Essen. Im Einsatz funktionieren sie – in der Pause fließen auch mal Tränen. So hilft ein Essener Notfallseelsorger Einsatzkräften im Hochwassergebiet.

Dirk Rupprecht ist katholischer Diakon und arbeitet als Krankenhaus-Seelsorger an der Uniklinik Essen, er betreut Menschen in schweren Krisen, Menschen, die bangen, hadern, trauern. Der 51-Jährige ist außerdem als ausgebildeter Notfallseelsorger beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) aktiv. In der vergangenen Woche führte ihn sein Ehrenamt für drei Tage nach Altenahr, wo er Einsatzkräften zur Seite stand, die seit Tagen gegen Hochwasser und Hoffnungslosigkeit kämpfen. „Dieser Einsatz ist mit nichts vergleichbar, was ich zuvor gesehen habe.“

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Dabei hat er während der Covid-19-Pandemie gerade erst erlebt, wie selbst erfahrene Pflegekräfte an ihre Grenzen kamen: „Was da auf den Intensivstationen passierte, war auch eine Art Großschadenslage.“ Viel mehr Patienten seien gestorben, auch mehrere an einem Tag. „Am Krankenbett funktioniert man, aber später muss man das verarbeiten“, sagt Rupprecht, dessen Sohn selbst auf einer Covid-19-Station gearbeitet hat.

Als nun auf die Pandemie die Naturkatastrophe folgte, als das DRK Notfallseelsorger anforderte, zögerte Rupprecht nicht. Er hat viel Erfahrung, ist schon vor einem Jahrzehnt ausgebildet worden in „Stressbewältigung nach belastenden Einsätzen“: Neben Betroffenen und Angehörigen kann er auch Einsatzkräfte begleiten, und um sie sollte es nun gehen. Er sei dankbar, dass das Bistum ihn dafür freistellte, denn auch wenn er als Ehrenamtlicher für das DRK unterwegs ist, sieht er in den Kriseneinsätzen einen kirchlichen Bezug: „Wo es den Menschen dreckig geht, kann ich Kirche sein.“

Auf Feldbetten in der Disco einquartiert

Viele Träger arbeiten in der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) im Hochwassergebiet Hand in Hand.
Viele Träger arbeiten in der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) im Hochwassergebiet Hand in Hand. © Unbekannt | Dirk Rupprecht

Am Donnerstag (22. Juli) kamen er und seine Kollegen zum Nürburgring, wo sie in einer Disco einquartiert wurden, auf Feldbetten. Helfer aus Hamburg, München oder Kelheim trafen im Einsatzzentrum aufeinander, von DLRG, Bergwacht, Malteser, Johanniter… „Da ging es nicht darum, wer von welchem Verein kommt, sondern darum, dass wir alle zum PSNV-Zug gehören, der sehr selten alarmiert wird.“ PSVN steht für Psychosoziale Notfallversorgung, und die wurde etwa 1998 beim ICE-Unglück in Eschede mit 101 Todesopfern gerufen.

Diesmal gab es nicht den einen Ort, sondern ein Katastrophengebiet, durch das Rupprecht mit einem Kollegen nach Altenahr fuhr. Für die vielleicht 30 Kilometer brauchten sie zwei Stunden: „Erst ging es durch die schöne Landschaft, dann vorbei an zerstörten Straßen, eingestürzten Brücken.“ Sie hatten Fernsehbilder gesehen, und doch stockte ihnen der Atem, als sie den ersten Wohnwagen in einem Baum hängen sahen, gefolgt von vielen demolierten Fahrzeugen. „Man denkt immer, wir haben eine unglaublich solide Infrastruktur in Deutschland, und dann ist die weg.“ Die einzige Bahnstrecke in Altenahr, Lebensader für den Ort – weg.

Helfer können sich Luft machen

Als sie sich in der Einsatzleitstelle Altenahr meldeten, kamen binnen zehn Minuten zwei Feuerwehrleute, die sich nach tagelangem Einsatz „einfach mal Luft verschaffen wollten“, wie Rupprecht erzählt. Weinend sei die erste Kollegin ins Gespräch gekommen, habe ihn mit ihren Schilderungen tief berührt – und offenbar selbst Kraft geschöpft. „Sie ging lächelnd weg, um weiterzumachen.“

Lebhaft erinnert er sich an drei Hundeführer der Polizei, die zu ihm kamen, als der Leichenspürhund eine Pause brauchte. „Schwäche? Das Wort haben wir gestrichen“, hätten sie gescherzt. Im Einsatz bauten sie eine Mauer um sich auf, um durchzuhalten: „Da spricht man keinen an.“ Und auch so müsse man behutsam fragen, manches ungesagt lassen: „Wen sie hinter der nächsten Böschung finden, habe ich nicht gefragt.“ Stattdessen haben sie geflachst, auch weil es helfe, nicht immer über den Einsatz zu reden. Im Laufe des Gesprächs habe er gespürt, wie die Anspannung von ihnen abfiel, wie sie ruhiger wurden.

Diakon will ins Hochwassergebiet zurückkehren

Einsatzkleidung: Dirk Rupprecht als Mitarbeiter des DRK.
Einsatzkleidung: Dirk Rupprecht als Mitarbeiter des DRK. © Unbekannt | Dirk Rupprecht

Dirk Rupprecht hat sich selbst gefragt, ob er nicht mehr geholfen hätte, „wenn ich zur Schüppe gegriffen hätte“. Überall seien ja Helfer, Bürger und Bauern unterwegs gewesen, mit Schaufeln, Baggern, Traktoren, Radladern, nimmermüde. „Es wird immer darüber gesprochen, was nicht funktioniert. Mich hat beeindruckt, was alles klappt, wer alles anpackt.“ Wie der Pfarrer, der im Chaos die Ruhe bewahrte, der in der Kirche Kinderkleidung verteilte. Und seine Aufgabe sei eben gewesen, diese Menschen aufzufangen, ihnen etwas von ihrer Last nehmen.

Es sei ihm fast schwer gefallen, in seine „heile Welt“ zurückzukehren, sagt der dreifache Familienvater, der in Wattenscheid lebt. Darum möchte er nächste Woche erneut in das Hochwassergebiet zurückkehren, zuhören, da sein. „Ich habe ja Urlaub.“