Essen. Die Essener Bahnhofsmission kümmert sich zunehmend um einsame und wohnungslose Menschen. Welche Konsequenzen die prekäre Personalsituation hat.
Anfangs waren es die jungen Frauen, die zum Arbeiten in die Städte reisten und oftmals an den Bahnhöfen strandeten, später Kriegsflüchtlinge und -Heimkehrer, dann die Gastarbeiter. In den 127 Jahren ihrer Geschichte war die Essener Bahnhofsmission stets Anlaufstelle für diejenigen, die Hilfe brauchten, Schutz, oder einen Moment der Ruhe.
Das ist bis heute so geblieben. Bloß sind es mittlerweile nicht mehr nur Reisende, sondern oft auch suchtkranke, einsame oder wohnungslose Menschen, die für den heißen Kaffee und ein bisschen Wärme die Räume auf der Rückseite des Hauptbahnhofes aufsuchen – und manchmal vor verschlossenen Türen stehen, obwohl eigentlich geöffnet sein sollte. Denn in der Bahnhofsmission fehlt es an Personal: Zwei hauptamtliche Mitarbeiter koordinieren die Arbeit, das übrige Team besteht aus ehrenamtlichen Helfern. 30 sind es aktuell, doch es müssten eigentlich 60 sein. „Das wäre der ‚Vor-Corona-Stand‘“, sagt der Leiter der Essener Bahnhofsmission, Martin Lauscher.
Immer mehr Menschen suchen Hilfe in der Essener Bahnhofsmission
Offene Vorstellungsrunde für Interessierte
Wer ehrenamtlich in der Bahnhofsmission mitarbeiten möchte, sollte volljährig sein, ein Führungszeugnis ohne Eintragung vorweisen können und ein Teamplayer sein. Außerdem wichtig: die Bereitschaft, auf Menschen zuzugehen, das eigene Handeln zu reflektieren und Regeln zu akzeptieren.
Weitere Informationen rund um das Ehrenamt gibt es am Donnerstag, 7. November, ab 18 Uhr in einer offenen Vorstellungsrunde in den Räumen der Bahnhofsmission (an der Rückseite des Hauptbahnhofs, neben der Radstation). Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.
Sollten Interessierte den Termin am 7. November nicht wahrnehmen können, besteht die Möglichkeit, telefonisch einen Alternativtermin zu vereinbaren und weitere Details zu erfragen: 0201 230723.
Die Bahnhofsmission ist eine gemeinsame Einrichtung von Caritasverband und Diakoniewerk Essen.
Es ist sein Anspruch, und der seiner Mitarbeiter, alle Besucher gleichzubehandeln, alle zu akzeptieren: „Jeder soll hier Hilfe bekommen“, sagt Martin Lauscher, „wenn er das will“. Das waren im Jahr 2022 insgesamt etwa 13.500 Menschen, 2023 um die 14.000. „Wir gehen davon aus, dass die Zahl für 2024 noch steigen wird.“
Auch an diesem trüben Oktobernachmittag herrscht ein stetiges Kommen und Gehen in der Bahnhofsmission: Eine ältere Dame sitzt allein an einem Tisch in der Ecke, verspeist mitgebrachten Proviant, ein junger Mann in Jogginghose und Kapuzenpullover bittet um einen Kaffee und etwas Wasser, er habe solche Kopfschmerzen, sagt er. Ein stiller Mann mit einer Plastiktüte setzt sich hustend auf die Holzbank am Fenster. Viele schweigen, manche suchen das Gespräch; an einem Tisch spielen Helfer mit einem Gast „Mensch, ärgere dich nicht“.
Ein großformatiges Landschaftsbild bedeckt die Wände: grüne Hügel, ein Teich, fliegende Gänse, rosa blühende Bäume. Eilig hat es hier niemand – keine Spur von der Hektik, die in der Bahnhofshalle herrscht. Einzig das wiederkehrende Rumpeln der Züge erinnert daran, wo man sich befindet.
„Das führt dazu, dass Menschen, die Hilfe brauchen, keine bekommen.“
Es gehört zur Aufgabe der Ehrenamtler, regelmäßig den Bahnhof zu durchstreifen, ansprechbar zu sein für Reisende, Fragen zu beantworten und gerade in der kalten Jahreszeit „in alle dunklen Ecken zu schauen, ob sich da jemand hingelegt hat“, wie Ehrenamtlerin Lena Thyroff erklärt. „Im Bahnhof sind wir an unseren Westen erkennbar, bewegen uns bewusst langsamer, wodurch wir auch nahbarer sind.“
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Die Bahnhofsrunden sind ein Grund dafür, dass in jeder Schicht vier Mitarbeitende vor Ort sein sollten: zwei im Bahnhof, zwei in der Mission. Doch das klappt oft nicht, wie Martin Lauscher berichtet. Durch den Mangel an Ehrenamtlichen würden zudem immer wieder kurzfristig Dienste ausfallen, was sich auf die Öffnungszeiten auswirke. „Das führt dazu, dass Menschen, die Hilfe brauchen, keine bekommen. Wenn jemand dreimal vergeblich hier war, bleibt er im Zweifel ganz weg.“
Wenn das Personal zu knapp wird, bleiben die Türen der Bahnhofsmission geschlossen
Das Team der Ehrenamtlichen ist seit Corona fortwährend geschrumpft, die Ressourcen also begrenzt. Viele sind berufstätig, arbeiten wie Lena Thyroff Vollzeit. Einmal pro Woche fährt die 30-Jährige nach der Arbeit zum ehrenamtlichen Spätdienst in die Bahnhofsmission. Ein Dienst pro Woche: So machen es die meisten. Manche haben feste Zeiten, andere müssen berufs- oder familienbedingt immer wieder die Schichten wechseln. „Für die Personalplanung bedeutet das ein ziemliches Hin und Her“, so Lauscher. Dennoch freue man sich über jeden, der helfen wolle – ob mit einer festen Schicht oder wechselnden Diensten. Altersmäßig sei die Gruppe gemischt: „Von Ende 20 bis 75 ist alles dabei; zwei Drittel sind Frauen, wie so oft in der sozialen Arbeit.“
Mit seinen 73 Jahren gehört Klaus Felberbauer, der seit neun Jahren hier aushilft, zu den Älteren im Team und doch fühlt er sich mit seinen Kollegen und Kolleginnen sehr wohl: „Wir haben eine gemeinsame Grundeinstellung, ähnliche Werte“, sagt der ehemalige Lehrer. Dazu gehöre, jeden Menschen wertzuschätzen, „auch in den Einzelfällen, in denen das vielleicht mal schwerfällt“. Es sei wichtig, den Menschen einen sicheren Ort zu bieten, an dem sie nichts machen müssten, keine Voraussetzungen erfüllen, einfach sein dürften.
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Im Kern gehe es genau darum, so Martin Lauscher: Hilfe anbieten, nichts erwarten – und nicht frustriert sein, wenn Menschen die Hilfe nicht wollen oder man nicht helfen könne. Das nämlich sei für viele, die sich ehrenamtlich sozial engagieren wollen, ein großes Problem: Neben denjenigen, die annehmen würden, dass es mit Kaffeeausschenken getan sei, gebe es die Gruppe der unverbesserlichen Idealisten, die am liebsten jeden einzelnen gleich bei sich zu Hause einquartieren würden. Er wolle das keinesfalls ins Lächerliche ziehen, so Lauscher, aber das sei definitiv nicht der Anspruch, den man an dieses Ehrenamt haben dürfe.
Das Team der Bahnhofsmission könne in der Regel vermitteln, unterstützen, Informationen geben. „Wir sind zwangsläufig gut vernetzt mit Bundespolizei und Bahn, mit den sozialen Akteuren in der Stadt“, so Lauscher. Es sei die große Stärke der Bahnhofsmission, auf sich wandelnde gesellschaftliche Herausforderungen schnell reagieren zu können, wie zuletzt beim Ansturm Geflüchteter aus der Ukraine. Man habe sich immer an die Entwicklungen der Zeit anzupassen gewusst. Doch die aktuelle Entwicklung, der Mangel an Menschen, die regelmäßig und kontinuierlich ehrenamtlich mitarbeiten wollen, stellt diese Fähigkeit auf eine harte Probe.
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