Essen. Die Kinderärzte sind am Limit: Nun schränken sie die Öffnungszeiten der Essener Notdienstpraxis ein. Wo Eltern mit kranken Kindern Hilfe finden.
Die Kinderärztliche Notdienstpraxis für Essen schränkt ab Anfang April ihre Öffnungszeiten erheblich ein. Die Praxis befindet sich am Elisabeth-Krankenhaus an der Ruhrallee in Huttrop, ist aber ein Angebot der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO). Bei den Diensten wechseln sich die Essener Kinderärzte ab – und die ziehen nun die Reißleine.
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Die Ärzte sind zwar selbständig, die KV hat aber ein Ampelsystem entwickelt, das anzeigt, ob ihre Dienstzeiten in der Notdienstpraxis ein vertretbares Maß haben, leicht erhöht oder deutlich zu hoch sind. „Wir sind schon lange im roten Bereich“, sagt der Obmann der Essener Kinder- und Jugendärzte, Tobias Gregor. Im ganzen KV-Gebiet gebe es nur eine Stadt, die ähnliche Dienstzeiten aufweise.
Die Wartezimmer werden immer voller, die Kinderärzte sind am Limit
Jeder und jede der rund 40 Kinderärzte und Kinderärztinnen absolviere demnach jährlich gut 110 Stunden in der Notdienstpraxis. Das möge übers Jahr verteilt gar nicht so viel klingen, bringe die Kollegen jedoch ans Limit, betont Gregor. „Die meisten sind ja schon 50 bis 60 Stunden in der Woche in der eigenen Praxis.“ Dort würden die Wartezimmer seit Jahren immer voller, nähmen Organisations- und Dokumentationsaufgaben immer mehr zu. Und fast ein Drittel der Kinderärzte sei über 60 Jahre alt. Dazu passe nicht, dass die Essener Notdienstpraxis weiter mit Spitzenwerten betrieben werde.
Portalpraxis für kranke Kinder geplant
Die kinderärztliche Notdienstpraxis liegt im Ärztehaus, Ruhrallee 81, beim Elisabeth-Krankenhaus. Bisher öffnet sie: Mo/Di/Do, 19 bis 22 Uhr, Mi und Fr, 16 bis 22 Uhr; an Wochenenden/Feiertagen, 9 bis 22 Uhr. (Nach 22 Uhr ist die Ambulanz des Elisabeth-Krankenhauses für Notfälle zuständig.) Ab April öffnet die Praxis: Mo-Fr, 19-22 Uhr, am Wochenende, 10-21 Uhr.
Perspektivisch möchte die Praxis in Räume neben dem Haupteingang des Elisabeth-Krankenhauses ziehen. Dann gäbe es dort eine erste Anlaufstelle für alle Kinder und niemand könnte gleich zur Notaufnahme gehen. Dr. Claudio Finetti, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Elisabeth-Krankenhaus, bestätigt, dass es konstruktive Gespräche über eine solche Portalpraxis gebe. Man habe erste Pläne erarbeitet. „Ich bin davon überzeugt, dass von der Umsetzung dieser Pläne alle – die Patienten, die niedergelassenen Ärzte sowie die Ärzte und Pflegekräfte im Krankenhaus – profitieren.“
Darum sollen ab 1. April folgende Öffnungszeiten gelten: Montag bis Freitag von 19 bis 22 Uhr und Samstag, Sonntag sowie an Feiertagen von 10 bis 21 Uhr. Bisher ist die Praxis an Wochenenden und feiertags von 9 bis 22 Uhr geöffnet, also jeweils zwei Stunden länger. Mittwochs und freitags, wenn die Kinderarztpraxen am Nachmittag geschlossen sind, öffnet die Notdienstpraxis aktuell von 16 bis 22 Uhr.
Eltern sollen Notfallnummer 116 117 wählen
An diesen beiden Nachmittagen gibt es also künftig ein dreistündiges Zeitfenster, in dem Familien mit kranken Kindern keine feste Adresse mehr haben. „Uns ist bewusst, dass die Eltern von 16 bis 19 Uhr eine verlässliche Struktur brauchen. Die zentrale Anlaufstelle ist jetzt die Rufnummer der KV: 116 117.“
Die Fachkräfte, die dort am Telefon sitzen, sollen im Gespräch klären, wie das Kind weiterversorgt werden muss. Ob etwa ein Hausmittel und Bettruhe oder ein Arztbesuch am Abend reichen oder das Kind akut Hilfe braucht. Dann könnte es in die Kindernotaufnahme im Elisabeth-Krankenhaus oder in der Uniklinik gebracht werden.
Nur einer von 50 jungen Notfall-Patienten muss stationär behandelt werden
Dieser Weg sollte Notfällen vorbehalten bleiben, die stationär aufgenommen werden müssen, betont Gregor. „Wenn ich Kinder im Notdienst sehe, muss von 50 nur eins ins Krankenhaus.“ Trotzdem könne man nicht ausschließen, dass künftig mehr Eltern auf eigene Faust in die Notaufnahme fahren. Obwohl auf Uniklinik und Elisabeth-Krankenhaus ab April mehr Arbeit zukommen könnte, haben sie den Plänen zugestimmt. Ebenso wie die Ärztekammer und die Kassenärztliche Vereinigung. „Es war ein breiter Konsens“, betont Gregor.
Kinderarzt sieht Unruhe bei den Eltern voraus
Der Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Elisabeth-Krankenhaus, Dr. Claudio Finetti, bestätigt, dass die Kinderärzte ihre Überlegungen frühzeitig mitgeteilt hätten: „Wir, die Chefärzte der Kinder- und Jugendmedizin und der Kinderchirurgie sowie die Verwaltung des Elisabeth-Krankenhauses, waren und sind mit den niedergelassenen Ärzten in einem konstruktiven und guten Austausch.“
Mit dem neuen Modell könne die Überlastung der Ärzte deutlich abgemildert werden, die jährlichen Dienstzeiten pro Arzt sollen von 110 auf 70 Stunden sinken, sagt Gregor. Das soll auch dadurch erreicht werden, dass in der Regel nur noch ein Kollege oder eine Kollegin in der Notpraxis Dienst tut, wo vorher zwei eingesetzt waren.
„Wir verknappen das Angebot“, räumt Gregor ein. „Das wird sicher zu Unruhe führen.“ Er versehe seine Dienste aber immer mit einer Medizinischen Fachangestellte (MFA) aus seiner Praxis, die ihm viel Papierkram abnehme: „So kann ich mich auf das Ärztliche konzentrieren und effizienter arbeiten.“ Auch sitze eine fest bei der KV angestellte MFA am Empfang und nehme schon eine Ersteinschätzung vor. Für Entlastung könne zudem das neue digitale Dokumentations- und Abrechnungssystem sorgen, mit dem die KV alle Notdienstpraxen ausstatte.
Eine Warze muss nicht in der Notdienstpraxis behandelt werden
Auch Chefarzt Dr. Claudio Finetti vom Elisabeth-Krankenhaus hofft, dass die Reduzierung des Angebots abgefedert werden kann: „Natürlich wird es eine Herausforderung, diese Zeiten zu kompensieren, umso wichtiger ist die Aufklärung der Eltern und Familien bezüglich der Notfallversorgung, wie diese funktioniert, wann sie greift.“
Tobias Gregor setzt darauf, dass nach und nach jene Fälle wegbleiben, „die nicht zwingend kommen müssen“. Eine Warze oder ein eingewachsener Nagel müssten nicht in der Notdienstpraxis behandelt werden. Andere Eltern vertrauten bei einer leichten Erkrankung nicht ihrem Bauchgefühl, sondern googelten zu den Symptomen, bis sie irgendwo lesen, dass es eine Meningitis sein könnte – dann steuerten sie in Sorge die Notdienstpraxis an, so Gregor. Insgesamt schätzt er, dass etwa 20 Prozent der jetzigen Patienten zu Hause bleiben könnten.
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