Essen. Der umstrittene Islamverband Ditib soll in Essen Träger Jugendhilfe werden. Das sorgt für Unmut: Kritiker warnen vor Einfluss aus Ankara.
Der Wunsch des umstrittenen Islamverbandes Ditib, in Essen als Träger der freien Jugendhilfe anerkannt zu werden, sorgt in der Politik und bei Wohlfahrtsverbänden für Unmut und Diskussionen. Deutschlandweit gibt es rund 800 Ditib-Gemeinden, weshalb die Organisation einerseits als wichtiger Ansprechpartner gilt. Kritiker halten dem jedoch entgegen, dass die türkische Staatsführung direkten Einfluss auf den Verein nimmt. „Ditib-Imame haben im Auftrag der türkischen Regierung nachweislich Menschen in Deutschland ausspioniert und nach Ankara gemeldet“, mahnt jetzt die Ratsfraktion der Linken. Sie wirbt dafür, im Jugendhilfeausschuss am Dienstag (14.12.) gegen den Antrag zu stimmen.
Essener Ditib-Gemeinde plant interreligiösen Dialog
Darin geht es namentlich um die Ditib-Gemeinde in Altendorf, die als rechtlich und wirtschaftlich selbstständig gilt, aber dem Dachverband der Türkisch Islamischen Union der Anstalt für Religionen e.V. (Ditib) in Köln angehört. Die Altendorfer Gemeinde habe sich der Förderung von Religion, Erziehung, Bildung, Sport, Kultur und Jugendfürsorge verschrieben und wolle das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Religionen fördern, heißt es im Antrag. Demnach treffen sich wöchentlich „15 bis 20 männliche Jugendliche“, um über religiöse und gesellschaftspolitische Themen zu diskutieren. Daneben gebe es Seminare „für junge Frauen und Männer“.
Die Jugendlichen engagieren sich laut Eigenbeschreibung zum Beispiel für die Lernförderung, für Wohnungslose und Flüchtlinge sowie für andere soziale Projekte. Auch plane der Verein, „an interreligiösen Dialoggruppen teilzunehmen“. Im Gegensatz dazu verweist die Linke-Ratsfraktion darauf, dass die Jugendverbände der Ditib in der Vergangenheit durch „Antisemitismus, Hetze und islamistische Inhalte“ aufgefallen seien.
Özdemir warnt vor „Papageien, die die Agenda Ankaras nachplappern“
Deswegen habe es deutliche Kritik von Grünen und SPD gegeben, als die schwarz-gelbe Landesregierung im Frühjahr plante, den vermeintlich geläuterten Verband wieder stärker beim islamischen Religionsunterricht an den Schulen einzubinden. „Auch wenn sich die Ditib mittlerweile als unabhängig und staatsfern verkauft, untersteht sie nach wie vor in Leitung, Kontrolle und Aufsicht dem Präsidium für religiöse Kontrolle, einer dem türkischen Ministerpräsidenten unterstellten Behörde“, sagt Civan Akbulut, der für die Linke im Integrationsrat sitzt.
Ähnlich sah es im Frühjahr der Spitzen-Grüne Cem Özdemir gegenüber der „Welt“: „Wir wollen keine Papageien, die die Agenda Ankaras nachplappern.“ Er verstehe die Naivität der Landesregierung nicht, sie sorge dafür, „dass Erdogan Zugang zu deutschen Schulen bekommt. Das ist unfassbar“, betonte Özdemir. Ein halbes Jahr später äußerte sich die Essener Ratsfrau Sandra Schumacher, die für die Grünen im Jugendhilfeausschuss sitzt vorsichtiger: „Oberste Prämisse für uns sind freiheitliche und unabhängige Träger der Jugendhilfe. Aber es könnte sein, dass die Ditib hier einen Rechtsanspruch hat, weil sie die formalen Kriterien erfüllt. Dann wäre unser Spielraum hier eng.“ Noch laufe in der Fraktion die Diskussion über das Abstimmungsverhalten. Gut möglich, dass die Grünen ihre Bauchschmerzen am Ende mit einer Enthaltung ausdrücken.
Ablehnung aus allgemein politischen Gründen offenbar nicht möglich
Ein Bündnis, zu dem neben Pro Asyl Essen etwa das „Demokratische Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Essen“ und der „Deutsch-Kurdische Solidaritätsverein Essen“ gehören, stellt sich klar gegen den Antrag. Ditib-Gemeinden seien mit Hetze gegen Andersdenkende und Minderheiten aufgefallen, der Verein daher als Träger der freien Jugendhilfe ungeeignet. Die Kommunalpolitiker sollten sich hier nicht täuschen lassen: „Auch wenn sich Ditib als vermeintlich unabhängig und staatsfern gibt, bleibt sie nach wie vor ein vom Erdogan-Regime abhängiger Verein, der im Sinne dieser Regierung handelt.“
Essens Jugenddezernent Muchtar Al Ghusain weist dazu darauf hin: „Eine Ablehnung aus allgemein politischen Gründen, weil man die Politik des Staates Türkei ablehnt, ist nicht möglich.“ Er sieht aber, dass möglicherweise noch offene Fragen zu klären seien und Vertrauen geschaffen werden müsse. Daher empfehle er, den Antrag am Dienstag erstmal in den Jugendhilfeausschuss einzubringen. Man solle dann: „Den Verein vortragen lassen, aber die Entscheidung gegebenenfalls nach Klärung offener Punkte in die nächste Sitzung schieben.“
Alles andere als Vorstellungen von Toleranz und Dialog
Sollte es doch schon am Dienstag zur Abstimmung kommen, werden sich wohl auch die Vertreter der Freien Wohlfahrtsverbände enthalten, hatte deren Sprecher Diakoniepfarrer Andreas Müller angekündigt. „Wir sehen die Angelegenheit sehr kritisch, weil der Druck von außen auf die Ditib offenbar sehr groß ist.“ Aus der Essener Gemeinde gebe es dazu widersprüchliche Signale. Da die Anerkennung als Jugendhilfe-Träger zunächst nur für ein Jahr ausgesprochen werde, solle man die Zeit nutzen, um besonders genau hinzusehen, „wie die Jugendarbeit da gelebt wird“.
Der Leiter der Alten Synagoge, Uri Kaufmann, hätte sich gewünscht, dass man schon vorher hinschaut: „Ich bin der Auffassung, dass das Verhältnis zwischen dem lokalen Verein in Essen, der Zentrale in Köln und der [Religionsbehörde] Dyanet in Ankara durch externe Gutachter analysiert werden müsste.“ Eine bloße Eigenbeschreibung der Gemeinde, wie sie sich in der städtischen Vorlage finde, reiche keinesfalls aus. Auch Kaufmann ist die enge Bindung der Ditib n die Türkei suspekt: „Die türkischen Staatsmedien verbreiten seit Jahren alles andere als Vorstellungen von Toleranz oder Dialog zu anderen Religionsgemeinschaften.“