Essen. Den einen fehlt der Austausch in der Behindertenwerkstatt, die anderen vereinsamen im Alter: Die inklusive Tagespflege in Essen bietet Anschluss.
Ruhestand, das klingt für manchen nach Verheißung, nach Enkeln oder Ehrenamt, Wellness-Oase oder Weltreise. Anderen droht Einsamkeit. „Es bleiben so viele Stunden vom Tag übrig“, sagt Astrid Ewers, die eine neue, inklusive Tagespflege der Lebenshilfe in Essen-Frintrop leitet. Das Angebot richtet sich an Senioren, die Unterstützung benötigen, sowie an Menschen, die kognitiv beeinträchtigt sind und zuvor in Behindertenwerkstätten gearbeitet haben. Fällt diese Arbeit altersbedingt weg, geht ihnen mehr verloren als ein Job.
„ Viele blühen dadurch auf, und es tritt auch eine Besserung der kognitiven Leistung ein, wenn jemand nicht nur vor dem Fernseher sitzt.“
Zwar werden die Betroffenen in der Regel weiter ambulant von der Lebenshilfe betreut, doch oft fehlen soziale Kontakte, Tagesstruktur – und auch Alltagskompetenzen. „In den Werkstätten gibt es immer ein Mittagessen, viele können daher nicht kochen.“ In der Tagesbetreuung an der Jagdstraße bekommen die Gäste nicht nur eine warme Mahlzeit, sondern auch ein Frühstück, nachmittags setzt man sich zum Kaffeetrinken in den großen Wohn- und Kochbereich.
Austausch und Anregung für die Senioren, Entlastung für die Angehörigen
„Bei uns wird jeden Tag gekocht und gebacken“, sagt Ewers. Darum gehören zum Team neben Betreuungsfachleuten und Fachkräften mit pflegerischem Hintergrund, wie sie ihn hat, auch Hauswirtschaftskräfte. Essen macht hier nicht bloß satt, es ist gesellig, bringt Austausch; Geschmack und Gerüche wecken Erinnerungen. Den einen gefalle es, beim Kochen zu helfen, andere wollen damit auf keinen Fall behelligt werden, „weil sie es lebenslang gemacht haben“. Sie freuen sich, bekocht zu werden.
Die klassische Tagespflege wendet sich an alte Menschen, die noch zu Hause leben und oft von Verwandten betreut werden. Ebenso so wichtig, wie die Anregung und der Austausch, die sie erleben, ist die Entlastung ihrer Angehörigen. „Doch von denen haben viele Angst, dass ihnen das Pflegegeld gestrichen wird, wenn sie die Tagespflege wahrnehmen“, sagt Astrid Ewers. Dabei handele es sich um unterschiedliche Budgets, ergänzt ihre Stellvertreterin Monique Heymann.
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Wie viele Tage die Pflegeversicherung trägt, hängt vom Pflegegrad ab; mindestens Grad 2 sollten die Besucher haben. Möchte jemand an einem weiteren Tag kommen, kann ein Eigenanteil fällig werden. „Manche starten mit einem Tag und wollen dann erhöhen, weil sie hier Abwechslung haben und Kontakte knüpfen“, sagt Monique Heymann. Noch öffnet die im Mai gestartete Betreuung nur zwei Tage pro Woche, bisher sind acht der 17 Plätze belegt. Bald soll der Betrieb von Montag bis Freitag laufen.
Wer nur noch vor dem Fernseher sitzt, baut schneller ab
Der Tag von 8 bis 16 Uhr wird neben den Mahlzeiten durch Sitzgymnastik und Gesellschaftsspiele, Gedächtnistraining, Kreatives und Ruhepausen strukturiert. Die Terrasse ist schon fertig, der Garten wird noch. Geht es nach Astrid Ewers, sollen dort auch Hühner einziehen.
Selbstverständlich wüssten die Pflegekräfte auch mit Inkontinenz, Handicaps oder Demenz umzugehen. Selbstverständlich seien die Räumlichkeiten rollstuhlgerecht und barrierefrei. Doch das Pflegerische möchte das Team nicht überbetonen. Sie wollen ihre Gäste nicht bloß betreuen, sondern anregen. „Viele blühen dadurch auf, und es tritt auch eine Besserung der kognitiven Leistung ein, wenn jemand nicht nur vor dem Fernseher sitzt“, sagt Monique Heymann. Das gelte auch für Menschen mit demenziellen Veränderungen.
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Wenn sie morgens gemeinsam mit ihren Gästen die Zeitung lesen, kommen sie oft nicht über die Überschriften der Artikel hinaus. „Die Leute nehmen das auf – und erzählen dann von eigenen Erfahrungen“; sagt Heymann, die auch schon in der ambulanten Pflege gearbeitet hat. Dort sei der Zeitdruck meist so groß, dass man meist losmüsse, „obwohl man merkt, dass die alte Dame sich gern noch fünf Minuten unterhalten würde“.
„Es bleiben so viele Stunden vom Tag übrig.“
Die Tagespflege ermögliche im besten Fall, dass jemand, der partout nicht ins Heim will, in der vertrauten Wohnung bleiben könne, ohne dort zu vereinsamen. „Wir haben von den Angehörigen durchweg die Rückmeldung bekommen, dass unsere Gäste geistig wacher und mobiler sind, dass ihre Lebensfreude gestiegen ist“, sagt Astrid Ewers.
Besucher liest aus dem Witze-Buch vor
Dass die Gäste zwischen 55 und 92 Jahre alt sind, sei kein Problem, ergänzt ihre Kollegin. „Das harmoniert trotz der Altersspanne.“ Auch die unterschiedlichen Voraussetzungen und Lebensläufe schleifen sich ab: Während die einen seit der Geburt oder nach einem Unfall eingeschränkt sind, bauen die anderen im Alter geistig ab. Orientierung, Kurzzeitgedächtnis, Wortfindung leiden.
Wer lange in einer Werkstätte gearbeitet hat, bringt zudem oft Kompetenzen mit, die den anderen Senioren fehlen. „Der kennt geordnete Tagesabläufe und feste Strukturen, ist es gewohnt, sich in einer Gruppe zu bewegen“, sagt Astrid Ewers. Wie der Besucher, der Tischtennisschläger für ein neues Spiel mitbringt oder aus seinem Witze-Buch vorliest. „Dann graben auch andere ihre Witze aus.“
Betreuung und Anschluss
Die Tagesbetreuung an der Jagdstraße 15 in Frintrop ist ein Angebot für Menschen, die einen Pflegegrad haben, Betreuung und Anschluss suchen. Die Lebenshilfe Essen bietet ihnen Frühstück, Mittagessen, Gedächtnis- und Mobilitätstraining, Ausflüge, Gartenarbeit, pflegerische Leistungen sowie Hol- und Bringdienst. Betreut werden Menschen, die aufgrund ihres Alters Begleitung benötigen, sowie Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung.
Geöffnet ist von 8 bis 16 Uhr, die Gäste können aussuchen, an wie vielen Tagen sie kommen. Die Kosten, werden nach bewilligtem Antrag, von der Pflegekasse übernommen.
Wer gern einen Probetag vereinbaren möchte, wendet sich telefonisch an Astrid Ewers: 0201-10 229 027 oder per Mail: a.ewers@lebenshilfe-essen.de. Weitere Infos auf: lebenshilfe-essen.de
Natürlich respektiere man auch, wenn jemand weniger gesellig ist und von Gymnastik so wenig hält wie von Küchenarbeit. „Wir haben einen Herrn, der immer die Zeitung liest, während die anderen sich unterhalten oder in der Küche hantieren“, erzählt Monique Heymann. Schon im Aufnahmegespräch frage man nach biografischen Details, Fähigkeiten, Neigungen, nach Mobilität und Gesundheitszustand. Im Alltag passiere es dann, dass der Spiele-Muffel erst nur zuschaut und irgendwann doch einsteigt. „Manche lernen hier noch etwas, die anderen greifen auf das zurück, was sie lebenslang gut konnten.“ Ob Schachspiel oder Wäschefalten.
Auch den pflegenden Angehörigen öffnet die Tagesbetreuung mitunter Türen. Wie der Frau, die sich lange ausschließlich um ihre Mutter gekümmert hat. Seit die an der Jagdstraße eine Anlaufstelle gefunden hat, traut sich die Tochter, wieder arbeiten zu gehen.
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