Essen. . Ambulante Pflegedienste arbeiten im Minutentakt. Wie sich trotzdem Zeit für Zuwendung findet, zeigt sich auf einer Tour mit Schwester Elisabeth.
Wer dieser Tage „Pflege“ sagt, der denkt „-notstand“ gleich mit, der sieht abgehetzte Altenpflegerinnen vor sich und alleingelassene Senioren. Konrad Lischka ist seit Juli Geschäftsführer des Paritätischen in Essen und wollte sich nun selbst ein Bild von der Lage machen – auf einer Tour mit der Familien- und Krankenpflege (FuK) e.V. Ein Realitätscheck zwischen 5.50 Uhr am Morgen und 12 Uhr mittags.
Schwester Elisabeth – Potrek mit Nachnamen – besucht in dieser Zeit ein Dutzend Senioren in Rellinghausen, Heisingen, Stadtwald. Sie hilft beim Ankleiden, reicht Wasser oder Tabletten. Sie weiß, dass die Ganzkörperwäsche eine halbe Stunde dauern darf, Strümpfe anziehen oder Medizingaben nur wenige Minuten. Lischka hat sich vorher gefragt: „Wie ist das, an einem Tag so viele Menschen zu sehen, zu betreuen?“ Menschlichkeit im Minutentakt, geht das?
Nach der Tour erzählt Lischka nicht von Hetze, sondern wie ihn verblüfft habe, „was Elisabeth alles gleichzeitig macht und beobachtet“. Sie sehe hier, dass die Schlappen zu eng sind, und dort, dass es dem Patienten schlechter geht als am Vortag. Mal verspreche sie, sich am nächsten Tag zu kümmern, mal rufe sie sofort einen Arzt an. Sie sei nur kurz bei den Menschen, aber täglich, und so spüre man gleich die gegenseitige Vertrautheit.
Im Rollstuhl ist sie eine der schnellsten Omas der Welt
Man erlebt das, wenn man Elisabeth Potrek auf der letzten Etappe begleitet: An der Hölderlinstraße 2 im Südviertel hat die Familien- und Krankenpflege ein Büro und betreut in dem Wohnhaus 15 Mieter. Eine ist Doris Kaske, eine zarte Frau mit handfestem Humor. Mit dem sperrigen Rollator bewege sie sich mühselig durch die Wohnung, „aber im Rollstuhl bin ich eine der schnellsten Omas der Welt.“
Die 78-jährige Kaske kennt die Familien- und Krankenpflege seit 1969: Da hatte sie schon zwei kleine Kinder und bekam Zwillinge dazu. Damals half eine Familienpflegerin der FuK der jungen Mutter, heute helfen ihr Altenpfleger. „Ob Männer oder Frauen – sie sind stets pünktlich und kommen mit einem Lachen rein, als wäre ich die Erste, die sie an diesem Tag besuchen.“
Die meisten Senioren wollen in ihrer Wohnung bleiben
Schöner, meint Schwester Elisabeth, könne man es kaum sagen. Doch zwei Etagen höher bekommt sie ein ähnliches Kompliment von Inge Scagnetti, die sagt, sie fühle sich nicht wohl – „ich fühl’ mich sauwohl!“ Dabei hat die 83-Jährige einige Operationen hinter sich und ist permanent auf ein Sauerstoffgerät angewiesen. Dank der FuK aber könne sie in der eigenen Wohnung leben; hoffentlich noch lange.
Das ist der Wunsch vieler Senioren, „doch wir müssen jeden Monat Anfragen ablehnen“, sagt FuK-Geschäftsführer Dirk Brieskorn. Darum ärgere ihn, dass die Politik aktuell nur die Heime sehe, dort mehr Personal einsetzen wolle. „Das fehlt dann in der ambulanten Pflege.“ Sein Haus betreue mit 150 Mitarbeitern 700 Menschen; mehr Personal finde er nicht. „Wir stellen nur ein, wer ganzheitlich arbeiten möchte, wer Wertschätzung für die alten Menschen mitbringt. Wie Schwester Elisabeth, die sie pflegt als wären es ihre Großeltern.“
>>> DACHVERBAND FÜR GUT 100 ORGANISATIONEN
- Der Paritätische Wohlfahrtsverband wurde 1924 gegründet, um wohltätigen Institutionen, die weder kirchlich noch politisch gebunden waren, ein Dach zu geben.
- Im Paritätischen in Essen sind heute gut 100 gemeinnützige Organisationen vertreten.
- Der neue Geschäftsführer Konrad Lischka ist derzeit auf Kennenlern-Tour bei vielen von ihnen zu Gast. Am Dienstag, 14. August 2018, besuchte Lischka die Familien- und Krankenpflege e.V., die auch zu den Mitgliedern des Paritätischen gehört.