Essen. Die AG Wohlfahrt Essen spricht für die sozialen Träger und damit auch für Tausende Ehrenamtliche. An der Spitze der AG gibt es nun einen Wechsel.
Die einen sind konfessionell orientiert, andere haben ihre Wurzeln in der Arbeiterbewegung, mal sind es kleine Initiativen, mal große Verbände – doch alle sind gemeinnützig: In der Essener Arbeitsgemeinschaft (AG) der Freien Wohlfahrtsverbände haben sich jene Träger zusammengefunden, die die sozialen Angebote der Stadt betreiben. Die AG ist ihr Netzwerk und ihre politische Stimme. Nun hat es an der Spitze einen turnusgemäßen Wechsel gegeben.
Nach drei Jahren hat Diakoniepfarrer Andreas Müller sein Sprecheramt an den Geschäftsführer des Paritätischen, Konrad Lischka, weitergegeben. Zu Beginn seiner Amtszeit hatte Müller die offene Seniorenarbeit als eins seiner Hauptanliegen benannt. Denn: „25 bis 30 Prozent der Essener sind über 60 Jahre alt – egal in welchem Stadtteil.“ Mit den „Zentren 60 plus“ habe man für sie Anlaufstellen vor Ort geschaffen, die sich allmählich „zur Marke“ entwickelten. „Dazu gehörte, die Vielfalt des Alters ins Bewusstsein von Mitarbeitern und Öffentlichkeit zu rücken“, sagt Müller. Also etwa über pflegebedürftigen Hochbetagten und rüstigen Rentnern, die hochaktiven „jungen Alten“ nicht zu vergessen.
Soziale Angebote in Essen nicht privatisieren, fordert die AG Wohlfahrt
Für Müllers Nachfolger Lischka sind die Zentren 60 plus auch ein gutes Anschauungsobjekt für das, was Wohlfahrt kann: „Sie hat die Rolle, zwischen staatlichen und kommerziellen Angeboten einen dritten Ort zu schaffen.“ Solche Gemeinnützigkeit hochzuhalten, ist erklärtes Ziel der AG Wohlfahrtspflege: Soziale Angebote dürften nicht (teil-)privatisiert werden, wie es etwa beim Betrieb der Flüchtlingsheime in den Jahren 2015/16 in Essen geschah – auch auf Druck aus der AG Wohlfahrt wieder zurückgedrängt wurde.
Bei der Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine zeige sich aktuell ein überwältigendes Engagement der Essener und Essenerinnen – und mitunter auch schon eine Überforderung der gutwilligen Helfer. „Gutes Ehrenamt braucht hauptamtliche Unterstützung“, sagt Müller. Die Ehrenamtlichen brauchten Anlaufstellen und Ansprechpartner, die ihre Einsätze koordinieren, bestätigt Lischka.
Sie bauten gern einen Stand beim Kinderfest auf, machten eine Grünanlage hübsch oder packten in der Fluthilfe an – ohne sich langfristig verpflichten zu wollen. „Viele Menschen haben zwar eine große Bereitschaft, sich ehrenamtlich einzusetzen, möchten das jedoch nur punktuell tun.“ Die sozialen Träger müssen darauf reagieren und passgenaue Aufgaben bieten: In ihren 500 Einrichtungen arbeiten neben 25.000 Angestellten schließlich mehrere Tausend Ehrenamtliche.
Gleichzeitig ist die AG Wohlfahrtspflege – etwa in Jugend- und Sozialausschuss – die politische Vertretung der sozialen Träger. Und muss sich als solche auch zu strittigen gesellschaftlichen Fragen eine Meinung bilden: Als der umstrittene türkische Islamverband Ditib im Dezember 2021 beantragte, in Essen als Träger der Jugendhilfe anerkannt zu werden, sah man das in der AG vorwiegend kritisch, mochte sich aber nicht zu einer klaren Ablehnung durchringen. Im Ausschuss wollte man sich enthalten – doch die Abstimmung zu dem heiklen Punkt wurde zurückgestellt. „Wir haben dann angeregt, generell die Regeln für die Anerkennung als Träger der Jugendhilfe noch mal anzuschauen und vorrangig zu prüfen, ob der Träger auch wirklich gemeinnützig ist.“ Grundsätzlich begrüße er, wenn sich auch muslimische Träger einbringen.
Vielfalt der sozialen Träger als Stärke
Vielfalt sei auch eine Stärke der AG, ergänzt Konrad Lischka, und dabei spiele die Größe eines Trägers keine Rolle: „Erstens eint uns unsere Gemeinnützigkeit, zweitens haben wir eine funktionierende Binnendemokratie.“ In den zwei durch Corona geprägten Jahren seien die Wohlfahrtsverbände enorm gefordert gewesen, vor allem bei der Kinder- und Jugendarbeit. Es sei aber auch beglückend gewesen, zu sehen, wie viel man unter widrigen Bedingungen geschafft habe und wie unbürokratisch auch die Stadt oft gehandelt habe, sind sich beide einig. Die Stadtverwaltung habe es schon gemerkt, in der Öffentlichkeit will es Lischka noch ein wenig bekannter machen: „Wir organisieren Zivilgesellschaft.“