gehen solche Maßnahmen am eigentlichen Problem vorbei. Das wird man sicher nicht gerne hören, da der Umbau des Heinrich-König-Platzes noch nicht lange her ist. Aber man wird das mit der Hitzeanpassung nicht hinbekommen, ohne den Platz erneut umzubauen. Solange hier kein Grün gepflanzt wird, sind so etwas wie Pergola-Bänke eher pädagogisch, symbolisch und angenehm für die zwei Dutzend Menschen, die einen Platz auf den Bänken finden.
Studierende ihrer Uni haben in Weimar einen Swimming Pool auf dem Herderplatz gestellt – um Anregung für die neue Nutzung der Zentren zu geben. Könnte auch der HKP einen Pool vertragen?
Wir machen permanent solche Aktionen. Gerade in Gelsenkirchen resignieren viele Leute und ziehen sich aus der Innenstadt zurück. Wir wollen zeigen, wie man sich die Innenstadt wieder aneignen kann.
In Gelsenkirchen gibt es vereinzelt Experimente, bei denen Parkplätze und Nebenstraßen vorübergehend für Veranstaltungen genutzt werden. Sie fordern, dass man größer denkt?
Ganz ehrlich: Ich würde ein Seifenkistenrennen auf der Berliner Brücke veranstalten. Eine Seifenkiste kann in jeder Schulklasse gebaut werden und das macht allen Spaß. Auch die Ringstraße würde sich anbieten für einige verrückte Pop-Up-Konzepte. Wir müssen weg von der Verbotsdiskussion, dass eine Straße nicht temporär gesperrt werden kann, weil sonst der Verkehrstod droht. Andere Städte trauen sich da mehr, durchaus auch im Ruhrgebiet. Natürlich sollte man derartige Experimente nicht mit Erwartungen überfrachten, aber sie sind die einzige Möglichkeit, um Flexibilität im Kopf entwickeln zu lassen, um Vorstellungen dafür entstehen zu lassen, was man mit dem Raum machen kann. Wir haben keine Milliarden, die man in den Umbau stecken könnten; wir haben nur die Menschen.
Was Gelsenkirchen allerdings hat, das sind die großen Events. Besonders dieser Sommer war Weltklasse. Hilft diese „Festivalisierung“ eigentlich bei der Stadtentwicklung?
Ein Problem ist, dass Gelsenkirchen die schönen Effekte von den Veranstaltungen in der Arena nicht gut abschöpfen kann, weil das Angebot an Gastronomie und Hotel in der Stadt nicht so umfangreich ist. Zudem ist diese „Festivalisierung“ mit der Hoffnung verbunden, dass man dadurch Projekte realisieren kann, die für die Entwicklung der Stadt wichtig wären. Aber dann dreht sich der Spieß häufig um und die Festveranstalter sagen, was sie in Gelsenkirchen brauchen. . Vorstellbar wäre, eine Strategie zu entwickeln, um Festivals bestmöglich für die Stadtentwicklung zu nutzen, dass man genau durchrechnet und nachhält, wie viele Jobs in der Stadt entstehen, welche Sportstätten und Kulturhäuser in welchem Maße profitieren, welcher Neubau entsteht. Aber so eine Rechnung traut man sich in Gelsenkirchen wohl nicht aufzumachen.