Essen. Notfallseelsorger kommen nach Todesfällen, stehen Angehörigen bei. Sie sind da, wenn die Polizei eine Todesnachricht überbringt. Das erleben sie.

Sie kommen, wenn jemand stirbt – und die Welt für einen anderen Menschen zusammenbricht. Wenn Schock, Schmerz, Entsetzen und Unglauben sich vermischen. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter der ökumenischen Notfallseelsorge sind sofort da, gleich nach Feuerwehr und Rettungsdienst. Sie helfen einem Fremden im Ausnahmezustand – und sehen ihn dann nie wieder. „Wir sind in der Akutphase der Trauer da“, sagt Guido Möller. Er arbeitet als Notfallseelsorger im Mülheimer System, das seit fast zehn Jahren eng mit dem Essener zusammenarbeitet.

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Seit Jahresanfang sind auch die Oberhausener mit im Verbund, der Tag für Tag einen 24-Stunden-Bereitschaftsdienst stellt. „Bisher können wir jede Anfrage von Polizei und Feuerwehr beantworten.“ Mit 83 Freiwilligen in den drei Städten plus 21 Neulingen, die im Oktober die neunmonatige Schulung abgeschlossen haben. Getragen wird die ökumenische Notfallseelsorge vom Evangelischen Kirchenkreis.

Essener Notfallseelsorger treffen auf Menschen in Tränen und Verzweiflung

Wer gerade Schicht hat, ist jederzeit im Stadtgebiet erreichbar. In Mülheim und Essen bringt der Fahrdienst des Deutschen Roten Kreuzes die Helfer zum Einsatzort, in Oberhausen fahren sie selbst. Wenn sie in einer Wohnung eintreffen, wo gerade jemand gestorben ist, wissen sie nur ein paar Details – „und dass wir gewollt sind“, sagt Möller. Denn bevor ein Notfallseelsorger verständigt wird, fragen Feuerwehr und Polizei, ob jemand kommen solle.

Sie treffen auf Menschen in Tränen, auf Stammeln oder lautstarke Verzweiflung, auf Wortkaskaden in allen Sprachen. Auf die, die sich mit einem Gebet von ihrem Lieben verabschieden oder ihn noch einmal berühren möchten. Manche tröstet eine Umarmung, andere erleichtert es zu reden. „Es gehört auch dazu, Stille auszuhalten“, sagt Möller.

Anstrengend könne das sein, weiß Iris Stratmann. Zwei Stunden hat die Oberhausenerin einmal mit einem Hinterbliebenen am Küchentisch gesessen, schweigend. Dann sagte er: „Schön, dass Sie da waren, aber Sie können jetzt gehen.“

Manchmal hilft es, dass einfach jemand da ist

„Wir leiten die Angehörigen weiter, wenn sie noch Unterstützung brauchen, nennen ihnen Gemeindepfarrer, Trauercafés, Beratungsstellen“, sagt die ehrenamtliche Notfallseelsorgerin Iris Stratmann.
„Wir leiten die Angehörigen weiter, wenn sie noch Unterstützung brauchen, nennen ihnen Gemeindepfarrer, Trauercafés, Beratungsstellen“, sagt die ehrenamtliche Notfallseelsorgerin Iris Stratmann. © Unbekannt | Ev. Kirchenkreis

Michael Lux wiederum weiß, wie viel es bedeuten kann, dass jemand nur da ist: Als sein Vater im Jahr 2003 verstarb, habe eine Dame aus dem Hospiz ihn und seine drei Geschwister begleitet. Er war 14 und kann sich heute an keinen Satz von ihr mehr erinnern. „Aber sie war bei uns. Das hilft.“ Es habe ihn beeindruckt, dass sich eine Fremde um sie kümmerte. Diese Erinnerung führte mit dazu, dass der Essener Lehrer dieses Jahr am Lehrgang als Notfallseelsorger teilnahm.

Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe seien Basis für die Aufgabe und das Vermögen, sich in andere einzufühlen: „Jeder Einsatz ist anders. Wir müssen herausfinden, was jedem Einzelnen hilft, den Schockmoment zu überwinden.“ Er habe Respekt vor der Aufgabe, vor „dem Feintuning zwischen echter Betroffenheit und notwendiger Distanz“.

Die Polizei muss Todesnachrichten überbringen

Auch für erfahrene Seelsorger könne das schwer sein, sagt Möller. „So sind wir immer bei der Überbringung einer Todesnachricht dabei.“ Jener Katastrophe also, die die meisten nur als Szene aus dem Fernsehkrimi kennen. Rolf Preiss-Kirtz hat sie unlängst erlebt: „Eine Frau hatte sich suizidiert.“

Der Essener wurde aus dem Bett geholt, traf sich mit der Kripo in der Nähe der Wohnung der Angehörigen. Manche wollten es gar nicht wahrhaben, sagt Preiss-Kirtz, doch eine Todesnachricht werde nur überbracht, wenn die Identität des Opfers zweifelsfrei geklärt ist. „Und nur Polizeibeamte dürfen sie mitteilen, das ist ein behördlicher Akt.“ Eltern zu sagen, dass ihr Kind tot ist, einem jungen Menschen zu sagen, dass die Mutter sich das Leben genommen hat, einem Mann, dass seine Frau nicht heimkommt. . .

Ehrenamtliche Notfallseelsorger (von links): Michael Lux, Herwarth Schweres, Iris Stratmann, Guido Möller, Rolf Preiss-Kirtz stehen nach einem Todesfall den Angehörigen bei.
Ehrenamtliche Notfallseelsorger (von links): Michael Lux, Herwarth Schweres, Iris Stratmann, Guido Möller, Rolf Preiss-Kirtz stehen nach einem Todesfall den Angehörigen bei. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Die Polizei verabschiedet sich, wenn Fragen beantwortet sind wie: Wo wurde sie gefunden, wann ist es passiert, ging es schnell? Zurück bleiben andere Fragen: Hätten wir helfen können, haben wir etwas übersehen, tragen wir Mitverantwortung. Warum? „Da sitzt die Familie in Trauer, und wir halten es gemeinsam aus“, sagt Preiss-Kirtz.

Es könne helfen, wenn es einen Abschiedsbrief gebe, wenn der Verstorbene vor seinem Tod selbst Antworten formuliert habe. Trotzdem quäle seine Lieben, oft ein Schuldgefühl. „Wir sagen dann: Der Verstorbene hat sich so entschieden.“ Ansonsten reagieren sie auf die Reaktion des Trauernden: Indem sie etwa seine Hand halten oder überlegen, was nun zu tun ist, zu klären ist. Oder nach Verwandten, Freunden, Nachbarn fragen: Nach Menschen, die trösten können – oder informiert werden müssen, erklärt Preiss-Kirtz. „Anrufen müssen die Betroffenen selbst, wir stehen unterstützend zur Seite.“

Sie kommen im Moment nach der Katastrophe

Der Auftrag der Notfallseelsorger ist so anspruchsvoll wie klar umrissen: Sie sind keine Therapeuten, sie lotsen durch den ersten bösen Moment. Der kann 30 Minuten dauern oder drei Stunden, sie nehmen sich Zeit, und irgendwann fragen sie: „Kann ich noch etwas für Sie tun?“ Das sei keine bloße Abschiedsfloskel, betont Iris Stratmann: „Wir leiten die Angehörigen weiter, wenn sie noch Unterstützung brauchen, nennen ihnen Gemeindepfarrer, Trauercafés, Beratungsstellen.“

Lehrgang für ehrenamtliche Notfallseelsorger im Jahr 2023

Von Februar bis November 2023 bieten die Notfallseelsorge Essen und Oberhausen gemeinsam einen Kurs für Neueinsteiger an: Dabei geht es um Themen wie Trauma-Psychologie, Umgang mit Belastungsreaktionen, Kommunikation, Tod und Trauer. Hinzu kommen Praktika bei Rettungsdiensten und Polizei. Der Kurs umfasst mindestens 100 Unterrichtsstunden und läuft (außer in den Schulferien) immer donnerstags von 18.30 Uhr bis 21 Uhr. Dazu kommen drei Wochenenden.Interessenten sollten mindestens 27 Jahre alt, körperlich und seelisch belastbar sein und Empathie mitbringen. Da Notfallseelsorger die Verstorbenen auf Wunsch der Angehörigen mit Gebet verabschieden, sollten sie Mitglied einer christlichen Kirche sein oder einen christlichen Bezug haben. Sie müssen bereit sein, an 14 Tagen im Jahr die Rufbereitschaft zu übernehmen.Info-Abende sind Mittwoch, 7. Dezember, Haus der Kirche, III. Hagen 39, in Essen sowie Donnerstag, 8. Dezember, Feuerwache Oberhausen, Brücktorstraße 30. Jeweils 18.30 bis 20 Uhr. Interessenten mailen an: iris.stratmann@ekir.deDie Notfallseelsorger sind nur in der Akutsituation nach einem Unglück vor Ort und verweisen die Betroffenen dann an andere Stellen. Ausnahme sind Kinder, die einen Unglücksfall oder einer Gewalttat miterleben. Für sie gibt es das neue, zunächst auf zwei Jahre befristete Projekt „Mittelfristige Notfallnachsorge für Kinder und ihre Familien“ (Mini). Es begleitet aktuell 35 Familien, die Schlimmes erlebt haben. Infos/Kontakt: 0176-30 67 60 62 oder mini@ekir.de

Es helfe schon, dass sie sofort da sind. Wie bei der 93-Jährigen, die ihren Mann verloren hatte. Er habe sie getröstet, mit ihr zusammengesessen, erzählt Herwarth Schweres. „Irgendwann sagte sie: ,Ich kann morgen ausschlafen, Sie nicht.’ und verabschiedete mich.“ Sie habe ihm noch vom Fenster aus zugewinkt.

Viele bedankten sich, staunten, „dass die Kirche so etwas macht“. Übrigens für Menschen jeder Konfession, jeder Religion, für Nichtgläubige. „Wir sind nicht missionarisch“, betont Möller. Nur die Notfallseelsorger selbst sollten einer christlichen Kirche angehören.

Auch bei Schießereien und Massenkarambolagen werden die Seelsorger gerufen

Für ihre Aufgabe werden sie sorgfältig geschult: Manche haben bei Kursbeginn noch nie einen Verstorbenen gesehen – und sollen am Ende darauf vorbereitet sein, bei „Großschadenslagen“ mit vielen Todesopfern eingesetzt zu werden: Wenn sie etwa zu viert, fünft mit Blaulicht zu einer Massenkarambolage auf die Autobahn gebracht werden. Oder zum Schauplatz einer Schießerei. Rolf Preiss-Kirtz unterstützte auch bei der Flutkatastrophe im letzten Jahr. Eine Woche stellte sein Arbeitgeber ihn dafür frei. „Ich erinnere mich an keinen Einsatz, bei dem ich nicht beschenkt wurde.“

Es gebe aber Einsätze, die man nie abschüttele, sagt Guido Möller. „Wenn ein Säugling gestorben ist, brennt sich alles bei mir ein: Wie die Eltern am Kinderbettchen stehen… Das schüttelt man nicht ab.“ Darum seien die Einsatznachbesprechungen so wichtig, der Austausch in der Gruppe, die Supervision, wenn ein Helfer Hilfe brauche, sagt Iris Stratmann. Wer dieses Ehrenamt übernehme, der müsse privat gefestigt sein. Wer so oft dem Tod begegne, brauche Wohlfühlinseln im Leben.