Essen. Kitas schließen, Praxen erleben einen Ansturm, Kinder kommen ins Krankenhaus: Für sie sei die Grippe oft schlimmer als Corona, so ein Kinderarzt.
Die Grippewelle fällt in diesem Jahr außergewöhnlich heftig aus, Kinder- und Hausarztpraxen sind seit Wochen extrem ausgelastet. Die Infektionszahlen bei den Erwachsenen liegen nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO) über denen des Vorjahres, aber: „Besonders betroffen sind Kinder und Jugendliche.“ Die Essener Kinderärzte erleben einen Ansturm, einige der jungen Patienten müssen stationär behandelt werden.
In sechs Wochen kamen gut 600 Kinder mit Influenza in eine Essener Praxis
„Wir gehen jetzt in die siebte Woche der Grippewelle und sind mächtig eingespannt“, sagt Tobias Gregor, Obmann der Kinder- und Jugendärzte, am Dienstag (18.2.). Ein Abflauen des Infektionsgeschehens sei noch nicht in Sicht: „Der Andrang ist ungebrochen.“ Rund 600 Influenza-Erkrankte habe er seit Anfang Januar gesehen, also etwa 100 jede Woche: Aktuell machen sie weit mehr als die Hälfte seiner Patienten aus. Bei seinen Kollegen und Kolleginnen sei es ähnlich, manche Kinderarztpraxen sähen sogar 180 Grippekranke in der Woche. Es gehe dabei um Influenza A und B; wobei es sogar Fälle gebe, in denen ein Kind erst die Influenza A durchgemacht habe, nur um sich später mit Typ B anzustecken.
„Bei der Influenza haben die Kinder oft fünf Tage lang hohes Fieber, zwischen 39 und 41,5 Grad. Ungewöhnlich ist, dass viele auch unter Gliederschmerzen leiden: Die Eltern tragen die Kinder in die Praxis, weil diese nicht mehr gehen können.“
Auffällig seien neben den hohen Patientenzahlen die teils schweren Krankheitsverläufe, sagt Gregor. Im Vergleich dazu hätten Kinder eine Covid-19-Infektion meist rasch weggesteckt. „Bei der Influenza haben sie oft fünf Tage lang hohes Fieber, zwischen 39 und 41,5 Grad. Ungewöhnlich ist, dass viele auch unter Gliederschmerzen leiden: Die Eltern tragen die Kinder in die Praxis, weil diese nicht mehr gehen können.“ Es handle sich um eine Multisystem-Erkrankung, die daneben mit Symptomen von Ohrenschmerzen über Übelkeit und Erbrechen bis Kopfschmerz einhergehe.
Bei mehrere Tage andauerndem hohem Fieber sei ein Besuch beim Kinderarzt unbedingt angezeigt, betont Gregor. Die Kinder würden dann engmaschig betreut und erhielten alle vier Stunden Ibuprofen oder Paracetamol. Zusätzlich empfehle er den Eltern schon mal, den Kindern nach der Fiebersenkung eine Mischung aus Tee und einem Teelöffel Traubenzucker zu geben: Das könne für einen Energieschub sorgen.
Die Kinder sind hoch fiebernd, apathisch, können nicht mehr laufen
Die meisten Kinder erholten sich zu Hause. Doch einige Eltern berichteten, dass das Fieber am Tag 4 zurückgegangen sei und das Kind auf dem Weg der Besserung schien, die Temperatur aber über Nacht wieder anstieg. „Tag 5 ist ein Scheideweg“, sagt der Kinderarzt. Wenn man da einen Blutbild mache, stelle man bei vielen der kleinen Patienten eine sehr niedrige Anzahl weißer Blutkörperchen fest: „Das ist ein Zeichen, dass der Körper erschöpft, das Immunsystem geschwächt ist.“ In dieser Lage bekämen viele Kinder eine Lungenentzündung und müssten stationär behandelt werden. Er schätze, dass er etwa fünf Prozent seiner Influenza-Patienten ins Krankenhaus überweisen müsse; in anderen Praxen liege der Anteil noch höher. Oft treffe es Kinder unter drei Jahren.
Dr. Claudio Finetti, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Essener Elisabeth-Krankenhaus, bestätigt, dass man die Influenza oft mit der Gabe von Ibuprofen oder Paracetamol sowie viel Flüssigkeit zu Hause auskurieren könne, wenn man die Kinder gut im Blick habe. Doch was man seit Anfang Januar beobachte, sei viel gravierender als die Grippewellen der Vorjahre. Wenn die Kinder tagelang fieberten, würden sie oft apathisch. „Wir sehen vermehrt auch eine Myositis, also eine Muskelentzündung. Die Kinder können nicht aufstehen und laufen.“
„ Wir haben schon mal 18 bis 20 Kinder binnen 24 Stunden aufgenommen.“
Selbstverständlich mache man einen Abstrich, um die Diagnose zu bestätigen, aber er und seine Kollegen wüssten meist beim ersten Blick, dass sie es mit Influenza A oder B zu tun haben (beide Typen müssen räumlich getrennt untergebracht werden). Seit Wochen nehme das Elisabeth-Krankenhaus Tag für Tag drei bis fünf kleine Patienten mit Grippe auf, oft im Kita- oder Grundschulalter. Meist müsse man den Kindern Flüssigkeit über die Vene geben, manche brauchten auch Sauerstoff, den sie über eine sogenannte Nasenbrille erhalten. „Die sind ernsthaft erkrankt und hoch fiebernd“, sagt Finetti. Er wolle jedoch keine Panik schüren: Nur wenige Kinder müssten intensivmedizinisch behandelt werden.
Die Lokalredaktion Essen ist auch bei WhatsApp! Abonnieren Sie hier unseren kostenlosen Kanal: direkt zum Channel!
Die 40 Betten auf der Kinderstation seien durchgehend belegt, doch anders als bei der RS-Virus-Welle müsse man nur in seltenen Fällen Kinder ablehnen und an andere Kliniken verweisen. Beim Respiratorischen Synzytial-Virus habe man die oft sehr kleinen Kinder auch acht bis zehn Tage aufnehmen müssen, die Influenza bekomme man meist in drei bis fünf Tagen in den Griff.
Elisabeth-Krankenhaus: In der Notaufnahme kommt es zu längeren Wartezeiten
Dr. Finetti bittet um Verständnis, dass es in der Notaufnahme zu längeren Wartezeiten kommen könne: „Wir haben schon mal 18 bis 20 Kinder binnen 24 Stunden aufgenommen.“ Gleichzeitig falle auch Personal mit Grippe aus. „Es ist eine Herausforderung.“ Das gelte indes nicht nur für die Krankenhäuser: „Es sind schon ganze Kitas krankheitsbedingt geschlossen worden.“
Ärzte raten zu Impfung und Achtsamkeit
Die Grippe-Impfung wird in der Regel vor allem älteren Menschen und chronisch Kranken empfohlen. Möglichst soll sie ab Oktober bis Dezember erfolgen. Angesichts der heftigen Grippewelle rät der Obmann der Essener Kinder- und Jugendärzte, Tobias Gregor, „allen Eltern, ihre Kinder noch gegen Influenza zu impfen“. Der Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Dr. Claudio Finetti, empfiehlt die Impfung für vorerkrankte Kinder.
Erwachsenen rät der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Essen, Dr. Tobias Ohde, jetzt noch zur Grippe-Impfung – auch mit Blick auf die Ansteckungsgefahr im Karneval. „Es besteht kein Grund zur Panik, aber zu erhöhter Aufmerksamkeit.“ Es könne nicht falsch sein, im Bus eine Maske zu tragen und die aus der Corona-Zeit bekannten Hygieneregeln zu beachten. Wer eine Vorerkrankung habe, sollte schon bei leichten Grippe-Symptomen zum Arzt gehen. Allen anderen rate er, achtsam zu sein, vitaminreich zu essen, ausreichend zu schlafen und nicht zu rauchen.
Was viele Essener und Essenerinnen derzeit im Familien- oder Kollegenkreis beobachten, bestätigt Dr. Tobias Ohde, Mediziner und Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung (KVNO) Essen: „Diese Grippewelle ist verflixt heftig und trifft teils auch Erwachsene mit schweren Verläufen.“ Vor drei, vier Wochen habe er gedacht, nun ebbe die Welle ab: „So einen Sturm hatte ich nicht erwartet. Ich habe das total unterschätzt. Jetzt sehe ich Patienten mit sekundären Entzündungen, teils richtig fetten Lungenentzündungen, mit denen sie ins Krankenhaus müssen.“ Gerade für ältere oder vorerkrankte Patienten sei das gefährlich. Auch daher stellt Dr. Ohde telefonische Krankschreibungen derzeit möglichst nur für drei Tage aus: „Dann ist es sicherer, wenn ich die Patienten sehe.“
Sie haben vermutlich einen Ad-Blocker aktiviert. Aus diesem Grund können die Funktionen des Podcast-Players eingeschränkt sein. Bitte deaktivieren Sie den Ad-Blocker,
um den Podcast hören zu können.