Gelsenkirchen-Bismarck. Beliebtes Ausflugsziel ist das Wohn- und Gewerbegebiet Stölting Harbor in Gelsenkirchen. Dort gibt es Ärger. Was die Anwohner um Ruhe und Schlaf bringt.

„Man hat uns unser Leben versaut“. Dieser Meinung sind Anwohner der Gelsenkirchener Marina rund um die Johannes-Rau-Allee und Stölting Harbor. Sie empfinden sich als „Bürger zweiter Klasse“, die, nachdem sie mehrere Hunderttausend Euro in ihre neuen Häuser und Wohnungen in dem Hafenviertel in Bismarck investiert hätten, mit den „Problemen aber allein gelassen wurden“.

Was die Ruhe raubt: Poser-Lärm, kampierende Menschen, Müll, offener Drogenkonsum und Prostitution

Stoßrichtung der harschen Kritik von Kay Störmer, Frank Frühling und Wolfgang Kothe oder auch Ute Mende: Stadt und Polizei kontrollieren ihrer Ansicht nach das Ausflugs- und Wohnquartier viel zu wenig - oder zu oft zu den falschen Zeiten. Was ihnen das Leben schwer macht und ihnen vor allem abends und nachts die Ruhe raubt: „Lärm durch Raser und Poser oder von kampierenden Menschen, Müll, offener Drogenkonsum und Prostitution.“

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„Sie können vom Fenster oder von der Terrasse aus zuschauen, wie sich auf der Motorhaube eine Line gezogen wird.““

Kay Störmer, Anwohner an der Marina von Stölting Harbor

„Sie können vom Fenster oder von der Terrasse aus zuschauen, wie sich auf der Motorhaube eine Line gezogen wird“, sagt Störmer. Mit Line meint der Besitzer eines Lofts direkt an der Uferpromenade Kokain, das durch die Nase eingesogen wird. Ute Mende, von Bochum extra nach Gelsenkirchen gezogen, berichtet, dass Sexarbeiterinnen mit ihren Kunden im Schutze der Abzweigungen der Lübecker Straße ihre Dienste klarmachten. Und eine Anwohnerin, die namentlich nicht genannt werden will, hat sich mittlerweile einen „kleinen Waffenschein besorgt, dazu eine Gaspistole und Pfefferspray“, denn sicher fühle sie sich nicht mehr, wenn sie abends noch mal um den Block gehe. Anderen Anwohnern, die mit am Tisch sitzen, ergeht es ähnlich. Denn wenn man etwas sage, „wird man beleidigt und bedroht“. Dann, so Störmer weiter, bekäme man zu hören: „Wir hauen dir aufs Maul, wir bringen dich um.“

Direkt an der Marina an der Johannes-Rau-Allee stehen hochwertige Lofts. Aber: Die Anwohner fühlen sich gestört durch Lärm, Raser, Poser, haufenweise Müll, Drogenkonsum und Prostitution.
Direkt an der Marina an der Johannes-Rau-Allee stehen hochwertige Lofts. Aber: Die Anwohner fühlen sich gestört durch Lärm, Raser, Poser, haufenweise Müll, Drogenkonsum und Prostitution. © Nikos Kimerlis

Weswegen sich die Anwohner beschweren, ist nichts wirklich Neues. Ihnen zufolge habe sich aber die Qualität der Belästigungen verändert. Raser und Poser, dazu jetzt noch Quads und Motorräder, würden ihre PS-starken Motoren aufheulen lassen, angesichts der Fahrbahneinbauten (Plastikbuckel und Warnbaken) auf den Gehweg ausweichen, um andere auf der Allee zu überholen. Eine Anwohnerin, die ein Yoga-Studio betreibt, schimpft: „Selbst Kunden beschweren sich schon darüber.“ Bei einem Ortstermin konnte die WAZ Motorroller auf dem Gehweg tagsüber sogar selbst filmen.

Und weiter: Motorräder führen ungeniert über die Promenade direkt an der Marina, eine Gefahr für Spaziergänger, große Gruppen machten es sich mit Stühlen und Tischen neben ihren Autos auf Gehwegen, auf Wiesen und unbebauten Brachflächen bequem und hinterließen haufenweise Müll - dazu der Lärm von Musik aus den Autos und Kindergeschrei bis „um vier Uhr morgens“. Und das nicht nur am Wochenende.

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„„Die Einsatzkräfte laufen hier gern vormittags hier durch, aber richtig losgeht es hier ab 22 oder 23 Uhr.““

Ute Mende, Anwohnerin und Loft-Besitzerin an der Johannes-Rau-Allee in Gelsenkirchen

„Vier Erinnerungsmails“ will Wolfgang Kothe an den Kommunalen Ordnungsdienst (KOD) in den vergangenen Wochen und Monaten geschrieben haben, viel getan hat sich seiner und der Meinung seiner Nachbarn nach aber nicht. „Der KOD patrouilliert hier zwar, aber zu den falschen Zeiten“, sagt er und bekommt von Ute Mende die Bestätigung. „Die Einsatzkräfte laufen hier gern vormittags hier durch, aber richtig losgeht es hier ab 22 oder 23 Uhr. Und von der Security von Stölting ist auch nichts mehr zu sehen.“ Die Dienstzeit des KOD endet im Sommer um 23 Uhr, die Unternehmensgruppe sorgte bislang mit einer eigenen Truppe für zusätzliche Sicherheit an der Marina.

Und was ist mit der Polizei? „Die belässt es zu oft bei Ermahnungen, kaum dass die Polizei außer Sicht- und Hörweite ist, geht das ganze Rambazamba wieder von vorne los“, meinen die genervten Bürger. Oder man bekomme am Telefon zu hören, dass es wegen drängenderer Anlässe länger dauern könnte. Folge: Die Motivation, die Leitstellen von Polizei und KOD anzurufen, sinkt. Das ist in Stadtteilen wie Bulmke-Hüllen und Rotthausen ähnlich. Je länger das Problem währt, desto mehr resignieren Bürger, wenn sich nach vielen Anrufen nichts bis wenig verbessert.

„Für mich als Anwohner hat sich seit drei Jahren nicht wirklich etwas geändert“, schlussfolgert Kay Störmer, er ist zusammen mit Wolfgang Kothe so etwas wie der Wortführer der Anwohner. Einen Blitzer wüschen sie sich an der Johannes-Rau-Allee, „oder muss erst noch etwas Schlimmeres passieren?“, fragen sie. Helfen würde ihrer Meinung nach auch eine Schranke am Hafenplatz Ost. Und vor allem: „Mehr Kontrollen - die Stadt könnte sich mit den vielen Verstöße hier eine goldene Nase verdienen.“

Polizei spricht von „Begleiterscheinungen“ - Gelsenkirchener Marina kein „Schwerpunkt“

Stadt und Stölting haben auf WAZ-Anfrage noch nicht reagiert, die Polizei schon. Die Behörde hebt hervor, dass es sich um ein Wohn- und Gewerbegebiet mit Gastronomie und Diskothek handele. „Das führt vor allem bei entsprechender Wetterlage zu einer erhöhten Frequenz von Fahrzeug- wie auch Fußgängerverkehr mit entsprechenden Begleiteffekten, wie leider auch erhöhten Geräuschpegeln, bis zu Ruhestörungen oder auch einer Zunahme von Verkehrsdelikten“, sagt Polizeisprecher Stefan Knipp.

Zwischen Anfang März und Mitte Juni ist laut Polizei „bei der Behörde eine Beschwerde eingegangen“. Ein Anwohner habe über Lärmbelästigungen durch Personengruppen und Autos, die mit erhöhter Geschwindigkeit durch das Quartier gefahren seien, geklagt.

Im selben Zeitraum habe die Polizei dort fünf Einsätze wegen Ruhestörungen gehabt. Dreimal ohne jedwede Feststellung im Anschluss. Ein Mal wurde zur Ruhe ermahnt, in einem weiteren Fall erteilten die Einsatzkräfte drei Platzverweise. „Wegen Hinweisen zu Verkehrsdelikten, verdächtigen Fahrzeugen oder verdächtigen Feststellungen war die Polizei in diesem Zeitraum zehnmal im Quartier Stölting Harbor eingesetzt“, listet der Sprecher weitere Einsätze auf. Viermal ohne Feststellungen in der Folge, zweimal erteilten Beamte Platzverweise, zweimal wurden Personen kontrolliert und danach entlassen, weil sich der Verdacht auf ein Delikt nicht erhärtete. In zwei Fällen fertigte die Polizei Strafanzeigen nach Verkehrsdelikten.

Für die Polizei ergibt sich daraus „kein polizeilicher Schwerpunkt“ an der Marina. Vielmehr scheint es sich aktuell „bei den geschilderten Feststellungen um die angeführten Begleiterscheinungen zu handeln“. Das Quartier werde sporadisch bestreift, dazu kommen selbst veranlasste Kontroll-Einsätze. Man behalte das Gebiet weiter im Blick.

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