Ruhrgebiet. Die Grippezahlen explodieren schon jetzt. Kinder wollen dennoch zum Zug. Wie man sie schützt. Plus: ein Expertentipp für Erwachsene.

Die Zahlen explodieren, die Welle rollt. 6858 Grippe-Infektionen meldet das Landesgesundheitszentrum aktuell NRW-weit, 2404 allein für das Ruhrgebiet – und dazu 407 (155) Corona- sowie 792 (304) Infektionen mit dem Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV). Die Zahl der betroffenen Kinder sei „ungewöhnlich hoch“, berichtet das Robert-Koch-Institut, die Fallzahlen bei den Fünf- bis 14-Jährigen hätten sich seit Jahresbeginn mehr als verdreifacht. Und nun auch noch Karneval. Die Zeit der Partys und Straßenumzüge birgt gewaltiges Ansteckungspotenzial. Doch Kinder wollen ja feiern, sich verkleiden und ihre Kostüme zeigen, Kamellen sammeln, in der Menschenmenge stehen, wenn „de Zoch kütt“. Zu gefährlich in diesem Jahr? Wir fragen den Bonner Kinder- und Jugendarzt Dr. Axel Gerschlauer, Sprecher des Berufsverbandes der Kinder- und JugendärztInnen (Landesverband Nordrhein).

Dr. Gerschlauer, wie schaut es aus bei den Kinderärzten im Land?

Wie jedes Jahr um diese Zeit, kein Grund zur Aufregung. Auch wenn die Praxen gerade wirklich voll sind. Kinderärzte sind Saisonarbeiter und gerade ist Hochsaison. Ich hatte gestern Notdienst – und habe in einer einzigen Stunde 16 Patienten mit Husten, Schnupfen oder Fieber gesehen. Meist steckt ja nichts Ernstes dahinter, meist sind es 08/15 Infekte – aber dass es nichts Ernstes ist, müssen wir natürlich erst einmal ausschließen.

Pressefoto
Dr. med. Axel Gerschlauer
Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin
Pressesprecher BVKJ Nordrhein
Prinz-Albert-Str.10
53113 Bonn

„Bessere Bedingungen kann man Viren gar nicht bieten: Partys mit vielen Menschen auf engem Raum, im Regen Kamelle sammeln, bei Eiseskälte stundenlang am Straßenrand stehen...“

Dr. Axel Gerschlauer
Sprecher des Berufsverbandes der Kinder- und JugendärztInnen (Landesverband Nordrhein). 

Wie oft nehmen Atemwegsinfekte bei Kindern schwere Verläufe?

Sehr, sehr selten. 95 Prozent der Infekte bei Kindern sind banale, normale Erkältungen. Und die Erkältungssaison dauert von Oktober bis Ostern – wie die für Winterreifen. Da haben Kinder eben Husten oder Schnupfen oder Husten und Schnupfen. Das ist völlig normal.

Woran erkennen Eltern, dass es nicht bloß eine harmlose Erkältung ist? Wann MUSS das Kind zum Arzt?

Wenn es plötzlich deutlich kränker wird. Wenn es nicht mehr isst oder trinkt. Wenn es angestrengt atmet, wenn die Eltern merken, das geht über das normale Gerotze hinaus. Wenn das Kind „auffiebert“ – nach zum Beispiel drei Tagen Husten und Schnupfen mit zunächst nur leichtem oder gar keinem Fieber. Fieber als solches ist dagegen gar nicht unbedingt ein Grund, den Arzt aufzusuchen. Fieber ist eine „Betriebstemperatur“, die bei der Infektabwehr hilft.

Karneval in NRW - Events und Termine im Überblick:

70 Prozent der kleinen Patienten, die derzeit mit einem schweren Atemwegsinfekt in einer Klinik liegen, haben Influenza. Sind Kinder häufiger von Grippe betroffen als Ältere?

Kann sein, aber obwohl es auch bei Kindern sehr schwere Verläufe gibt, trifft es sie zum Glück selten schlimm. Doch es gibt eine andere wichtige Besonderheit: Anders als bei Corona sind Kinder der „Zunder des Feuers der Influenza“. Sie verbreiten dieses Virus.

Warum ist das so?

Kinder können ja immunologisch erstmals fast nichts. Je kleiner du bist, desto weniger Viren kennst du, desto ungeübter ist dein Immunsystem, desto eher wirst du krank. Aber das ist nicht nur bei Grippe so. Als Kleinkind bist du immer anfälliger – und gibst das Virus dann an andere weiter. Weswegen sich diejenigen impfen lassen sollten, die besonders gefährdet sind, die Älteren. Von denen tut es aber leider nur ein Drittel.

Könnte es helfen, die Kinder selbst zu impfen?

Das wird immer wieder diskutiert, tatsächlich. Und Eltern, die sie für ihre Kinder wollen, bekommen die Impfung auch von den meisten Krankenkassen bezahlt. Die Kinderärzte verabreichen sie. Empfehlen tut sie die Stiko (die Ständige Impfkommission) allerdings im Moment nur für chronisch kranke Kinder, aber noch nicht für gesunde.

Karneval in NRW: Hier gibt es weitere Informationen

Die Grippewelle steuert auf den Höhepunkt zu, die Zahlen sind schon jetzt immens. Und nun steht auch noch Karneval vor der Tür...

Karneval ist wie Seuche hoch zehn. Bessere Bedingungen kann man Viren gar nicht bieten: Partys mit vielen Menschen auf engem Raum, im Regen Kamelle sammeln, bei Eiseskälte stundenlang am Straßenrand stehen … Die ein, zwei Wochen nach Karneval sind gerade bei uns im Rheinland extrem arbeitsintensiv. Wir Kinderärzte gehen danach regelmäßig auf dem Zahnfleisch. Aber wir sind es ja gewohnt und nach Ostern wird es auch wieder besser.

Aber wenn mein Kind doch unbedingt Party machen will, und auch zum Zug, Kamellen sammeln?

Soll es, lassen Sie es ziehen, raus mit den Fuzzis! Lieber dreimal Schnupfen, als einen Zug verpassen. Wir haben doch durch Corona gelernt: Soziologie geht vor Infektiologie. Es war ein Riesenfehler, wissen wir inzwischen, Kindern Kontakte, Teilhabe zu verbieten. Mit anderen zusammen Karneval zu feiern, ist wichtig für Kinder. Wichtiger, als um jeden Preis eine Erkältung vermeiden zu wollen. Und viel besser, als aus Angst vor Ansteckung daheim zu bleiben, sich vor den Viren zu verstecken.

Dann will das Kind auch noch sein Kostüm zeigen. Es weigert sich, selbst bei Minustemperaturen, eine dicke Jacke darüber zu ziehen …

Prinzessin mit Anorak – geht gar nicht. Dafür gibt’s doch Thermounterwäsche.

Karneval in NRW - alles rund um Kostüme:

Wenn es mein Kind dann erwischt hat – was hilft?

Den Älteren empfehle ich stets die drei großen „N“: Nasentropfen, Nurofen (ein Fieber- und Schmerzsaft) und Netflix. Kleineren hilft: kuscheln, viel trinken und vorlesen. Lassen Sie die Finger von Hustensäften, Sälbchen und Tröpfen. Erkältungen gehören zum Großwerden dazu, es lohnt sich nicht, sich darüber aufzuregen. Die verschwinden von alleine.  Im Übrigen gilt der alte Spruch: Mit Arzt dauert's eine Woche, ohne sieben Tage.

Kann ich mit Ernährung – viel Vitamin C etwa – der Gefahr einer Infektion vorbeugen?

Vitamin C, genügend Schlaf und Bewegung an der frischen Luft können sicherlich zu einem gewissen Grad bei der Infektabwehr helfen. Aber einen wirklich wirksamen Schutz vor Viren werden Sie auch dadurch nicht bekommen.

Nicht einmal Abstand halten hilft, Hände waschen und Maske tragen?

Theoretisch sicherlich – aber wie soll das funktionieren, im Karneval?

Haben Sie wenigstens für Erwachsene einen Tipp. Wie können wir uns schützen vor Influenza & Co?

Nicht fremd knutschen. Und wer keinen Bock auf Erkältung hat, darf eben nicht in rappelvollen Kneipen feiern. Aber Erwachsene sind alt genug, das selbst für sich zu entscheiden.

Mehr zum Thema Infektionen