Hotspot für Autoposer und Party-Singles: Warum hunderte PS-Monster den Arena-Park in Gelsenkirchen ansteuern. Eine Reportage.

Das Défilé der PS-Boliden beginnt gegen sieben Uhr. Es hat schnell die Runde gemacht, dass das Hafenquartier Graf Bismarck von Amtswegen gesperrt ist, nur vereinzelt fahren Suchende durchs Viertel an der Johannes-Rau-Allee, vielversprechender ist seit gut einem Monat der Arena-Park. Gut 1500 Menschen und weit über 500 Sportwagen, Oberklasse-Limousinen und hochgezüchtete Mittelklasse-Renner werden am Hotspot zwischen Adenauer- und Willy-Brandt-Allee erwartet: Sehen und gesehen werden, heißt es. Später, nachts, soll es noch Musik und Tanz auf dem Parkplatz geben.

Ein Autoposer-Hotspot ist der Parkplatz am Apollo-Kinocenter zwischen Adenauer- und Willy-Brandt-Allee in Gelsenkirchen. Am Mittwoch, 2. Juni, wurden mehr als 1500 Besucher erwartet.
Ein Autoposer-Hotspot ist der Parkplatz am Apollo-Kinocenter zwischen Adenauer- und Willy-Brandt-Allee in Gelsenkirchen. Am Mittwoch, 2. Juni, wurden mehr als 1500 Besucher erwartet. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Bilal (19), Rida (19) und Thaer (21) haben sich früh einen guten Platz im Zentrum des Parkplatzes gesucht. Campingstühle haben sie dabei, ein Shisha macht schon die Runde. „Hier kann man in Ruhe chillen“, sagen die drei Gladbecker. Corona hat Treffen der Kumpel lange einen Strich durch die Rechnung gemacht, erst recht geschlossene Bars und Diskotheken und nicht zuletzt das nass-kalte Frühjahr. „Der Treff hier ist was Neues, Düsseldorf und Dortmund, da kann man derzeit ja nicht hin.“

Nachts tritt die Ordnungsmacht auf den Plan

In der Nacht zu Donnerstag endet das Massentreffen im Arena-Park. Starke Polizeikräfte sperren nach eigenen Angaben gegen ein Uhr die Zufahrten zum Parkplatz zwischen Adenauer- und Willy-Brandt-Allee. Autos werden reihenweise angehalten, Insassen kontrolliert.

Genaue Hintergründe sind vor Ort nicht zu erfahren. Als die Polizei am vergangenen Sonntag ein ähnliches Treffen an Ort und Stelle aufgelöst hat, wurde das mit Verstößen gegen Corona-Regeln, Beschwerden wegen Ruhestörung und illegaler Autorennen begründet.

Am Donnerstagmorgen berichtet die Polizei, dass es bei dem Treffen der Autoposer lediglich zu Ruhestörungen durch Hupkonzerte gekommen sei. „Es hat mit Stand heute morgen keine gefährlichen Situationen gegeben“, hieß es. Donuts und illegale Straßenrennen seien nicht registriert worden. „Auf dem Gelände war es ab 22.45 Uhr so voll, dass kein Platz mehr war.“ Zu dem Zeitpunkt hätten sich 400 bis 500 Autos vor Ort befunden. „Ab 2.30 haben wir starke Abwanderungstendenzen registriert“, so die Polizei weiter. Sprich, die Blechlawine löste sich auf.

Polizeikräfte sind am späteren Mittwochabend zunächst nicht mehr zu sehen

In den beiden Städten verleidet ein massives Aufgebot von Einsatzkräften den PS-Jüngern regelmäßig das Cruisen rund um Promenade und Wall. Zwischen L’Osteria, Café del Sol, Xiao und McDonald’s in Gelsenkirchen lässt sich abwechselnd mal ein Polizei-Van oder ein Motorrad-Polizist blicken, je weiter die Sonne am Horizont ihre Bahnen zieht, desto weniger sichtbar werden die Uniformierten.

Eine Polizeistreife am frühen Mittwochabend in Gelsenkirchen auf dem Parkplatz am Apollo-Kinocenter.
Eine Polizeistreife am frühen Mittwochabend in Gelsenkirchen auf dem Parkplatz am Apollo-Kinocenter. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

„So lange keine geltenden Regeln gebrochen werden oder es strafbare Vorfälle gibt, können wir nichts machen“, heißt es aus dem Polizeiwagen. Um den Auflauf hier zu unterbinden wäre ein Schrankensystem nur für ausgewiesene Gäste der umliegenden Lokale nötig.

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Nicht, dass es nichts zu tun gibt in Gelsenkirchen, erst vor ein paar Tagen hat ein Großaufgebot von Polizei und Ordnungsdienst den Platz nach Verstößen gegen Corona-Regeln und illegalen Autorennen nachts geräumt. Davon ist man so früh am Mittwochabend aber noch weit entfernt.

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Auto steht bei einigen höher im Kurs als eine eigenen Immobilie oder Familie

Hasan’s (22) und Baris’ (22) doppelt aufgeladene Mercedes-Renner erregen Aufsehen. Sie sind auf Hochglanz poliert, Hasans 510-PS-Bolide glitzert dazu noch in einem beinahe neonfarbenem Grün. Der Gas-Wasser-Installateur hat sich dazu noch in Schale geschmissen, Kumpel Baris, Konstruktionsmechaniker, bevorzugt mehr den Casual-Look. Dezenter, so wie das Stahlblau seines Boliden. Damit ist er nicht allein.

Großes Défilé der Autoposer in Gelsenkirchen: Dieser Ferrari gehörte zu den über 500 Fahrzeugen, die den Arena-Park am Mittwoch, 2. Juni, ansteuerten.
Großes Défilé der Autoposer in Gelsenkirchen: Dieser Ferrari gehörte zu den über 500 Fahrzeugen, die den Arena-Park am Mittwoch, 2. Juni, ansteuerten. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Primär geht es den beiden Gelsenkirchenern ums Freudentreffen nach so langer Zeit des Verbots. Mit Blick auf den Wagen schräg hinter ihnen müssen die beiden Männer aber schon schmunzeln. „Klar, Frauen sind natürlich auch ein Grund. Hier kann man sich kennenlernen.“

Autotreffen sind eine Form von moderner Single-Börse, Kontakt über soziale Medien

Sensa (27) und Kübra (32) geben das ohne Umschweife zu. Sie sitzen in einem Golf. „Diese Treffen sind auch eine Art moderne Single-Börse, klar“, erklären die Gelsenkirchenerinnen. Über Instagramm-Kanäle kommt man/frau sich näher. „Spotted Kino Parkplatz“ ist eine solche Plattform - Nummerschilder und Kurzbeschreibungen tickern da hin und her, so finden Suchende das fehlende Herzblatt.

Unangenehm bedrängt seien sie noch nicht worden, erzählen die Frauen. „Die meisten Männer sind sehr höflich, außerdem wissen wir, wie man sie auf Distanz hält“, versichern die Freundinnen. Sensa und Kübra rechnen damit, dass es später noch eine Art Open-Air-Disko geben wird. „Wir konnten ja so lange nichts unternehmen“, sagen sie. Also werden Ausgeh-Alternativen gesucht - und gefunden. So wie zuletzt am 30. Mai, da gingen vielfach Türen und Fenster auf, die Lautstärkepegel steil nach oben. Videos zeigen Tanzende zwischen all dem Blech auf dem Parkplatz an der Arena.

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Verzicht auf die eigenen vier Wände - Geld fließt ins Auto

Enes (20), Laura, (20), Aylin (20) und Kaan alias „Gonzales“ (19) sind da schon einen Schritt weiter. Die Jungs aus Gelsenkirchen und die Mädchen aus Herne haben sich tags zuvor an gleicher Stelle erstmals getroffen. Jetzt parken sie Kofferraum an Kofferraum, haben Essen, Getränke und auch eine Shisha dabei, lernen sich näher kennen beim Small-Talk und Tabak. Auch sie sind froh, „endlich wieder unter Leute zu kommen“.

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Für ihre Leidenschaft für Leistung und Geschwindigkeit muss anderes hintenanstehen. Gefragt wie man solch teure Autos bezahlt, lautet die Antwort zwischen Frontschürze und Heckspoiler vielfach: Finanzieren, also abzahlen oder leasen. „Man muss sich eben entscheiden. Auto, Haus oder Wohnung, Familie. Bei vielen von uns ist es eben das Auto, was an erster Stelle steht.“ Dafür nehmen es nicht wenige in Kauf, noch bei ihren Eltern zu wohnen.

Auto-Fans verstehen Kritik und sagen: Es gibt einige, die machen Randale, aber nicht alle

Für die Kritik von Gastronomen, Gästen und Anwohner aus der erweiterten

Enes (20, v.l.), Laura (20), Alyin (20) und Kaan (19) haben sich auf dem Parkplatz kennen gelernt.
Enes (20, v.l.), Laura (20), Alyin (20) und Kaan (19) haben sich auf dem Parkplatz kennen gelernt. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Nachbarschaft haben viele der PS-Junkies und motorisierten Besucher durchaus Verständnis. „Es gibt immer einige, die machen Randale“, erzählen Hasan und Baric. Aber im Grunde seien die meisten tiefenentspannt. Die beiden Freunde rechnen allerdings auch damit, dass an diesem Abend wieder einiges zu Bruch geht, der Blick auf Scherbenhaufen an einem Parkplatz unterfüttert ihre Vermutung.

Andere kontern, dass die Gastro-Betriebe bei diesen Treffen „das Geschäft ihres Lebens machen“. Am vergangenen Sonntag habe die L’Osteria hunderte Pizzen im Karton an die Auto-Fans herausgegeben. Allerdings brauchen Angestellte am morgen danach Stunden, um die Müllberge zu beseitigen, das wiederum ist von der Gegenseite zu hören.

Mit einsetzender Dunkelheit fallen die Hemmungen: Kurzsprints, Wheelies, Hup-Fanfaren

Mit einsetzender Dunkelheit, nach zehn Uhr, wird es proppevoll auf dem Areal, die Hemmungen fallen bei einigen. Durchdrehende Räder, Qualm, Kurzsprints und Hup-Fanfaren sind zu sehen und hören, eine Hauptfahrtrichtung gibt es nicht mehr. Es ist riskantes ein Kreuz und Quer, auch für Umstehende. Eine Wagen voll besetzt mit Frauen hält an. Ins mitgebrachte Karaoke-Mikrofon, so dass es über die Anlage auch alle hören, ruft eine: „Warum sind wir hier?“ Das Echo „Feiern“ geht durch „Misfire“, sprich Fehlzündungen und knallenden Auspuffen, etwas unter.

Je später der Abend, desto dichter das Gedränge auf dem Parkplatz zwischen den Gastro-Betrieben Café del Sol, L’Osteria, Xiao und McDonalds nahe der Arena auf Schalke.
Je später der Abend, desto dichter das Gedränge auf dem Parkplatz zwischen den Gastro-Betrieben Café del Sol, L’Osteria, Xiao und McDonalds nahe der Arena auf Schalke. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Die Terrasse des Café del Sol hat sich mittlerweile geleert. „Jetzt sehen Sie, was hier los ist“, sagt eine Kellnerin. Sie versucht, Contenance zu bewahren, ringt sich ein Lächeln ab. Vorn direkt am Parkplatz hält es keiner mehr aus, da versteht man sein eigenes Wort nicht mehr.

Zwischen Blechlawinen steigt derweil eine Drohne in den Nachthimmel, hunderte Handys blinken. Es wird getextet und gepostet, was das Zeug hält. Tinder 4.0 - nur eben mit Auto.